Neue italienische Regierung um Draghi angelobt
Dem neuen Kabinett gehören 23 Minister an, 15 davon sind Politiker, die anderen acht sind parteilose Fachleute. Es ist damit um zwei Mitglieder größer als die Vorgängerregierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Sozialdemokraten, die der zurückgetretene Premier Giuseppe Conte von September 2019 bis Jänner geführt hatte. Die neue Koalition entstand nach mühsamen Verhandlungen, nachdem Expremier Matteo Renzi, Chef des Juniorpartners Italia Viva, das Bündnis mit den Fünf Sternen und den Sozialdemokraten platzen ließ. Es kam aber zu keiner Neuwahl, sondern zum Koalitionswechsel.
Auf den neuen Regierungschef warten große Herausforderungen: Er muss Lösungen für die Gesundheits- und Wirtschaftskrise im Land finden. Wie viele andere Länder der Europäischen Union ist Italiens Corona-Impfkampagne aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei den Vakzinen in Verzug geraten. Das Land benötigt dringend die Corona-Hilfszahlungen der Europäischen Union in Höhe von 220 Milliarden Euro. Die Mitte-Links-Koalition von Ex-Ministerpräsident Conte war allerdings am Streit um die Verwendung dieser Mittel zerbrochen.
Kritik musste Draghi wegen der geringen Zahl an Frauen im Kabinett hinnehmen, nur drei von ihnen hätten ein Ministerium mit Portefeuille. Begrüßt wurde von Frauenverbänden die Amtsbestätigung der parteilosen Innenministerin Luciana Lamorgese und die Ernennung der Ex-Präsidentin des Verfassungsgerichts, Marta Cartabia, zur neuen Justizministerin. Regierungserfahrung haben auch die zur Forza Italia um Ex-Premier Silvio Berlusconi gehörenden Ministerinnen Maria Stella Gelmini (Regionenministerin) und Mara Carfagna (Ministerin für Süditalien).
Die Fünf Sterne-Bewegung, die stärkste Einzelpartei im italienischen Parlament, geht geschwächt aus der Regierungskrise hervor. Zwar wurde Außenminister Luigi Di Maio, Spitzenpolitiker der Bewegung, im Amt bestätigt, die Gruppierung erhielt jedoch nicht wie erhofft das "Superministerium" für den ökologischen Übergang mit ausgedehnten Kompetenzen im Energiebereich. Der Posten wurde vom parteiunabhängigen Physiker Roberto Cingolani übernommen.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gratulierte Draghi "herzlich" zur Angelobung. Er freue sich "auf unsere enge Zusammenarbeit auch im Hinblick auf die Bewältigung der #COVID19 Pandemie", betonte Kurz am Samstagnachmittag auf Twitter. Als Nachbarländer seien Italien und Österreich "menschlich und politisch eng verbunden. Zudem ist Italien unser zweitwichtigster Handelspartner".
Ministerpräsident Draghi leitete am Samstagnachmittag seine erste Ministerratssitzung. Dabei wurde der parteilose Jurist Roberto Garofoli zum neuen Staatssekretär ernannt. Am kommenden Mittwoch muss sich der Premier Vertrauensabstimmungen im Senat und in der Abgeordnetenkammer unterziehen. Erwartet wird, dass er dank der breiten Mehrheit, über die er im Parlament verfügt, diese letzte Hürde problemlos bewältigt. Wie lange die Parteien, die ein breites ideologisches Spektrum umfassen, unter Draghis Regie konstruktiv zusammenarbeiten werden, wird sich bereits in den nächsten Wochen zeigen.
Bei der feierlichen Zeremonie zur Amtsübergabe an den neuen italienischen Ministerpräsidenten kam es für Conte zu bewegenden Kundgebungen. Das Personal des Regierungssitzes Palazzo Chigi zeigte sich mit der symbolischen Übergabe einer kleinen Glocke von Conte an Draghi an den Fenstern des Palastes und applaudierte dem parteilosen Juristen lange. Auch auf dem Platz vor dem Regierungssitz versammelten sich Anhänger Contes, die ihm zujubelten.
Italien war das erste europäische Land, das mit voller Wucht von der Corona-Pandemie getroffen wurde. Die Wirtschaft rutschte in die schwerste Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Inmitten dieser Krise war das Land fast einen Monat lang ohne voll funktionsfähige Regierung.
Zusammenfassung
- Vier Wochen nachdem die Splitterpartei Italia Viva um Expremier Matteo Renzi eine Regierungskrise auslöste, hat Italien ein neues Kabinett.
- Staatspräsident Sergio Mattarella vereidigte am Samstag die Regierung unter dem parteilosen Ministerpräsident Mario Draghi.
- Italien war das erste europäische Land, das mit voller Wucht von der Corona-Pandemie getroffen wurde.