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"Putschversuch"

Wichtiger Erdoğan-Gegner: Istanbuls Bürgermeister verhaftet

Heute, 06:20 · Lesedauer 4 min

Kurz vor der geplanten Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten ist der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu verhaftet worden. Oppostionsführer Özgür Ozel spricht von einem "Putschversuch". Erste Proteste fanden bereits statt, zudem dürften Behörden den Zugang zu zahlreichen sozialen Netzwerken eingeschränkt haben.

Wenige Tage vor seiner möglichen Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei ist der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu verhaftet worden – ein wichtiger Kontrahent von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan.

Laut "Evrensel" wird angegeben, dass es zwei getrennte Haftbefehle für İmamoğlu im Rahmen von zwei getrennten Ermittlungen der Oberstaatsanwaltschaft Istanbul gibt. In der ersten Erklärung der Generalstaatsanwaltschaft wurde İmamoğlu als "Anführer einer kriminellen Vereinigung" bezeichnet, während berichtet wurde, dass ein Haftbefehl wegen Straftaten wie "kriminelle Vereinigung, Erpressung, Bestechung, Bestechlichkeit, Betrug, Angebotsmanipulation" erlassen wurde. 

Der Istanbuler Bürgermeister İmamoğlu ist Mitglied der sozialdemokratischen CHP. Der CHP-Chef Özgür Özel nannte in einem Posting auf X die Verhaftung einen "Putschversuch gegen unseren nächsten Präsidenten". Es handle sich um einen entscheidenden Moment für die Zukunft der türkischen Demokratie.

Proteste vor Stadtverwaltung von Şişli

Laut "Evrensel" wurden sieben Personen, darunter İmamoğlu und den Bürgermeister von Şişli, Resul Şahan, ein Haftbefehl wegen "Unterstützung der terroristischen Vereinigung PKK/KCK" erlassen wurde. 

Nach den Festnahmen versammelten türkischen Medien zufolge Mitarbeiter:innen der Stadtverwaltung, CHP-Anhänger:innen und Bürger:innen vor der Stadtverwaltung von Şişli protestierten lautstark gegen die Festnahmen.

Auch in der türkischen Großstadt Izmir versammelten sich gegen Mittag Hunderte Personen vor dem CHP-Provinzgebäude und protestierten gegen die Festnahmen am frühen Mittwochmorgen.

"Große Tyrannei"

İmamoğlu veröffentlichte gegen 5 Uhr morgens auf der Plattform X ein Video, in dem er davon sprach, dass Hunderte Polizisten vor seiner Haustür stünden. "Wir stehen vor einer großen Schikane, aber ich möchte, dass Sie wissen, dass ich nicht aufgeben werde", versicherte er seiner Wählerschaft in dem Video.

İmamoğlu verspricht, "aufrecht" zu bleiben. "Ich werde gegen diese Person und ihren Verstand kämpfen, die diesen ganzen Prozess als Apparat benutzen", so der Bürgermeister. Mit "Person" ist wohl der Staatschef Erdoğan gemeint, dessen Name er offensichtlich hier nicht nennen möchte, um weiteren möglichen Strafverfahren zu ergehen – denn das ist in der Türkei keine Seltenheit.

Terrorvorwürfe gegen Imamoğlu

Hintergrund für die Terrorvorwürfe gegen Imamoğlu sei eine Kooperation zwischen seiner sozialdemokratischen CHP und der prokurdischen Partei DEM bei den Kommunalwahlen, berichtete die Nachrichtenagentur Anadolu.

Dabei hatten beide Parteien zusammengearbeitet, um in Gemeinden die Mehrheit zu gewinnen. Die türkische Regierung sieht die DEM als politischen Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK, welche als Terrororganisation in der Türkei und Europa eingestuft wird. Die CHP streitet diese Terror-Vorwürfe vehement ab. 

Aktuell steht damit auch die große Frage im Raum, ob der Bürgermeister in Istanbul abgesetzt werden könnte – und das nicht ohne Grund. Denn die türkischen Behörden sind in den vergangenen Wochen immer wieder gegen Oppositionspolitiker vorgegangen.

Politiker:innen der CHP und Vertreter:innen der prokurdischen Partei Dem wurden abgesetzt und teilweise durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt.

Über 100 Festnahmen

Türkischen Medien zufolge blieb es nicht bei İmamoğlu – noch 106 weitere Personen sollen verhaftet worden sein, darunter auch Unternehmer und Journalisten. 

Zudem dürften türkische Behörden den Zugang zu zahlreichen sozialen Netzwerken eingeschränkt haben.

 

Bahçeli respektiert Entscheidung der Justiz

Devlet Bahçeli, Vorsitzender der nationalistischen Partei MHP und enger Verbündeter von Staatschef Erdoğan steht hinter den legalen Schritten gegen die Politiker:innen im Lande.

"Die türkische Justiz ist unabhängig, unparteiisch und objektiv", schrieb er auf X. "Es sollte eine gemeinsame Verantwortung sein, den gerichtlichen Maßnahmen gegen den Bürgermeister der Stadt Istanbul mit Geduld und gesundem Menschenverstand zu begegnen und jede Entscheidung der Justiz mit Respekt zu behandeln", fuhr er fort.

Niemand sei "unantastbar, unerreichbar, unzugänglich und unverantwortlich", so Bahçeli.

Zuvor wurde Bahçeli von CHP-Chef Özel kritisiert, dass weder er noch Erdoğan ihn bezüglich der aktuellen Geschehnisse nicht kontaktiert hatten.

Zusammenfassung
  • Wenige Tage vor seiner möglichen Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei ist der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu verhaftet worden – ein wichtiger Kontrahent von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan.
  • Die Vorwürfe sind schwerwiegend: Bestechung, Führung einer kriminellen Organisation sowie Unterstützung einer Terrororganisation.
  • Er ist Mitglied der sozialdemokratischen CHP. Die nannte die Verhaftung einen "Putschversuch gegen unseren nächsten Präsidenten".