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Experte: Internationale Kritik hinterließ Eindruck auf ÖVP

Die internationale Kritik an den blau-schwarzen Koalitionsgesprächen hat nach Einschätzung des Berliner Politikberaters Karl Jurka bei der ÖVP "Eindruck hinterlassen". "Das weiß ich", sagte Jurka am Dienstag im APA-Interview. Anders als von der ÖVP erwartet sei die Kritik nämlich nicht nur aus Berlin gekommen, sondern auch aus Brüssel, Paris, London und Washington. Zur Furcht vor einem Informationsabfluss an Russland seien auch "irrwitzige Forderungen" der FPÖ gekommen.

Jurka nannte etwa die Ablehnung der Beflaggung mit der Europafahne an Amtsgebäuden. "Das hat im Ausland irritiert, weil es über Orbán hinausgeht", sagte der aus Wien stammende Politikberater. "Man hat die Beharrlichkeit von Kickl in der Europa- und Außenpolitik völlig unterschätzt", sagte der ÖVP-nahe Experte mit Blick auf die bisherige Kanzlerpartei. Dennoch überrasche ihn das sich abzeichnende Aus der Verhandlungen "überhaupt nicht". "Ich habe nicht geglaubt, dass sie zu einem positiven Ergebnis kommen können." In Budget- und Finanzfragen hätten sich FPÖ und ÖVP einigen können, doch in der Europa- und Außenpolitik seien die Differenzen zu groß gewesen.

Der "große Sündenfall" der FPÖ sei die unter dem damaligen Innenminister Herbert Kickl durchgeführte Razzia beim Geheimdienst BVT gewesen. International sei der Eindruck nämlich gewesen, die Razzia "wurde gemacht, um (Kreml-Chef Wladimir) Putin Informationen zu verschaffen". Eben dies habe man nun auch befürchtet.

In den Beziehungen zu Deutschland "würde eine Regierungsbeteiligung der FPÖ großen Schaden für Österreich bedeuten", sagte Jurka. "Wenn die FPÖ mitmischt, wäre das Vertrauen weg." Hingegen wäre es "hilfreich", wenn künftig beide Länder eine Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten hätten. "Man würde gut zusammenarbeiten können."

"Österreich als Schreckgespenst hingemalt"

Ein mögliches Platzen der blau-schwarzen Regierungsträume werde keinen Einfluss auf den deutschen Bundestagswahlkampf haben. "Österreich spielt keine Rolle mehr", sagte Jurka. Schließlich sei das Thema einer Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) nach entsprechenden Äußerungen des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz "vom Tisch".

Die österreichische Politik habe in Deutschland zuletzt zu Zeiten des SPÖ-Kanzlers Bruno Kreisky (1970-83) eine ähnlich prominente Rolle gespielt wie im aktuellen Wahlkampf, räumte Jurka ein. "Österreich wurde als Schreckgespenst hingemalt", sagte er mit Blick auf eine mögliche FPÖ-geführte Bundesregierung. In diesem Zusammenhang sei es zu einer Gleichsetzung der FPÖ mit der AfD gekommen, die aber "nicht korrekt" sei. Während nämlich die FPÖ in mehreren Bundesländern in Landesregierungen sitze und dies "in einigen Fällen ganz gut" funktioniere, gebe es bei der AfD eine "Gewaltbereitschaft".

Unions-Kanzlerkandidat Merz lief der AfD "in die Falle"

Kritisch äußerte sich Jurka über die Betonung des Asylthemas durch den Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz infolge des tödlichen Messerangriffs von Aschaffenburg. Diesbezüglich habe es beim CDU-Chef einen "Denkfehler" gegeben. "Er hat geglaubt, er kann der AfD ein Thema wegnehmen. In Wirklichkeit hat er ihr geholfen", sagte der Experte. Merz sei der AfD mit seinen selbst in eigenen Reihen als europarechtswidrig angesehenen Anträgen im Bundestag "in die Falle gelaufen", so Jurka. Während die Unionsparteien in den Umfragen unter 30 Prozent der Stimmen gefallen seien, liege die AfD bereits über 20 Prozent.

Nach der Wahl am 23. Februar könnte sich die Regierungsbildung in Deutschland ähnlich problematisch gestalten wie in Österreich, sagte Jurka. Weil die FDP den Wiedereinzug wohl nicht schaffen werde und die Grünen als Koalitionspartner noch stärker abgelehnt werden als in Österreich, laufe es auf eine Große Koalition aus Unionsparteien und SPD hinaus. Ob diese eine Mehrheit haben wird, hänge aber vom Abschneiden der beiden kleineren linken Parteien - Linke und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) - ab. Sollte eine von ihnen den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde knapp verpassen, könnten 44 Prozent für die sogenannte Kanzlermehrheit im Bundestag reichen. Jurka rechnet damit, dass die Union "knapp unter 30 Prozent" erreichen werde und die SPD 16 Prozent, was in diesem Szenario für eine gemeinsame Mandatsmehrheit reichen würde.

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

Zusammenfassung
  • Die internationale Kritik an den Koalitionsgesprächen zwischen ÖVP und FPÖ hat Eindruck hinterlassen, insbesondere durch die Reaktionen aus Berlin, Brüssel, Paris, London und Washington.
  • Die Differenzen in der Europa- und Außenpolitik zwischen FPÖ und ÖVP sind zu groß, um zu einer Einigung zu kommen, obwohl sie sich in Budgetfragen einigen konnten.
  • Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ könnte das Vertrauen in die Beziehungen zwischen Österreich und Deutschland schädigen, während eine Große Koalition in Deutschland nach der Bundestagswahl wahrscheinlich wird.