Slowakei ICJKFranziska Schwarz

Medien in der Slowakei: Wenn die Presse Hausverbot hat

Innerhalb von weniger als einem Jahr wurde in der Slowakei die Strafverfolgung umgebaut, der öffentlich-rechtliche Rundfunk abgebaut und Kulturinstitutionen demontiert. Begonnen hat alles mit dem Mord an einem Journalisten – wie ist es, in der Slowakei Journalist zu sein?

Im Mai wurde der slowakische Ministerpräsident Robert Fico angeschossen – es folgten umgehend Drohungen an die Journalist:innen des Landes. Der stellvertretende Premierminister, Robert Kalinak, sprach davon, dass die Medien darüber "lügen" würden, warum Fico angeschossen wurde und, dass vor allem die Journalist:innen einer Zeitung für das Attentat verantwortlich seien.

Es gibt keinen belegbaren Zusammenhang zwischen den kritischen Berichten über die slowakische Politik und dem Attentat. Wie ist es also, in einem Land zu berichten, in dem die Politik regelmäßig gegen die Presse hetzt? Gespräch mit Lukáš Diko, dem Chefredakteur des Investigative Center of Ján Kuciak (ICJK).

Schutz, Dokumentation und psychische Hilfe

Die Arbeit der NGO besteht aus drei Teilen, erzählt der Chefredakteur: "Wir versuchen, Jáns Geschichte am Leben zu erhalten." Journalistisch arbeiten sie an investigativen Geschichten zu nationalen Themen und im Rahmen von internationalen Kooperationen.

Das Zentrum kümmert sich auch um den Schutz von Journalist:innen in der Slowakei bei der Recherche, dokumentiert Angriffe auf Medien und stellt auch psychische Hilfe und Trainings bereit. Die NGO hilft auch bei der Ausbildung von jungen Journalist:innen, das scheint aber in der Slowakei kein beliebter Beruf bei der neuen Generation zu sein.

Unbeliebt bei den Jungen?

Die Medien haben in der Slowakei keinen guten Ruf, "es gibt eine Atmosphäre der Angst gegen die Presse", so Lukáš Diko. Zuletzt beauftragte das ICJK eine Studie zu Journalismus in der Slowakei, nur neun Prozent der Antworten kamen von Journalist:innen, die unter 25 sind. Man müsse hier weitere Untersuchungen anstellen, es sei aber möglich, dass es in der Slowakei ein Nachwuchsproblem im Journalismus gibt.

Dafür sieht er drei mögliche Gründe: Der Mord an Ján Kuciak und seiner Verlobten habe viele abgeschreckt, dazu komme das aggressive Klima in der Slowakei gegenüber Journalist:innen, das von Politikern online geschürt wird und auch die schlechte Bezahlung.

"Du wirst nicht gut bezahlt und dann wird online noch gegen dich gehetzt."

öffentlich-rechtlicher Rundfunk RTVS SlowakeiFranziska Schwarz

Das slowakische Funkhaus: Der Radio-Diamant.

2018 wurden der slowakische Investigativ-Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová ermordet. Grund war eine Recherche zu dem slowakischen Unternehmer Marián Kočner. Ministerpräsident Robert Fico musste zurücktreten – 2023 wurde er wiedergewählt, 2024 angeschossen und schwer verletzt.

Seit Ficos Wiederwahl im Herbst 2023 kommt es in Bratislava zu großen Protesten: Die Regierung änderte die Verjährung bei der Strafverfolgung, zuletzt wurde der staatliche Rundfunk (RTVS) aufgelöst und die neue Führung wird von der aktuellen Regierung bestimmt. Im August gab es große Proteste, weil auch die Führung der staatlichen Kulturinstitutionen umbesetzt wurde.

Freiheitsplatz SlowakeiFranziska Schwarz

Der Platz der Freiheit in Bratislava, der Námestie slobody.

Schnelle "Orbanisierung"

Seit der Wiederwahl Ficos hat sich die Situation für Medien überraschend schnell verschlechtert. "Vor den Wahlen hatten wir das Gefühl, dass der slowakische Journalismus sehr resilient ist", sagt Lukáš Diko. Aber nach nicht mal einem Jahr ist die Medienlandschaft komplett anders.

"Es gibt keinen öffentlichen Rundfunk mehr, die Gesetze wurden geändert, die Leute gefeuert." Die Rundfunkgebühr wurde schon von der vorhergehenden Regierung abgeschafft, der öffentlich-rechtliche Rundfunk RTVS wird nun direkt aus dem Staatsbudget finanziert.

Diese direkte Finanzierung aus dem Staatsbudget steht in der Kritik, da die Rundfunkdirektoren jährlich um ihr Budget verhandeln müssen und damit eine direkte Abhängigkeit und Einflussmöglichkeit seitens der Politik besteht.

In der Slowakei werden nun alle Mitglieder des Kontrollrats des öffentlich-rechtlichen von der aktuellen Regierung bestimmt.

"Objektiv", sagt Diko und mach Anführungszeichen mit seinen Fingern, bedeutet nun, dass immer jemand aus der Regierung in Berichten vorkommen muss.

Wenn die Medien zum Feind ernannt werden

Das Privatfernsehen in der Slowakei stellte bereits im Mai seine Politiksendungen ein, darunter auch die beliebteste Politiksendung des Landes. Es gibt drei große unabhängige Zeitungen (Sme, Dennik N und Aktuality.sk), auf sie gehen Politiker besonders los. Regierungsmitglieder boykottierten die Medien und die Politiksendung auf dem Sender TV Markiza. Sie wurden als "feindlich" benannt und ihnen wurde gedroht, Regierungsgebäude nicht mehr betreten zu dürfen.

Sie würden ganz normale Dinge fragen, aber einfach keine Antworten bekommen. Vor allem den Kollegen bei den Zeitungen würde das täglich passieren, sagt Lukáš Diko.

Der Moderator einer beliebten Politiksendung, Michal Kovačič, erklärte in den letzten fünf Minuten der Sendung den Zuseher:innen was vor sich ging: "Die Slowakei erlebt einen Kampf rund um die Orbanisierung unserer TV-Kanäle" -die Sendung wurde abgesetzt.

Diese Entwicklungen, wie sie in Ungarn stattfanden – deshalb Orbanisierung –  hätten dort über zehn Jahre gebraucht, "aber hier ging es wirklich schnell", so Diko.

Prozentesammeln auf Social Media

Smer, Ficos Partei, sei immer eine stolze sozialistische Partei gewesen, aktuell koaliert sie mit der Smer-Splitterpartei Hlas und den rechtsaußen Nationalisten SNS. Fico war vor seiner Wiederwahl 2023 außen vor – er habe mithilfe der sozialen Medien verschiedene Gruppen als Wähler mobilisieren können: Sein Momentum habe auf Facebook mit seinen Anti-Kriegs-Themen und Corona an Fahrt aufgenommen. Fico habe es geschafft, die richtigen Worte zu finden, um bestimmte Gruppen zu überzeugen.

Medien in der Slowakei sind täglich politischen Angriffen ausgesetzt, aber die Situation sei mit anderen Ländern nicht vergleichbar, sagt Lukáš Diko. Mit jedem Angriff von Politikern auf die Presse steigt die Zahl der Beschimpfungen online. Vor allem die Nachrichten, die Kolleg:innen bekommen würden, seien einfach schrecklich. Und es gibt auch Fälle, bei denen bekannte Journalist:innen auf der Straße beschimpft wurden.

Für die Zukunft gäbe es keine andere Möglichkeit, als auf alles vorbereitet zu sein – in Bezug auf Sicherheit und Objektivität. Der ICJK-Chefredakteur sieht auch die Gefahr eines "Foreign Agent Laws", wie es in Georgien und Russland beschlossen wurde. Dieses würde auf zivile Organisationen abzielen – was das Zentrum doppelt verwundbar machen würde, zusätzlich zu den Angriffen gegen die Medien.

Eigentlich wäre die Slowakei aber in einer idealen Ausgangssituation, was Transparenz betrifft: Alle Verträge mit der Regierung müssen öffentlich einsehbar sein, so auch Firmenregister. So wurde zum Beispiel auch die Beteiligung des russischen Unternehmers Oleg Deripaska an der österreichischen Strabag bekannt.

"Wir versuchen nur, zu arbeiten und wir werden durchhalten." Guter Journalismus werde immer präsent sein, sagt Diko.

Ermöglicht wurde die Reise in die Slowakei durch das Projekt "Eurotours" des Bundeskanzleramts. Die Kosten für Unterkunft und Anreise wurden übernommen. Im Blog des Projekts gibt es alle Berichte aus den EU- und Balkanländern zu lesen.

ribbon Zusammenfassung
  • Innerhalb von weniger als einem Jahr wurde in der Slowakei die Strafverfolgung umgebaut, der öffentlich-rechtliche abgebaut und Kulturinstitutionen werden demontiert.
  • Begonnen hat alles mit dem Mord an einem Journalisten – wie ist es in der Slowakei Journalist zu sein?