Kurz-Prozess: Urteil, aber lange kein Ende in Sicht
Es könnte nur vorerst das letzte Mal sein, wenn sich Sebastian Kurz am Freitag im großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts auf die Anklagebank setzt. Zumindest könnte dann aber im Falschaussage-Prozess ein Urteil gefällt werden. Rechtskräftig wird es wohl nicht, weitere, andere Prozesse könnten folgen.
Bis es so weit ist, gibt es noch dichtes Programm: Richter Michael Radasztics startet am Freitag schon um 8.30 Uhr, denn vor einer möglichen Entscheidung müssen noch zwei Zeugen befragt werden.
Wie gewichtig der mögliche Ausgang für alle Beteiligten ist, ist auch an der für ein Delikt wie mutmaßlich falsche Zeugenaussage doch recht langen Dauer des Prozesses ersichtlich.
PULS 24 mit den wichtigsten Fragen und Antworten vor dem - nun möglicherweise - letzten Prozesstag.
Diese Urteile sind möglich
PULS 24 Moderator Thomas Mohr über den Kurz-Prozess.
Was muss am Freitag noch geklärt werden?
- Zunächst soll jener russische Geschäftsmann als Zeuge aussagen, der sich beim letzten Termin überraschend krank meldete. Er wird in der österreichischen Botschaft in Moskau erwartet und via Video-Call befragt werden. Auch er soll zum angeblichen Bewerbungsgespräch mit Thomas Schmid aussagen, in dem Schmid laut Kurz-Verteidigung gesagt haben soll, von der WKStA unter Druck gesetzt worden zu sein.
- Noch vor der Mittagspause soll dann nochmal Thomas Schmid aussagen. Er sagte als Zeuge bereits zwei Tage lang aus - jedoch nicht zum angeblichen Bewerbungsgespräch. Auch er wird via Video-Call befragt werden - der Belastungszeuge wohnt mittlerweile in Amsterdam.
- Nach der Mittagspause sollen dann die Schlussplädoyers gehalten werden - zuerst sprechen üblicherweise die Oberstaatsanwälte der WKStA, dann die Verteidiger.
- Dann bekommen die Angeklagten Sebastian Kurz und Bernhard Bonelli die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge nochmal darzulegen.
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Am Schluss wird Einzelrichter Michael Radasztics ein Urteil verkünden.
Was droht den Angeklagten?
Sebastian Kurz und Bernhard Bonelli wird von der WKStA vorgeworfen, sie hätten bei ihren Befragungen im Ibiza-U-Ausschuss 2020 ihre Rolle bei Postenbesetzungen in der Staatsholding ÖBAG kleingeredet - also falsch ausgesagt. Die beiden bestreiten das. Kurz meinte, er sei nur "informiert, im Sinne von involviert" gewesen.
Thomas Schmid hingegen behauptete, Kurz habe ein Veto bei Personalentscheidungen gehabt.
Der Richter hat nun folgende Möglichkeiten:
Schuldspruch: Folgt der Richter den Darstellungen der Anklagebehörde und des Belastungszeugen Schmid, drohen Kurz und Bonelli theoretisch bis zu drei Jahre Haft. Die Höchststrafe gilt allerdings als äußerst unwahrscheinlich, denn die beiden Angeklagten sind bis dato unbescholten. In solchen Fällen werden oft bedingte Strafen verhängt.
Würde die Strafe ein Jahr nicht übersteigen, dann könnte stattdessen auch eine Geldstrafe verhängt werden.
Freispruch: Hält der Richter Schmid für unglaubwürdig oder meint, Kurz und Bonelli hätten gar nicht falsch ausgesagt - ihre Aussagen seien nur falsch interpretiert worden - könnten Kurz und Bonelli freigesprochen werden. Kurz würde sich in seinen Verbalattacken gegen die WKStA bestätigt sehen, die einen Freispruch aber wohl anfechten würde.
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Aussagenotstand: Hätten Kurz und Bonelli tatsächlich bei den Postenbesetzungen mitgeredet, wäre dies wohl gar nicht strafbar gewesen. Dennoch führten Kurz und Bonelli ausführlich aus, sie hätten bei ihren Aussagen im U-Ausschuss Angst gehabt, sie könnten von der Opposition angezeigt werden. Die Stimmung sei feindselig gewesen, sie seien nicht gut vorbereitet gewesen.
Die beiden versuchten einen argumentativen Spagat: Sollte ihnen der Richter nicht glauben, dass sie die Wahrheit gesagt haben, so hätten sie aus irrtümlicher Angst vor Strafverfolgung falsch ausgesagt.
Würde der Richter dieser Darstellung folgen, würde ein Freispruch erfolgen - allerdings würde gleichzeitig feststehen, dass die Angeklagten gelogen haben.
Kurz und Bonelli müsste in diesem Fall aber auch nicht zumutbar gewesen sein, dass sie wussten, dass Mitsprache bei den ÖBAG-Postenbesetzungen nicht illegal gewesen wäre.
Ein Freispruch im Zweifel könnte erfolgen, wenn der Richter der Ansicht ist, dass auch nach zwölf Prozesstagen nicht festgestellt werden konnte, ob die Angeklagten bei den Postenbesetzungen involviert waren oder nicht.
Wie geht es nach Freitag weiter?
Ein wirkliches Ende ist wohl noch lange nicht in Sicht, das Urteil wird am Freitag eher nicht rechtskräftig werden. Bei einem Freispruch würde wohl die WKStA in Berufung gehen, bei einer Verurteilung die Verteidigung. Die nächste Instanz ist das Oberlandesgericht.
Kurz legt nach wie vor viel Wert auf sein Image. Das zeigen seine Medienauftritte bei Gericht, sein Pressesprecher im Gerichtssaal und die Tatsache, dass sich Kurz nie auf die Anklagebank setzt, bis die Kamerateams den Saal verlassen haben. Das Image würde nicht nur im Falle einer Verurteilung Kratzer erhalten.
Auch bei einem Freispruch, der mit dem Aussagenotstand argumentiert wird, stünde fest, dass die Angeklagten gelogen haben. Das Problem für die Angeklagten: Gegen einen Freispruch könnten sie nicht berufen, um etwa einen makellosen Freispruch zu erreichen. In dem Fall würde das aber wohl ohnehin die WKStA für sie übernehmen.
Es steht aber nicht nur das Image von Kurz und Bonelli am Spiel. Es geht auch um jenes von Thomas Schmid. Er ist selbst Beschuldigter in zahlreichen Verfahren, will aber den Kronzeugenstatus erhalten. Je nachdem, ob ihm in diesem Prozess geglaubt wird oder nicht, wird das Auswirkungen auf seinen Status und mögliche weitere Prozesse gegen Sebastian Kurz und andere haben.
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Was spricht für die Angeklagten?
Die beiden Angeklagten betonten mehrmals, dass die Situation im U-Ausschuss für sie wie in einem "Verhör" gewesen sei, sie hätten Angst gehabt, ihnen würden strafbare Handlungen nachgesagt werden. Daher hätten sie sich beim U-Ausschuss auf formelle Prozesse bezogen - nach welchen eben der damalige Finanzminister Hartwig Löger für die Besetzungen zuständig gewesen sei. Die WKStA würde ihre Worte verdrehen und gegen sie auslegen.
Die meisten Zeugen - darunter die ehemaligen Finanzminister Hartwig Löger und Gernot Blümel (ÖVP) - unterstützten mit ihren Aussagen eher die Angeklagten. Vor allem bei Löger blieb allerdings das "Erinnerungsdilemma" in Erinnerung.
Interpretationen: Anders als von Kurz dargestellt, geht es im Prozess weniger um einzelne Worte, sondern grundsätzlich um die Frage, wie sehr die Angeklagten bei den Personalentscheidungen mitgemischt haben. Dennoch können einzelne Beweis-Chats wohl auf verschiedene Arten interpretiert werden.
Das wohl berühmteste Beispiel: Kurz hatte an Schmid geschrieben: "Kriegst eh alles was du willst." Der ehemalige ÖVP-Chef will das nun im Sinne von "bitte krieg einmal den Hals voll" gedeutet wissen.
Ein anderes Beispiel: Laut der Verfahrensordnung des U-Ausschusses müssen Aussagen dort "wahrheitsgemäß" erfolgen. Die Verteidigung argumentiert, dass dies nicht die Vollständigkeit beinhalten würde.
Kurz, Bonelli, aber auch Blümel betonten bei der Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Chef, dass dieser den Posten selbst unbedingt haben wollte. Alle drei sagten allerdings aber auch, dass sie Schmid durchaus für geeignet hielten.
Angebliche Befangenheit des Richters: Kurz-Anwalt Otto Dietrich stellte im Laufe des Prozesses einen Befangenheitheitsantrag gegen Richter Radasztics. Dieser habe in der Causa Eurofighter ermittelt und sein mit Peter Pilz befreundet. Der Richter wies den Antrag zurück. Im Falle eines Schuldspruches wird die Verteidigung die Vorwürfe wohl aber wieder auspacken, auch werden sie im Instanzenzug wohl wieder vorgebracht werden.
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Was spricht gegen die Angeklagten?
Gegen die Angeklagten sprechen vor allem die Aussagen von Thomas Schmid. Dieser wiederholte vor Gericht gelassen seine Vorwürfe aus den Einvernahmen bei der WKStA. Der Kern der Aussagen: Das Bundeskanzleramt habe bei jeglichen Personalentscheidungen mitbestimmt, Kurz habe ein Vetorecht gehabt.
Der Ex-Kanzler brachte vor, dass Schmid die Aussagen tätigen würde, weil dieser in anderen Verfahren Beschuldigter sei und Kronzeuge werden wolle. Sollte sich allerdings herausstellen, dass Schmid lügt, wird aus dem Kronzeugenstatus wohl nichts.
Um Schmids Glaubwürdigkeit anzugreifen, sollten für Kurz und Bonelli zwei russische Geschäftsleute aussagen. Ihnen gegenüber soll Schmid gesagt haben, die WKStA habe ihn unter Druck gesetzt, die Russen versicherten das in eidesstattlichen Erklärungen.
Bisher sagte nur einer der Geschäftsleute aus - gab allerdings bekannt, dass die eidesstattliche Erklärung von Kurz' Anwalt formuliert worden sei und dass Schmid den Druck nicht wörtlich erwähnt habe - das sei eher seine Interpretation gewesen.
Siegfried Wolf und die Russland-Connection
Kurz sah es als Beweis dafür an, dass seine Wünsche nicht immer durchgingen, dass Unternehmer Siegfried Wolf nicht Aufsichtsratschef wurde. Im Prozess stellte sich allerdings heraus, dass dafür Wolfs Russland-Connections verantwortlich waren.
Gleichzeitig zum Aussagenotstand (siehe oben), wurde von den Beschuldigten dennoch immer wieder erwähnt, dass das Mitmischen bei den Personalentscheidungen gar nicht strafbar gewesen wäre - warum sollten sie also mit Vorsatz lügen? Die WKStA glaubt, es sei Kurz um die Angst vor einem möglichen Reputationsverlust gegangen - schließlich habe er einen "neuen Stil" versprochen.
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Zusammenfassung
- Am kommenden Freitag könnte im Falschaussage-Prozess gegen den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli ein Urteil fallen.
- Was droht den Angeklagten? Wie läuft der vermutlich letzte Prozesstag ab, wie geht es danach weiter und warum ist der Tag auch für den Zeugen Thomas Schmid so wichtig?
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