Experte: Fico geschwächt vor Misstrauensvotum in Slowakei
Aktuell gebe es sieben Rebellen in der slowakischen Regierungskoalition, die sich offen gegen die Koalition stellen: Abgeordnete der nationalistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS) rund um Rudolf Huliak sowie aus der sozialdemokratischen Partei Hlas rund um Samuel Migal. Letztere Gruppe hat sich bereits festgelegt, dass sie den Misstrauensantrag nicht unterstützen werde. Der Wirtschaftswissenschafter Kahanec, der an der Abteilung für Öffentliche Politik der Central European University (CEU) in Wien lehrt sowie Vorstandsmitglied der Academia Europaea ist, erwartet, dass 71 Abgeordnete von Ficos Regierung das Misstrauen aussprechen werden. Für den Sturz wären 76 Stimmen erforderlich.
Kahanec spricht von einer Pattsituation im Parlament. "Die Opposition hat nicht 76 Stimmen, um die Regierung zu stürzen, aber die Koalition hat ebenso oft auch nicht 76 Stimmen, um das Land effektiv zu regieren." Meist habe die Koalition "große Schwierigkeiten", eine Mehrheit in dem 150-köpfigen Parlament zusammenzubekommen. "Ich glaube, dass die Sache irgendwann platzen wird, nicht am kommenden Dienstag, aber sie wird platzen in absehbarer Zukunft." Umfragen deuteten bereits an, dass eine Regierungskoalition der derzeitigen Parteien - Ficos linkspopulistischer Smer, Hlas und SNS - nach Neuwahlen nicht mehr möglich wäre.
Der liberal-progressive Oppositionsführer Michal Šimečka hat das Misstrauensvotum wegen der geopolitischen Ausrichtung des Landes ausgerufen. Šimečka wirft Fico vor, die Slowakei außenpolitisch näher an Russland zu rücken und sich zu wenig um die innenpolitischen Probleme zu kümmern. Ficos Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin Ende Dezember hatte auch in der EU Kritik hervorgerufen.
Fico hatte Putin besucht, um mit ihm über die russischen Gaslieferungen zu sprechen, weil das Gas-Transitabkommen mit der Ukraine am 1. Jänner ausgelaufen war und der Slowakei damit hohe Transitgebühren abhanden kommen. Gleichzeitig drohte Fico Kiew, die Versorgung des Nachbarlandes mit Notstrom und die Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge einzustellen. "Er bewegt sich auf ziemlich dünnem Eis", sagt Kahanec. Der Experte glaubt nicht, dass Fico schwerwiegende Vergeltungsmaßnahmen gegen die Ukraine durch das Parlament brächte. "Er hat also nur das in der Hand, was er als Premierminister selbst umsetzen kann."
Der Regierungschef steht innenpolitisch aber auch wegen eines hohen Budgetdefizits und Problemen im Gesundheitssystem unter Druck. Als große innenpolitische Herausforderungen der Slowakei bezeichnet Kahanec die nachhaltige Gestaltung der öffentlichen Finanzen, Streiks im Gesundheitssektor, Schwierigkeiten im Bildungssystem, Mängel im Rechtsstaat und eine Schwächung der demokratischen Institutionen, eine problematische Sicherheitslage sowie zunehmende Spannungen und Ungewissheit. Symbolische Debatten wie die Einführung einer neuen Nationalhymne würden die Emotionen weiter anheizen, berichtet der Experte. Regelmäßige Demonstrationen gegen die außenpolitische Ausrichtung des Landes und gegen die umstrittene Kulturpolitik erhöhen den Druck auf Ficos Regierung weiter.
Besonders umstritten ist die Politik der nationalistischen Kulturministerin Martina Šimkovičová (SNS). "Sie zerstört nationale Einrichtungen und Institutionen von nationaler Bedeutung", indem sie die Direktoren von Nationalgalerie, Nationalmuseum und Nationaltheater durch "sehr unfähige", aber loyale Leute ersetze, betont Kahanec. Durch eine Medienreform, die unter anderem den Umbau des öffentlichen Rundfunks beinhaltet, unterdrücke sie zudem die Pressefreiheit sowie die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks.
Dabei würden Fake News und Desinformation in der Slowakei "eine große Rolle" spielen. "Mitarbeiter von Desinformations-Medien haben Geld in Umschlägen von russischen Agenten erhalten." Diese Bedrohung durch Einflussnahme ausländischer Mächte, die nach Ansicht des Experten nicht nur die Slowakei betreffe, müsse effektiv angegangen werden.
Das Schussattentat vom Mai des Vorjahres habe Fico verändert, berichtet Kahanec. Fico sei früher ein differenzierter Politiker gewesen. Doch nach den Massendemonstrationen 2018 infolge der Ermordung des Investigativjournalisten Ján Kuciak, die zum Sturz von Ficos damaliger Regierung geführt hatten, das Attentat sowie Drohungen der Vorgängerregierung, Fico ins Gefängnis zu stecken, wurde Fico ein immer konfrontativerer Politiker. Er sei "getrieben von Emotionen, inneren Ängsten und dem unbedingten Willen, die Macht nicht zu verlieren", erklärt der Experte. Fico verfüge nur über einen "sehr engen Kreis von Leuten, denen er vertraut".
Trotz starker Kritik an Brüssel sehe Fico sein Land offiziell als festen Bestandteil der NATO und der Europäischen Union. "Er wiederholt das immer wieder." Tibor Gašpar, der stellvertretende Parlamentspräsident seiner Partei, deutete jedoch bereits einen möglichen Austritt der Slowakei aus der EU und der NATO an. Auch wenn Hlas und Präsident Peter Pellegrini sofort ihre Besorgnis darüber äußerten, schließt Kahanec eine Abkehr von der europäischen Ausrichtung bei Fico nicht aus, sollte sich die aktuell generell proeuropäische Stimmung in der Bevölkerung ändern, möglicherweise angeheizt durch Falschnachrichten und Desinformation.
Zusammenfassung
- Die slowakische Regierung unter Robert Fico steht vor einem Misstrauensvotum, das sie überstehen wird, jedoch ohne langfristige Stabilität.
- Experten zufolge ist Fico innenpolitisch geschwächt, da er nur eine brüchige Mehrheit im Parlament hat und sieben Rebellen in der Koalition gegen ihn stehen.
- Für einen Sturz der Regierung wären 76 Stimmen notwendig, jedoch wird erwartet, dass nur 71 Abgeordnete das Misstrauen aussprechen.
- Fico gerät wegen seiner außenpolitischen Ausrichtung auf Russland und der Vernachlässigung innenpolitischer Probleme, wie dem hohen Budgetdefizit, unter Druck.
- Die umstrittene Politik der nationalistischen Kulturministerin und die Bedrohung durch Fake News erhöhen den Druck auf Ficos Regierung.