EU-Kommission beantragt Sanktionen gegen Polen
"Unter dem Vorwand des Rechts haben wir es hier mit einer Aggression gegen Polen zu tun", schrieb Justizminister Zbigniew Ziobro am Dienstag auf Twitter. Man könne das nur in diesen Kategorien kommentieren, als "juristischen hybriden Krieg", schrieb Ziobro weiter. "Wenn wir die Aktivität und die Aggression der EU-Kommission gegenüber Polen mit der Untätigkeit gegenüber Deutschland vergleichen, muss man das so auffassen."
"Die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs (...) wurden in Polen nicht vollständig umgesetzt", erklärte dagegen die zuständige Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova zur Beantragung der Finanzsanktionen. Deswegen gehe man nun den nächsten Schritte, um der Situation Rechnung zu tragen. "Die Justizsysteme in der gesamten Europäischen Union müssen unabhängig und fair sein", kommentierte Kommissionschefin Ursula von der Leyen.
Über den Antrag auf finanzielle Sanktionen muss nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden. Ihre Höhe könnte sich theoretisch auf ein tägliches Zwangsgeld in sechsstelliger Höhe belaufen. In einem anderen Fall hatte der EuGH Polen 2017 eine Strafzahlung in Höhe von mindestens 100.000 Euro pro Tag angedroht. Damals hatte das Gericht Polen angewiesen, die Abholzung des geschützten Urwalds Bialowieza einzustellen.
Die Kommission hatte der nationalkonservativen PiS-Regierung in Warschau zuletzt ein Ultimatum bis Mitte August gesetzt, um eine weitere Eskalation des Streits zu verhindern. Davor hatte der EuGH Mitte Juli geurteilt, dass Polen mit der Disziplinarkammer gegen europäisches Recht verstößt. Zudem wurde das Land mit einer einstweiligen Anordnung aufgefordert, die Bestimmungen auszusetzen, mit denen die Disziplinarkammer ermächtigt wird, über Anträge auf Aufhebung der richterlichen Immunität sowie über Fragen zur Beschäftigung und Pensionierung von Richtern zu entscheiden. Der Beschluss betraf zudem noch weitere Bestimmungen des polnischen Rechts, die die Unabhängigkeit von Richter betreffen.
Polen hatte daraufhin angekündigt, dass die umstrittene Disziplinarkammer in ihrer derzeitigen Form abgeschafft werden soll. Sie arbeitet derzeit aber noch weiter alte Fälle ab. Nach Angaben der Nachrichtenagentur PAP gab es bei der Kammer im August 66 bereits laufende Verfahren gegen Richter, davon 19 Disziplinarverfahren und 24 Verfahren um die Aufhebung der richterlichen Immunität.
Erst am Montag stand ein solches Verfahren gegen einen Richter des Obersten Gerichtshofs auf der Agenda der Kammer. Die Sitzung wurde jedoch abgesagt, da einer der zuständigen Richter abwesend war. Wie aus der Webseite des Obersten Gerichtshofes hervorgeht, sind in den kommenden Wochen weitere Sitzungen der umstrittenen Kammer geplant.
Sie galt bisher als das Herzstück der von der PiS-Regierung initiierten Justizreformen. Die Kammer kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen. Kritiker dieser Einrichtung befürchten, sie könne dazu dienen, Richter für unliebsame Entscheidungen zu maßregeln.
Als ein weiteres Mittel gilt das Zurückhalten von EU-Geldern. Derzeit verweigert die EU-Kommission Polen unter Verweis auf Rechtsstaatlichkeitsprobleme die Zustimmung zu Plänen zur Verwendung von EU-Corona-Hilfen. Dies führt dazu, dass dem Land bisher kein Geld ausgezahlt werden konnte. Für Polen stehen eigentlich rund 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen bereit.
Zusammenfassung
- Die EU-Kommission verschärft mit einem Antrag auf finanzielle Sanktionen gegen Polen ihr Vorgehen gegen die Justizreformen des Landes.
- Hintergrund ist insbesondere die fortgesetzte Tätigkeit der Disziplinarkammer zur Bestrafung von Richtern, wie die Brüsseler Behörde am Dienstag mitteilte.
- Sie ist nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs nicht mit EU-Regeln zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz vereinbar.