Russische Truppen kreisen Kiew weiter ein
Nach Angaben eines Reuters-Reportes waren am Freitag in Kiew mehrere Explosionen in schneller Reihenfolge zu hören. Sirenen warnen vor einem Angriff. Der genaue Ort der Explosionen konnte zunächst nicht lokalisiert werden. Kiew löste seit Mitternacht mehrfach Luftalarm aus. Die Bewohner sollten sich in Luftschutzbunkern in Sicherheit bringen.
Nach Angaben der Regionalbehörden waren russische Truppen in die ukrainische Hafenstadt Mykolajiw am Schwarzen Meer vorgedrungen. Die russischen Truppen sind mittlerweile nach Angaben der ukrainischen Regionalbehörden aus der Stadt Mykolajiw im Süden des Landes vertrieben worden. In den Außenbezirken werde aber weiter gekämpft, sagt Gouverneur Vitalii Kim.
Die weiter westlich liegende Metropole Odessa sei keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt, so Arestowytsch. Im Osten sei die Situation in der teilweise eingekreisten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer unter Kontrolle. Der Bürgermeister von Mariupol erklärte hingegen, die Hafenstadt im Südosten des Landes liege unter Feuer und brauche militärische Unterstützung. Es gebe keine Wasserversorgung, Fernheizung oder Stromversorgung mehr. Die Lebensmittelvorräte gingen zur Neige.
Laut ukrainischer Darstellung sollen sich russische Truppen von dem strategisch wichtigen Flugplatz Hostomel nordwestlich von Kiew zurückgezogen haben. Die südukrainische Hafenstadt Mariupol sei inzwischen komplett eingeschlossen. "Der Feind hatte einen erheblichen technischen Vorteil", hieß es. Zudem sei das Flugabwehrsystem an der Schwarzmeer-Küste angegriffen worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Die ukrainischen Streitkräfte haben nach britischen Angaben weiterhin die Kontrolle über Mariupol im Südosten des Landes. Sie sei aber wohl von russischen Truppen eingekreist, teilte das britische Verteidigungsministerium auf Basis eines neuen geheimdienstlichen Lageberichts laut Reuters mit. Die zivile Infrastruktur sei weiterhin intensivem Beschuss durch das russische Militär ausgesetzt.
Nach Angaben von Verteidigungsminister Olexij Resnikow halten ukrainische Kräfte an strategisch wichtigen Orten den Angreifern Stand, etwa in den nordostukrainischen Gebieten Sumy und Tschernihiw. "Der Feind ist verwirrt und eingeschüchtert", schrieb Resnikow bei Facebook. Die ukrainischen Streitkräfte hätten ungeheure Mengen an Militärtechnik und Waffen erbeutet sowie mehr als 10.000 russische Soldaten getötet, behauptete er. Der Generalstab hatte kurz davor noch von gut 9.100 getöteten Gegnern gesprochen.
Bei russischen Luftangriffen auf Tschernihiw wurden nach ukrainischen Angaben am Donnerstag 47 Menschen getötet. Damit korrigierten die örtlichen Behörden in der nordukrainischen Großstadt am Freitag ihre Angaben nach oben, nachdem sie zuvor von 33 Todesopfern gesprochen hatten. Am Donnerstag hatten die Rettungsdienste nach eigenen Angaben wegen schweren Beschusses ihre Arbeiten zeitweise aussetzen müssen.
Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte hat in der Ukraine bis Donnerstag um Mitternacht den Tod von 331 Zivilisten dokumentiert. Darunter seien 19 Kinder gewesen, berichtete das Büro am Freitag in Genf. Zudem lägen verifizierte Informationen über 675 Verletzte vor, darunter 31 Kinder. Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, betont stets, dass die wahren Zahlen mit Sicherheit deutlich höher liegen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchten oft Tage, um Opferzahlen zu überprüfen. Das Hochkommissariat gibt nur Todes- und Verletztenzahlen bekannt, die es selbst unabhängig überprüft hat.
Das Büro lieferte auch eine Aufteilung nach Regionen: Demnach kamen in den Separatistengebieten Donezk und Luhansk im Osten des Landes 54 Menschen in von der Regierung kontrollierten Zonen ums Leben, 23 auf dem Gebiet der selbst ernannten und von Russland anerkannten Republiken. 254 Todesfälle wurden in anderen Landesteilen registriert, darunter in Kiew, Charkiw und Cherson.
Die NATO warf Russland indes den Einsatz von Streubomben in der Ukraine vor. "Wir haben den Einsatz von Streubomben registriert", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag. Zudem gebe es Berichte "über den Einsatz anderer Arten von Waffen, die gegen das Völkerrecht verstoßen". Streubomben bestehen aus einer Vielzahl kleinerer Bomben. Sie können in Städten eingesetzt verheerende Folgen für die Bewohner haben. Über Hundert Staaten haben diesen Waffentyp geächtet.
Human Rights Watch betonte am Freitag, dass Streumunition in Charkiwer Stadtvierteln eingesetzt worden sei. Interviews mit zwei Augenzeugen und eine Analyse von 40 Videos und Fotos zeige, dass die Submunition von Streumunitionsraketen des Typs 9M55K Smerch aus russischer Produktion stamme. Steve Goose von Human Rights Watch betonte: "Der Einsatz von Streumunition in bewohnten Gebieten zeigt eine dreiste und gefühllose Missachtung von Menschenleben."
Die ukrainische Internetzeitung "Ukrajinska Prawda" veröffentlichte am Freitagabend eine Liste russischer Kriegsgefangener. Als Quelle nennt das Medium "Gesprächspartner" in der ukrainischen Militärstaatsanwaltschaft. Auf der "vorläufigen", achtseitigen Liste befinden sich 116 Namen. Die meisten Inhaftierten seien 20 bis 30 Jahre alt, heißt es weiter. Sie trügen verschiedenste militärischer Ränge, vom einfachen Militärpersonal bis hin zu Zugführern, Mechanikern oder Aufklärern.
Zusammenfassung
- Russische Truppen setzen nach ukrainischen Armeeangaben ihren Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew fort.
- "Die Hauptanstrengungen der Besatzer konzentrieren sich auf die Einkreisung Kiews", hieß es im Morgenbericht der ukrainischen Armee.
- Nach Angaben der Regionalbehörden waren russische Truppen in die ukrainische Hafenstadt Mykolajiw am Schwarzen Meer vorgedrungen.
- Die NATO warf Russland indes den Einsatz von Streubomben in der Ukraine vor.