Virtuos: "Das Buch der Macht" von Ilja Trojanow
Einwände, da gebe es doch mit Niccolo Machiavellis "Il Principe" seit über 500 Jahren einen unübertroffenen Klassiker, wischt er beiseite, indem er besagte Anleitung zum gewissenlosen, aber erfolgreichen Herrschen mit einbezieht. Zusammen mit vielen anderen, von Aristoteles und Sallust über Shakespeare und Voltaire, indischen Dichtern und persischen Denkern bis zu Simone Weil und Hannah Arendt, kommentiert er als vielstimmiger Chor auf den linken Buchseiten das Geschehen rechts davon.
Die Zitate, Anmerkungen und Einwendungen links, kundig ausgewählt und kommentiert von Trojanow, heben sich in roter Schrift von der blauen Schriftfarbe der Gegenseite ab. Das ist Teil der grafischen Gestaltung von Kosmos Design, die auch dieses Buch der Anderen Bibliothek zu einem Schmuckstück macht. Aber was ist nun auf den rechten Seiten zu lesen?
Michailowski habe mit seinem Buch wohl auf die in dem Land, das sich eben erst seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich erkämpft hatte, von den Großmächten installierte Monarchie reagiert, schreibt Trojanow. Der satirische Rundumschlag gegen den sich über alle ethischen Prinzipien hinwegsetzenden Machtpragmatismus der Herrschenden ist in Istanbul angesiedelt. Dort spürt der greise Wesir Abdulrahman Pascha, dass seine Lebenszeit zu Ende geht, und er ruft seinen Neffen, den er als seinen Nachfolger auserkoren hat, zu sich, um ihn in die Kunst der Machterringung und -ausübung einzuweisen.
Fünfzehn Tage Klartext über Machtmissbrauch
Fünfzehn Tage redet er Klartext. Es braucht weder die klug ausgesuchten und eingefügten Anmerkungen noch das kundige Nachwort um zu erkennen, dass hier genau jene Art der rücksichts- und haltlosen Politik beschrieben wird, die derzeit alles Liberale und Aufgeklärte niederwalzt - auch wenn der Name Trump erst auf Seite 38 erstmals auftaucht, der Name Musk gar erst auf Seite 265 ("Der Wesir würde im Silicon Valley nicht wenige Brüder im Geiste finden.").
Ilija Trojanows Großleistung bei der Popularisierung und Aktualisierung dieses vergessenen Großpoems besteht allerdings in der Nachdichtung. Als er als 20-jähriger Jus-Student das Buch von seinem Onkel, einem langjährigen politischen Gefangenen im kommunistischen Bulgarien, geschenkt bekam, habe er sich durch den altmodischen Duktus und die anspruchsvolle Schreibweise, bei der zur gewählten Reimform auch noch eine polyglotte Vielsprachigkeit und unverkennbare Gelehrtheit hinzukam, beim Lesen sehr schwer getan, schreibt er. Mit einer freien Nachdichtung in Prosa habe er versucht, die Inhalte zu retten, ohne die Form ganz zu verraten. Man muss anerkennen: Dieses Kunststück ist ihm gelungen.
Ernüchternd ist allerdings die Gewissheit, dass derzeit jede Erklärung aus dem Weißen Haus dem "Buch der Macht" ein neues Kapitel hinzufügt - ganz ohne literarischen Anspruch allerdings. Trojanow dagegen hat nicht nur Zitate gesammelt, sondern auch manche produziert. Etwa: "Alle Macht geht nicht vom Volk aus, sondern von der Fügsamkeit des Volkes."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Ilija Trojanow: "Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt", Die Andere Bibliothek, 276 Seiten, 26,80 Euro)
Zusammenfassung
- Ilja Trojanow hat Stojan Michailowskis Werk aus dem Jahr 1897 als 'Das Buch der Macht' neu interpretiert, um die zeitlose Relevanz von Machtmissbrauch aufzuzeigen.
- Das Buch kombiniert Originaltexte mit Kommentaren von Denkern wie Machiavelli und Arendt und enthält aktuelle Bezüge zu Trump und Musk.
- Mit 276 Seiten und einem Preis von 26,80 Euro ist das Buch ein grafisch ansprechend gestaltetes Werk der Anderen Bibliothek.