Politikexperten rechnen nach SPÖ-Panne nicht mit Neuwahlen
"Die Problematik mit Neuwahlen ist, der der sie ausruft, braucht einen Grund", sagte Hajek, und dieser fehle der ÖVP derzeit. Interne Diskussionen innerhalb der Volkspartei werde es bestimmt geben, wird man wohl "eine derart darnieder liegende SPÖ so schnell nicht mehr vorfinden", betonte Hofer, an baldige Neuwahlen im Bund glauben aber beide nicht. "Wenn vorzeitig ausgerufene Neuwahlen als parteipolitische Taktik erkannt werden, wird das heikel", bekräftigte Hajek.
"Ich verstehe schon, dass rasche Neuwahlen sowohl die ÖVP, FPÖ und wohl auch die Grünen in den Fingern jucken", sagte Bachmayer. Aber "geschwinde Neuwahlen gehen nicht so geschwind, dass man von dem absoluten Vollchaos der SPÖ profitieren kann." Aufgrund des Fristenlaufs seien Neuwahlen frühestens im September möglich. Wie sich die Situation bis dahin entwickle, sei unklar.
Die FPÖ, der Neuwahlen am ehesten gelegen kämen, könne diese allein nicht beschließen. Für die ÖVP hingegen gelte es, die Konsequenzen zu bedenken, sagte Hofer: "Die Position der ÖVP ist nur relativ zur SPÖ in Ordnung, aber es ist auch keine gute". Auch für Hajek sei mehr als fraglich, ob die ÖVP das "strategische Sandkastenspiel" riskieren möchte und am Ende möglicherweise als Zweiter hinter der FPÖ nur diese Koalitionsmöglichkeit hat.
Laut Bachmayer sei es für ÖVP und FPÖ aber ohnehin klüger, weiter zuzuwarten. "Die SPÖ mit Babler wird sicher nicht zu den erhofften Höhenflügen ansetzen", prophezeit er und rechnet damit, dass mittelfristig sowohl FPÖ und ÖVP vom designierten SPÖ-Parteiobmann profitieren werden.
Einig sind sich alle drei, dass es mit Andreas Babler als SPÖ-Chef bei den nächsten Nationalratswahlen, wann immer diese stattfinden, einen Leidtragenden geben wird: Eine politische Kraft links der SPÖ. "Mit Babler sind die Chancen der KPÖ sicher nicht gestiegen", fasste Hajek zusammen.
Die SPÖ befinde sich für Hofer nach monatelangen internen Querelen, die letztlich in dem Debakel bei der Wahl des Parteivorsitzenden kulminierte "fraglos in ihrer größten Krise seit Jahrzehnten". Nach wie vor seien zu viele Fragen zum Ablauf der Auszählung offen, die es aufzuklären gibt. "Es ist ein derartiges Ausmaß an Inkompetenz zu Tage getreten", so die harten Worte Hofers. Jetzt müsse Klarheit geschaffen werden, möglicherweise auch mit einem neuen Parteitag, bei dem dann nur Babler antrete. Positiv sei am gestrigen Tag eigentlich nur das Auftreten Bablers und Doskozils gewesen, ersterer müsse nun weiteres Krisenmanagement zeigen. Das Wesentliche sei nun, dass sich "wer hinstellt, die Hand in eine Richtung streckt und voran geht", sagte Bachmayer. "Der Kreisky wird nicht aus dem Himmel herabsteigen und sagen: Ich übernehme die SPÖ. Die einzige Chance für die SPÖ ist, dass Babler eine klare Richtung vorgibt."
Die SPÖ habe mit dem Lapsus am Parteitag den größten Vertrauensverlust erlitten, den eine Partei erleiden kann, nämlich jenes Vertrauen in die Verlässlichkeit einer staatstragenden Partei. "Natürlich werden sich einige Menschen die Frage stellen, wie sollen wir uns bei den großen Dingen auf eine Partei verlassen, die keine 600 Stimmen auszählen kann?" Klar sei aber auch, dass ein Vertrauensverlust nicht auf ewig gelte, wie die Post-Ibiza-FPÖ zeige. Der Unterschied sei aber: "Das war ein menschlicher Fehler, da ging es nicht um Korruption. Es gab kein Ibiza und keine Chat-Protokolle. Das macht die Sache nicht besser, aber es kommt zu einer klaren Abgrenzung zu den Verfehlungen der ÖVP und FPÖ."
Zusammenfassung
- Nach der am Montag bekannt gewordenen Panne bei der Stimmen-Auszählung vom SPÖ-Parteitag wurden prompt Gerüchte über Neuwahlen laut.
- Dass die für 2024 geplanten Nationalratswahlen vorgezogen werden könnten, erachten die Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer (OGM) und Peter Hajek als unwahrscheinlich.
- "Ich verstehe schon, dass rasche Neuwahlen sowohl die ÖVP, FPÖ und wohl auch die Grünen in den Fingern jucken", sagte Bachmayer.