Entführungen in Sahelzone - Experten: Kriminelles Kidnapping
Das erklärten Experten gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur EFE. So sagte der auf die Sahelzone spezialisierte Journalist Ali Ansari, in den konkreten Zonen, in der die Entführungen mutmaßlich stattfanden, seien keine Jihadisten-Gruppen aktiv.
Experte: "Kriminelle Banden" stecken hinter Entführung
Ansari äußerte gegenüber EFE daher die Einschätzung, dass hinter den Taten kriminelle Banden stecken, die diese Aktivitäten gegen Lösegeld durchführen. Er widersprach damit Angaben des spanischen Außenministeriums. Dieses hatte am Donnerstag die "Entführung eines spanischen Staatsbürgers in Nordafrika" bestätigt.
Zwei mit den Ermittlungen vertraute Personen erklärten in Folge gegenüber EFE, der Spanier sei von Mitgliedern einer jihadistischen Gruppe entführt worden. Nach unbestätigten vorläufigen Informationen soll der Spanier nach Mali gebracht worden sein. Zuvor hatte es geheißen, bei dem Entführungsopfer handle es sich um eine Frau. Diese Angaben wurden später aber revidiert.
Der Präsident des Internationalen Zentrums für Studien und Überlegungen zur Sahelzone (CIRES), Seidik Abba, beklagte im EFE-Interview seinerseits eine Verschlechterung der Sicherheitslage in der Sahelzone: "Heute gibt es mehr Opfer in der Zivilbevölkerung als unter den Sicherheitskräften".
Aus Entführungen Profit schlagen
Entführungen in der Sahelzone würden oft von jihadistischen Gruppen wie der Unterstützungsgruppe für den Islam und die Muslime (JNIM, ein Al-Kaida-Ableger) und dem Islamischen Staat in der Größeren Sahelzone (ISGS) durchgeführt. Es gebe aber auch in der Region aktive kriminelle Gruppen. Diese würden generell versuchen, aus Entführungen Profit zu schlagen. Dies könne auch in den beiden aktuellen Fällen der Hintergrund sein. Mitunter werde auch versucht, die Geiseln an ihre jeweiligen Regierungen oder an Jihadisten zu verkaufen.
In Mali beispielsweise, das seit 2020 von einer Militärjunta regiert wird, habe die Zahl der Entführungen von Einheimischen und auch von religiösen oder ethnischen Persönlichkeiten zugenommen, so die Experten. Diese würden sehr oft von kriminellen Gruppen durchgeführt. Diese würden die Schwäche der Zentralregierung ausnutzen, um Menschen, manchmal einfache Bauern, gegen Geld zu entführen. Es gab auch mehrere Entführungen westlicher Staatsangehöriger in dem Land. Im Mai 2022 kidnappte die JNIM drei Italiener, die im Februar 2024 wieder freigelassen wurden. Analysten zufolge distanziert sich die jihadistische Organisation seit diesem Zeitpunkt von den Entführungen.
Ihr Rivale in der Sahelzone, die ISGS führt ebenfalls Entführungen durch, tötet aber in vielen Fällen die Geiseln. So behauptete die Terrororganisation in ihrem wöchentlichen Bulletin vom Donnerstag, in dieser Woche bei mehreren Anschlägen im Kongo 21 Menschen entführt zu haben. Bei diesen Angriffen, die sich gegen christliche Zivilisten richteten, kamen ebenfalls Dutzende von Menschen ums Leben, und viele der Opfer wurden nach der Geiselnahme hingerichtet.
Niger - seit 2023 ebenfalls von einer Militärjunta regiert - ist ein weiteres Land in der Region, das unter Entführungen leidet. Im Oktober 2020 entführte eine unbekannte bewaffnete Gruppe Philip Walton, einen 27-jährigen Amerikaner, aus einem nigrischen Dorf an der Grenze zu Nigeria. Der Amerikaner wurde eine Woche später bei einer von US-Spezialkräften durchgeführten Operation im Norden Nigerias gerettet. US-Medien berichteten damals, dass seine Entführer versuchten, Walton an in der Sahelzone operierende terroristische Gruppen zu verkaufen.
Die jüngste Entführung in dem Land fand am vergangenen Samstag (11. Jänner) statt, als nicht identifizierte Bewaffnete eine 72-jährige Österreicherin aus der nördlichen Wüstenstadt Agadez entführten. Die Frau ist seit 1996 mit dem von ihr gegründeten privaten Kulturverein Amanay im Niger aktiv und gilt dort als gut vernetzt. Die islamistische Terrormiliz JNIM, der regionale Ableger der Al-Kaida, dementierte jedoch eine Beteiligung an der Aktion in einer über ihre Netzwerke veröffentlichten Erklärung.
Der Experte Seidik Abba beklagte, dass die Konflikte in der Sahelzone aufgrund des Kriegs in der Ukraine und des Konflikts im Nahen Osten auf der internationalen Agenda in den Hintergrund getreten seien, und schlug vor, "die Strategien zu ändern, um bessere Ergebnisse zu erzielen".
Der Niger kämpft wie seine Nachbarländer Mali und Burkina Faso gegen Gruppen, die mit den Terrororganisationen Al-Kaida und dem Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehen. Die Kämpfe haben in den vergangenen zehn Jahren in der zentralen Sahelzone Westafrikas Tausende Menschen getötet und Millionen vertrieben.
Abba zufolge kann Algerien - das derzeit als nicht-ständiges Mitglied den rotierenden Vorsitz im UN-Sicherheitsrat innehat - trotz seiner Spannungen mit einigen Sahelländern eine wichtige Rolle spielen und versuchen, den Konflikt in dieser Region auf die internationale Agenda zu setzen.
Die Sahelzone, die sich von Senegal im Westen bis nach Djibuti im Osten Afrikas zieht, leidet aber auch extrem unter dem Klimawandel, der Dürre und damit Hunger- und Durstkatastrophen verursacht. Sie erlebte in den vergangenen Jahren eine historische Nahrungsmittelkrise. Auch Teile Ostafrikas waren von einer schlimmen Dürre heimgesucht.
Insgesamt waren nach UNO-Angaben mehr als 60 Millionen Menschen betroffen. Hauptgründe für die Rückgänge in der Getreideproduktion auf dem Kontinent sind klimabedingte Dürren und Überschwemmungen, Konflikte, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie Russlands Getreideblockade aufgrund des Ukraine-Kriegs.
Lucia Santabarbara, Analystin beim Internationalen Institut zur Terrorismusbekämpfung (ICT), beschrieb den Klimawandel in der Sahelzone bereits vor fünf Jahren als "eine der gefährlichsten Bedrohungen des 21. Jahrhunderts". Extremisten nutzten die zunehmende Instabilität, um mehr Macht und Kontrolle in der Region zu erlangen, so Santabarbara. Einige Gruppen hätten Teile der Bevölkerung aufgerufen, sich ihnen im Tausch gegen Schutz und "humanitäre" Hilfe anzuschließen.
Zusammenfassung
- Die Entführungen in der Sahelzone nehmen zu, wie die Fälle einer Österreicherin in Niger und eines Spaniers in Südalgerien zeigen.
- Experten vermuten kriminelle Banden hinter den Taten, während das spanische Außenministerium jihadistische Gruppen verantwortlich macht.
- Die Sicherheitslage in der Sahelzone verschlechtert sich, mit mehr zivilen als militärischen Opfern, so Seidik Abba.
- Der Klimawandel verschärft die Krise in der Sahelzone, was extremistische Gruppen ausnutzen, um Macht zu gewinnen.
- Mehr als 60 Millionen Menschen in der Sahelzone sind von der Nahrungsmittelkrise betroffen, verursacht durch Klimawandel und Konflikte.