International sind Kurzzeit-Premiers rar gesät
ANDRE MARIE (Frankreich, 41 Tage): Der Politiker der radikalen Partei war in den Jahren 1947 und 1954 mehrere Male Minister. Ende Juli 1948 wurde er als Nachfolger des legendären Robert Schuman zum Premierminister berufen, doch musste er schon einen Monat später wieder zurücktreten. Maries Nachfolger wurde sein Vorgänger Schuman, der in weiterer Folge eine wesentliche Rolle für den europäischen Einigungsprozess spielte. In der fünften französischen Republik war der letzte Premier des sozialistischen Präsidenten Francois Hollande, Bernard Cazeneuve, mit 160 Tagen im Jahr 2017 der kürzest dienende Premier.
TSUTOMU HATA (Japan, 64 Tage): Der Chef der "Erneuerungspartei" spielte zwar eine wichtige Rolle bei der Beendigung der fast vier Jahrzehnte dauernden Dominanz der Liberaldemokratischen Partei (LDP) in der japanischen Politik, doch konnte er das bei der Wahl 1993 siegreiche Anti-LDP-Lager nicht zusammenhalten. Als die Sozialisten die Koalitionsregierung im April 1994 verließen, übernahm Hata das Amt des Regierungschefs von Morihiro Hosokawa. Mangels Parlamentsmehrheit trat das Kabinett Hata schon nach dem Beschluss des Budgets Ende Juni zurück, die LDP kehrte daraufhin dank einer Koalitionsvereinbarung mit den Sozialisten an die Macht zurück.
ANNELI JÄÄTTEENMÄKI (Finnland, 69 Tage): Nach dem knappen Wahlsieg ihrer Zentrumspartei wird Jäätteenmäki am 17. April 2003 zur Chefin einer Großen Koalition mit den Sozialdemokraten und der Schwedischen Volkspartei gewählt. Doch schon Mitte Juni musste sie zurücktreten, weil sie das Parlament über die Herkunft von vertraulichen Dokumenten belogen haben soll, die sie im Wahlkampf gegen den damaligen sozialdemokratischen Premier Lipponen verwendet hatte. An der Regierungs- und Parteispitze folgte ihr Matti Vanhanen nach, der dann sieben Jahre lang regierte.
MIHAI RAZVAN UNGUREANU (Rumänien, 88 Tage): Der frühere Außenminister übernahm im Februar 2012 nach dem Sturz des konservativen Premierministers Emil Boc das Ruder in Bukarest. Präsident Traian Basescu wollte Ungureanu als seinen Nachfolger vor den Wahlen im Jahr 2014 aufbauen, doch endete dieser Versuch kläglich. Bereits im Mai musste Ungureanu nach einem Misstrauensvotum im Parlament abtreten, neuer Regierungschef wurde der sozialdemokratische Oppositionsführer Victor Ponta.
TZANNIS TZANNETAKIS (Griechenland, 102 Tage): Der konservative Politiker löste im Juli 1989 den sozialistischen Ministerpräsident Andreas Papandreou ab, und zwar an der Spitze einer Koalitionsregierung mit dem Linksbündnis Synaspismos. Tzannetakis kam zum Zuge, weil der Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND), Konstantinos Mitsotakis, keine Koalitionsregierung anführen wollte. Die Koalition von Konservativen und Kommunisten war aber nur von kurzer Dauer. Nachdem das Linksbündnis dem Kabinett die Unterstützung aufgekündigt hatte, trat Tzannetakis im Oktober 1989 zurück. Nach Neuwahlen, die wieder keine Ein-Parteien-Mehrheit brachten, wurde eine Konzentrationsregierung gebildet, die ebenfalls nur kurze Zeit hielt.
FERNANDO TAMBRONI (Italien, 123 Tage): Von wegen italienische Verhältnisse, der Stiefelstaat ist besser als sein Ruf: Auf immerhin vier Monate brachte es der vergänglichste Hausherr im römischen Palazzo Chigi. Der Christdemokrat Tambroni bildete im März 1960 eine Minderheitsregierung, nachdem sein Vorgänger und Parteikollege Antonio Segni infolge des Koalitionsaustritts der Sozialistischen Partei gestürzt war. Tambronis Kabinett wurde von den Postfaschisten gestützt, was als politischer Tabubruch galt und zu Demonstrationen und Ausschreitungen führte. Unter dem Druck der Öffentlichkeit musste Tambroni im Juli seinen Rücktritt einreichen.
ANDRES TARAND (Estland, 161 Tage): Der Politiker der Zentrumspartei übernimmt im November 1994 von Regierungschef Mart Laar, nachdem dieser über einen Korruptionsskandal gestürzt war. Doch schon im Frühjahr präsentieren die Wähler der Regierungspartei die Rechnung. Nach einer Wahlniederlage muss Tarand im April 1995 den Hut nehmen.
ANDREJ BAJUK (Slowenien, 176 Tage): Nach dem Zerfall einer Großen Koalition aus Liberaldemokraten (LDS) und Volkspartei (SLS) wird im März 2000 der langjährige LDS-Ministerpräsident Janez Drnovsek mittels konstruktivem Misstrauensvotum abgewählt. SLS und konservative Opposition hatten sich auf den aus dem argentinischen Exil zurückgekehrten Finanzfachmann Andrej Bajuk als Regierungschef verständigt. Die Rechtsregierung hält aber nur bis zu den Neuwahlen im Oktober, bei denen die LDS einen triumphalen Sieg einfährt. Drnovsek löst Bajuk Ende November als Premier ab.
JAN OLSZEWSKI (Polen, 182 Tage): In der turbulenten Wendezeit übernimmt der Zentrumspolitiker im Dezember 1991 die Führung einer Fünf-Parteien-Koalition, die aber im Parlament keinen festen Rückhalt hatte. Olszewski bemühte sich vergeblich, die politische Basis seines Kabinetts zu verbreitern. Einer formellen Rücktrittsaufforderung der Christdemokraten leistete Olszewski im Mai 1992 nicht Folge, weswegen es Anfang Juni ein Misstrauensvotum im Parlament brauchte. Olszewskis Nachfolger wurde Waldemar Pawlak von der Bauernpartei PSL, der als Vertrauter von Präsident Lech Walesa galt.
In anderen Staaten waren die Kurzzeit-Regierungschefs durchwegs länger als ein halbes Jahr im Amt, teilweise sogar deutlich länger. In UNGARN kam Peter Boross auf 215 Tage (1993-94), in TSCHECHIEN Josef Tosovsky auf 217 Tage (1997-98), in LETTLAND Vilis Kristopans auf 232 Tage (1998-99), in PORTUGAL Pedro Miguel Santana Lopes auf 238 Tage (2004-5), in LITAUEN Laurynas Stankevicius auf 270 Tage (1996), in KROATIEN Tihomir Oreskovic auf 271 Tage (2016), in SCHWEDEN Ola Ullsten auf 359 Tage (1978-79) und in GROSSBRITANNIEN Alec Douglas-Home auf 364 Tage (1963-64).
In der SLOWAKEI schaffte Igor Matovic 376 Tage (2020-21), in BULGARIEN Philip Dimitrow 417 Tage (1991-92), in DÄNEMARK Poul Hartling 421 Tage (1973-75), in ISRAEL Ehud Barak 611 Tage (1999-2001), in AUSTRALIEN William McMahon 625 Tage (1971-72), in SPANIEN Leopoldo Calvo Sotelo 644 Tage (1981-82). "Kurzzeit-Kanzler" der Bundesrepublik Deutschland ist Kurt Georg Kiesinger mit einer Amtszeit von 1.054 Tagen (1966-69).
Reine Übergangspremiers, die in einigen Staaten nach dem Sturz eines Regierungschefs zwingend ernannt werden mussten, blieben in der Übersicht unberücksichtigt, ebenso wie kürzere Amtszeiten von Premiers, die zuvor oder später neuerlich ins Amt kamen und es so auf eine längere Regierungsdauer brachten.
Zusammenfassung
- Alexander Schallenberg ist mit einer Amtszeit von knapp zwei Monaten nicht nur mit Abstand der kürzest dienende Bundeskanzler der österreichischen Republiksgeschichte, auch international muss man lange nach ähnlichen Fällen suchen.
- In Österreichs Nachbarschaft gab es nur einen Premier, der schon nach weniger als einem halben Jahr den Hut nehmen musste.
- Olszewski bemühte sich vergeblich, die politische Basis seines Kabinetts zu verbreitern.