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Experte: Ohne Brandmauer droht Ende der Demokratie

Heute, 04:02 · Lesedauer 4 min

Die siegreichen deutschen Unionsparteien tun nach Einschätzung des Politikwissenschafters Reinhard Heinisch gut daran, am strikten Nein zu einer politischen Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) festzuhalten. Ein Fall der Brandmauer führe nämlich nicht nur zum "Untergang der konservativen Parteien", sondern auch zu einem "Ende der Demokratie", warnte Heinisch im APA-Gespräch.

"Die Wähler wollen, dass ihre Partei regiert", sagte der Salzburger Populismusforscher. Daher halte ein "Jetzt-erst-Recht-Effekt" bei rechtspopulistischen Parteien vielleicht über eine Wahlperiode an, nicht aber länger, verwies er auf das Beispiel des seit mehreren Jahrzehnten von der Regierungsmacht ausgeschlossenen Vlaams Belang (VB) in Belgien. Durch die Brandmauer könne man solchen Parteien Wähler entziehen, die in der Folge moderatere Parteien wählen.

Hingegen bekämen bürgerliche Parteien ein Problem, wenn sie eine Koalition mit rechtspopulistischen Parteien bilden. Sie verlören zunächst die führende Rolle und würden sich danach überhaupt auflösen, weil ihre Wähler sich fragten, wozu sie noch gemäßigte Parteien wählen sollten, sagte Heinisch. Dies habe sich etwa in Italien, Frankreich oder den Niederlanden gezeigt.

Die Brandmauer könnte laut Heinisch auch einen AfD-Sieg bei der nächsten Bundestagswahl überstehen. "Man wird umgehen müssen mit einer Situation, wo 30 Prozent der Bürger eine Partei wählen, die nicht an die Regierung kommen kann, weil sie undemokratisch ist", betonte er. Man müsse sich nämlich vor Augen halten, dass Parteien wie die AfD "das System verändern" wollten und dies auch tun werden, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen.

Durch die Stärke rechtspopulistischer Parteien "verengt sich das Spektrum möglicher Koalitionen", sagte Heinisch. Gerade von diesem "Mechanismus fehlender Alternativen" lebten aber radikale Parteien, erläuterte er. Zum Umgang mit dieser Situation gebe es zwei Strategien. Entweder man bilde Koalitionen verschiedener Parteien, die einander eine Reihe von "Leuchtturmprojekten" zugestehen oder man sorgte durch Minderheitsregierungen für Abwechslung. Letzteres werde etwa in Skandinavien praktiziert.

In Deutschland gebe es mehr Erfahrungen mit Koalitionen, wobei in der Regel nur eine der beiden Regierungsparteien bei der folgenden Wahl "abgestraft" werde. Heinisch erwartet, dass Union und SPD nach der Bundestagswahl zusammenfinden werden, auch wenn sich die Sozialdemokraten nach ihrem historischen Wahldebakel etwas zieren dürften. Das Chaos werde sich "in Grenzen halten", so Heinisch. Allerdings müssten die künftigen Regierungspartner in ihrer Zusammenarbeit "alles vermeiden, was nach der Ampel aussieht", sagte er mit Blick auf die chaotische Dreier-Regierung aus SPD, Grünen und FDP.

Rechtspopulisten heute "gefährlicher" als vor 20 Jahren

Heinisch sagte, dass rechtspopulistische Parteien heute "gefährlicher" seien als noch vor einigen Jahren, als sie wegen ihrer gegenläufigen Interessen isoliert gewesen seien. "Weidel hätte vor 20 Jahren keinen Elon Musk gehabt", sagte Heinisch. Mit dem Kampf gegen Wokeness gebe es nun ein Thema, "wo man international punkten kann, wo sich die Nationalisten nicht das Wasser abgraben". Zulauf erhielten die Parteien vor allem durch zwei "Treiber": Das Thema Immigration und den Hass auf die Eliten, die den Menschen vermeintlich vorschreiben würden, wie sie zu leben hätten.

Während die klassische Rechte gegen Ausländer auftrat, betonten Parteien wie die FPÖ den Kampf gegen "die da oben". Diese beiden Themen würden jetzt verbunden, was zu einer Annäherung von Parteien wie der AfD und der FPÖ führe. "Die FPÖ kommt von der populistischen Schiene, die AfD von der völkischen", sagte Heinisch. Ein Erfolgsfaktor dieser Parteien sei auch, dass sie eine dominante Stellung in sozialen Medien hätten, wo sie sich einer Sprechweise bedienten, "die bewusst sehr klar ist". Die direkte Kommunikation mit der Basis führe dazu, dass es bei regierenden rechtspopulistischen Parteien länger bis zur Entzauberung dauere. Das sehe man derzeit etwa bei US-Präsident Donald Trump.

Länder mit Mehrheitswahlrecht stärker gefährdet

Insgesamt seien Länder mit Mehrheitswahlrecht entgegen früheren Einschätzungen stärker durch rechtspopulistische Parteien gefährdet. Wenn diese nämlich einmal die Macht übernommen haben, "gibt es fast nichts mehr, um sie aufzuhalten", sagte Heinisch mit Blick auf die USA. Als nächstes dürfte Großbritannien dran sein, wo die Reformpartei bereits den Konservativen den Rang abgelaufen habe und nun "vor einem großen Wahlsieg" stehe. Demokratische Systeme sollten sich vor allem durch eine größere Unabhängigkeit ihrer Institutionen wie Justiz oder auch Medien gegen solche Entwicklungen wappnen, empfiehlt Heinisch. In Österreich macht ihm diesbezüglich vor allem die Machtfülle des Bundespräsidenten Sorgen, die ein "Einfallstor" für rechtspopulistische Angriffe auf die Demokratie sein könnte. "In Österreich ist das die Hauptgefahr."

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

Zusammenfassung
  • Reinhard Heinisch warnt, dass eine Zusammenarbeit der Unionsparteien mit der AfD das Ende der Demokratie bedeuten könnte.
  • Laut Heinisch könnte eine Brandmauer gegen die AfD moderatere Parteien stärken und verhindern, dass rechtspopulistische Parteien an die Macht kommen.
  • Heinisch sieht in der Stärke rechtspopulistischer Parteien eine Verengung des Koalitionsspektrums und warnt vor den Gefahren für Länder mit Mehrheitswahlrecht.
  • Er betont, dass rechtspopulistische Parteien heute gefährlicher sind als vor 20 Jahren, da sie Themen wie Immigration und Elitekritik nutzen.
  • In Österreich sieht Heinisch die Machtfülle des Bundespräsidenten als potenzielle Gefahr für die Demokratie.