Bedrohte Ukraine organisiert ihr Heer um
Der neue Heereschef Drapatyj habe die russische Offensive im östlichen Gebiet Charkiw erfolgreich zum Stillstand gebracht, sagte der Präsident. Außerdem beförderte er Oleh Apostol, bislang Oberst und Kommandeur einer Brigade, zum stellvertretenden Oberkommandierenden. Die Neuernannten sollten die Kampffähigkeit der Armee erhöhen, sagte Selenskyj bei einer Sitzung mit seiner Militärführung in Kiew. Einen weiteren Brigadekommandeur, Oberst Pawel Palissa, habe er zum stellvertretenden Leiter seines Präsidialamtes ernannt, damit er besser über die Lage an der Front informiert werde.
Im Gebiet Donezk im Osten der Ukraine rücken russische Truppen seit Monaten langsam, aber stetig vor. Den ukrainischen Verteidigern fehlt es an Waffen und Soldaten. Deshalb beorderte Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj Reserven an die besonders bedrohten Frontabschnitte Pokrowsk und Kurachowe im Donbass im Osten. Es gehe darum, Pläne des Gegners zu vereiteln, "die weit über diese Frontabschnitte hinausgehen", hieß es aus dem Militär.
Die heftigsten Gefechte gab es dem Lagebericht des Generalstabs zufolge auch am Freitag wieder bei Pokrowsk und Kurachowe. Die Städte liegen am westlichen Rand des Bergbau- und Industriereviers Donbass. Daran schließt sich eine offene Steppenlandschaft bis zum Fluss Dnipro an. Ein Durchbruch würde der russischen Armee den Weg zu den wichtigen Großstädten Dnipro und Saporischschja eröffnen.
Im östlichen Teil der Ukraine herrschte in der Nacht auf Samstag wieder Luftalarm, weil die Luftwaffe russische Kampfdrohnen am Himmel ortete. Für den Tag wurden in mehreren Regionen Stromabschaltungen erwartet, um das Energiesystem nach Schäden durch russische Raketenangriffe in dieser Woche zu stabilisieren.
Die Ukraine könnte nach Äußerungen Selenskyjs einem Waffenstillstand mit Russland zustimmen, wenn die NATO ihren Schutz auf die von Kiew beherrschten Teile des Landes ausdehnt. Bei einem Waffenstillstand brauche sein Land Garantien, "dass Putin nicht wiederkommt", sagte er in einem Interview des britischen TV-Senders Sky News.
"Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, sollten wir das Territorium unter den Schutzschirm nehmen, das wir unter Kontrolle haben", sagte Selenskyj laut englischer Übersetzung. "Das müssen wir schnell tun. Und dann kann die Ukraine die anderen Gebiete auf diplomatischem Wege zurückerlangen."
Kiew habe diesen Weg bisher nicht in Betracht gezogen, weil niemand in der NATO ihn offiziell vorgeschlagen habe, sagte Selenskyj. Außerdem müsse eine NATO-Einladung trotzdem an die gesamte Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen ergehen. Sein Land habe nicht das Recht, besetzte Gebiete als russisch anzuerkennen.
Die Forderung nach einer sofortigen NATO-Einladung gehört zu seinem sogenannten Siegesplan, den er im Herbst in Washington, Berlin und anderen Hauptstädten vorgestellt hat. Allerdings sperren sich gerade die wichtigen NATO-Staaten USA und Deutschland dagegen, einen schnellen Pfad für die Ukraine in das westliche Bündnis festzulegen. Auch die bisher aus der künftigen US-Regierung von Donald Trump bekanntgewordenen Pläne sehen für Kiew keinen Beitritt vor. Russland lehnt eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ohnehin kategorisch ab.
Zusammenfassung
- Im Gebiet Donezk rücken russische Truppen seit Monaten langsam vor, was die Ukraine dazu zwingt, Reserven an die bedrohten Frontabschnitte zu verlegen, um die russischen Pläne zu vereiteln.