Auschwitz-Überlebender als Mut-Macher für Schüler
Schülerinnen und Schüler von fünf Gymnasien und zwei Berufsschulen hatten zwei Säle eines Kinos in Wien-Landstraße sowie einen Kinosaal in Graz gefüllt, um sich den Film "Botschafter des Erinnerns" der Wiener Regisseurin Magdalena Żelasko anzusehen und danach eine Stunde lang in einem Videotelefonat mit dem Hauptprotagonisten des Films zu diskutieren. Zalewski war als polnischer Widerstandskämpfer im September 1943 gefasst worden und überlebte danach die Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen und Gusen. Im Film erzählt er an den Originalschauplätzen von seinen Erfahrungen, geistreich und ungeschönt, aber mit einer klaren Botschaft der Menschlichkeit.
Der Film, der im vergangenen September seine Weltpremiere feierte, wurde insgesamt schon von 2.000 Schülerinnen und Schülern im Kino gesehen. Sie hatten auch die Gelegenheit zu Diskussionen mit Zalewski, entweder unmittelbar nach der Vorführung oder später in separaten Videotelefonaten. Für die erste Jahreshälfte haben sich weitere 1.000 Personen für Vorführungen angemeldet, so Żelasko gegenüber der APA.
"Wir bräuchten mehr Menschen so wie ihn. So viel Lebenserfahrung sollte man sich zu Herzen nehmen", bilanzierte die 18-jährige Helena nach der Vorführung im APA-Gespräch. Ihr Schulkollege Simon betonte, dass das Thema im Geschichteunterricht "komplett anders rüber" komme und man ohne Zeugnisse der Überlebenden nicht wirklich wisse, was damals passiert sei.
Gab es auch "schöne Momente" im Vernichtungslager?
Tatsächlich zeigten die Fragen der Schülerinnen und Schüler deutlich, dass historische Fakten nur bedingt beim Begreifen der damaligen Ereignisse helfen. Die Fragen kreisten vor allem um Eindrücke, Gefühle und alltägliche Erfahrungen Zalewskis, der im Alter von 18 Jahren nach Auschwitz gekommen war. So wurde er gefragt, wie er sich bei der Ankunft im Vernichtungslager gefühlt habe und ob es dort auch schöne Momente gegeben habe. "Solche Momente gab es sehr viele. Das war nämlich die Methode, wie wir uns gegenseitig Mut machten, wenn wir miteinander lachten", erzählte Zalewski.
Im Austausch mit Schülern gewinnen die Aussagen Zalewskis an Authentizität, war er doch während seines Martyriums so alt wie seine Gesprächspartner heute. So wurde er nach seinem Jugendtraum gefragt und nannte umgehend den Erwerb des Kapitänstitels sowie eine Weltumsegelung. Doch statt eine Jacht zu bauen, ging er nach der Besetzung Polens durch NS-Deutschland im September 1939 in den Widerstand. Als Automechaniker "reparierte" er Wehrmachtsfahrzuge so, dass sie nach der Verlegung an die Front ihren Geist aufgaben.
Die Rückkehr in die Normalität nach dem Krieg sei ihm "sehr schwer gefallen", sagte er auf eine weitere Schülerfrage. Sein Wohnviertel in Warschau sei dem Erdboden gleichgemacht gewesen, sein einziges Vermögen eine US-Armeeuniform gewesen. "Was soll ich tun? Wie soll ich weiterleben?" seien seine ersten Gedanken nach der Rückkehr im Juli 1945 gewesen.
"Laura, da muss ich Sie enttäuschen"
Mehrmals wird er gefragt, ob es im Konzentrationslager lebensgefährliche Situationen gegeben habe und er die Hoffnung verloren habe. "Laura, da muss ich Sie enttäuschen", sagte er auf die Frage einer Grazer Schülerin. Schon bei seiner Verhaftung im September 1943 habe er nämlich begonnen, durchgehend "ein Gebet an mich" zu sprechen. "Ich redete mir ein: Ich muss zurück zu meiner Familie. Es gibt Psychologen, die behaupten: Wenn man sich etwas sehr einredet, dann wird das auch wahr", so Zalewski.
Unzweideutig ist auch, was der Auschwitz-Überlebende der heutigen Jugend mitgeben möchte. "Ich wünsche allen jungen Menschen, dass sie in Zeiten leben, in denen sie keine tragischen Ereignisse zu gewärtigen haben", sagte er. Und wie von einem Widerstandskämpfer zu erwarten, ist dieser Wunsch auch mit einem klaren Auftrag zum Engagement für die Humanität verbunden. "Jeder von euch Schülern sollte entscheiden, wer und was er sein will und was er später anderen Gutes tun kann. Das ist meine Botschaft."
S E R V I C E : Informationen zum Film und Vorführungen unter https://www.never-again.site/de
(Von Stefan Vospernik/APA)
Zusammenfassung
- 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz diskutierte der 99-jährige Überlebende Stanisław Zalewski per Videotelefonat mit 600 Schülern in Wien und Graz.
- Der Film 'Botschafter des Erinnerns' von Magdalena Żelasko zeigt Zalewskis Erfahrungen und wurde bereits von 2.000 Schülern gesehen.
- Zalewski betont die Bedeutung von Menschlichkeit und Hoffnung und gibt jungen Menschen den Auftrag, sich für Humanität zu engagieren.
- Schüler äußerten, dass die Zeugnisse von Überlebenden einen anderen Zugang zur Geschichte bieten als der reguläre Unterricht.
- Zalewski spricht über die Kraft des Glaubens und der Hoffnung, die ihm geholfen haben, in lebensgefährlichen Situationen zu überleben.