Bosnien-Repräsentant: Zerfall würde Region destabilisieren
"Serbien ... sollte ein Eigeninteresse haben, dass Bosnien-Herzegowina zusammenbleibt", betonte er mit Blick auf Spekulationen, dass die Regierung in Belgrad Unabhängigkeitsbestrebungen des bosnisch-serbischen Präsidentschaftsmitglieds Milorad Dodik unterstützen könnte. Ein punktueller Zerfall in der Vielvölkerregion würde immer die gesamte Region erfassen. Er habe aber auch den Eindruck, dass dies alle Nachbarn Bosnien-Herzegowinas so sehen.
Schmidt hatte dem UNO-Sicherheitsrat am Donnerstag einen alarmierenden Bericht über Spannungen in Bosnien vorgelegt. Eine Spaltung stehe zwar nicht direkt bevor, betonte er im Reuters-Interview, fügte aber hinzu: "Das Eskalationspotenzial ist vorhanden." Hintergrund sind vor allem verstärkte Versuche Dodiks, die serbische Teilrepublik aus den Gemeinschaftsinstitutionen des Landes zu lösen.
Schmidt forderte, dass sich die internationale Gemeinschaft verstärkt um die Entwicklung in dem Land kümmern müsse. Er verwies auf die Ankündigung Dodiks, die gemeinsame Armee aufzuspalten und eigene serbische Verbände zu schaffen. "Wenn sich das bewahrheitet, dann ... müssen wir uns in der internationalen Gemeinschaft schon sehr, sehr, sehr ernsthafte Gedanken machen, wie wir da weiterkommen", betonte Schmidt.
1995 war mit dem Friedensabkommen von Dayton der dreieinhalbjährige Krieg zwischen bosnischen Serben, Kroaten und Bosniaken beendet worden, indem das Land entlang ethnischer Linien in zwei autonome Regionen aufgeteilt wurde - die serbisch dominierte Serbische Republik (Republika Srpska) und die von Kroaten und Bosniaken gemeinsam getragene Föderation. Serbische Nationalisten hatten den Zusammenhalt des Bundesstaates aber immer wieder infrage gestellt.
Als Hoher Repräsentant hätte Schmidt die Befugnis, Politiker abzusetzen, die gegen das Dayton-Abkommen arbeiten. 26 Jahre nach dem Abkommen sollten solche Eingriffe aber durch Wahlen und das bosnische Verfassungsgericht geschehen, sagte Schmidt. Das Verfassungsgericht habe bereits etliche Gesetze gestoppt, die gegen die Einheit des Landes gerichtet waren. Zugleich forderte der Hohe Repräsentant, dass internationale finanzielle Hilfe für das Land an konkrete Bedingungen geknüpft werden müsse. "Sowohl Gelder des IWF als auch der EU, insbesondere Corona-Geld, sind gezahlt worden, ohne dass es eine Konditionalität gegeben hat", kritisierte er. "Ich bin sehr dafür, dass das wieder zukünftig sehr, sehr viel schärfer gehandhabt wird."
Schmidt machte deutlich, dass auch die anderen Bevölkerungsteile, Kroaten und Bosniaken, für Probleme mitverantwortlich seien. So habe man seit drei Jahren keine Regierung bilden können. Dabei müssten eigentlich alle drei Volksgruppen an einem Strang ziehen, um das gravierendste Problem zu lösen: 70 Prozent der Jugendlichen gäben an, dass sie mangels Perspektiven das Land verlassen wollten.
Angesprochen auf die Rolle Russlands äußerte sich Schmidt zurückhaltend. Er unterstelle Moskau nicht, Bosnien spalten zu wollen. Es sei viel mehr so, dass Russland in etlichen "potenziell schwierigen Gebieten" wie Belarus (Weißrussland) oder der Ukraine eine andere Herangehensweise als der Westen habe. Es gebe "jetzt keine ganz konkreten Positionen", Bosnien zu schaden. Allerdings räumte er ein, dass die russische Regierung zwar ihm seine Wertschätzung ausgedrückt habe, aber nicht gegenüber seinem Amt als Hoher Repräsentant.
Russland und China hatten zuletzt verhindert, dass Schmidt seinen Bosnien-Bericht im UNO-Sicherheitsrat vortragen durfte. Sie stimmten dann aber der Verlängerung der Mission EUFOR/ALTHEA mit 600 internationalen Soldaten in Bosnien für ein weiteres Jahr zu.
Schmidts Vorgänger als internationaler Bosnien-Beauftragter, der österreichische Diplomat Valentin Inzko, sagte in einem Interview mit den "Oberösterreichischen Nachrichten" (Samstag-Ausgabe), die "verbale Eskalation" habe "besorgniserregend zugenommen". Auf die Frage, ob er eine Abspaltung der Republika Srpska und damit ein endgültiges Auseinanderbrechen des Staates befürchte, antwortete er: "Nein! Es gibt aber Drohungen seitens des bosnisch-serbischen Politikers Milorad Dodik und dem muss ein Ende gemacht werden."
Ein EU-Beitritt aller Staaten des Balkans wäre aus Sicht Inzkos "langfristig das Richtige". Er könnte sich auch "die Vorabverteilung von Fördermitteln vorstellen oder die Teilnahme von Ministern vom Balkan bei manchen EU-Sitzungen, aber noch ohne Stimmrecht, etc." Gefragt, was sein Nachfolger Schmidt dazu beitragen könne, um Bosnien-Herzegowina in sicheres Fahrwasser zu bringen, sagte Inzko, dieser sei "sein ganzes Leben Politiker" gewesen. "Er bringt eine enorme politische Erfahrung mit und wird diese in die Waagschale werfen. Entscheidend wird aber auch die Unterstützung durch die Quint-Länder sein (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien)." Inzko hatte das Amt im Sommer nach zwölf Jahren an den Deutschen übergeben.
Zusammenfassung
- Der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina, Christian Schmidt, warnt davor, dass ein Zerfall des Westbalkan-Landes die ganze Region destabilisieren und den EU-Kurs Serbiens gefährden könnte.
- "Es wird schwieriger", sagte Schmidt in einem am Samstag veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters auf die Frage, was eine Abspaltung des serbischen Teils Bosniens für die EU-Beitrittsgespräche Serbiens bedeuten würde.