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"Verdammt viel Arbeit": Werk X-Direktoren sagen adieu

Unter dem Titel "Ich will kein Theater, ich will ein anderes Theater" setzt man im Werk X mit vier Jelinek-Texten einen intensiven Schlusspunkt unter die Ära der beiden Leiter Harald Posch und Ali Abdullah in Wien-Meidling. Im APA-Interview analysieren sie ihre Aufbauarbeit im ehemaligen Kabelwerk, kritisieren die Umstände der Bestellung ihrer Nachfolgerin und sprechen über ihr Abschlussprojekt, das am 27. April mit einem Doppelabend startet und am 13. Mai ins Finale geht.

APA: Im Herbst 2014 haben Sie hier im Kabelwerk in Meidling das Werk X aus der Taufe gehoben, nun endet Ihre letzte Saison als Theaterleiter. Ihr Resümee?

Harald Posch: Es war verdammt viel Arbeit. Schon allein deshalb, weil der Ort ja ganz anders aufgesetzt war, bevor wir ihn übernommen haben. Unsere Vorgänger hatten schon aus budgetären Gründen nur die Möglichkeit, den Raum als Kulturzentrum zu betreiben, wo sie selbst nichts produzieren konnten und sich somit mit einer Profilsetzung schwerer getan haben. Wir mussten den Ort quasi komplett neu erfinden. Das ist natürlich eine wunderschöne Aufgabe, die uns auch großen Spaß gemacht hat. Wir kamen ja von der Garage X und hatten dadurch ein klares Profil im Gepäck. Im ersten Bezirk sind wir damals kapazitätsmäßig aus allen Nähten geplatzt, da war es ein logischer Schritt, hier her zu kommen. Wir waren damals das erste Theater Wiens, das sich außerhalb des Gürtels mit einem Vollzeitspielplan aufgestellt hat und versuchen musste, hier Publikum zu interessieren.

APA: Um den Vorurteilen über die Peripherie zu begegnen, haben Sie damals mit "Mythos Meidling" eröffnet...

Posch: Meidling war ein Mythos, über den jeder glaubte, irgendwas zu wissen. Aber wie Meidling heute funktioniert und tickt, wissen nur die, die hier wohnen, leben oder arbeiten. Die Erwartungshaltung an uns selbst war natürlich groß. Wir haben uns den Anspruch gestellt, uns in eine Reihe mit anderen gut funktionierenden Mittelbühnen stellen zu können und sozusagen ein jüngeres, ein moderneres, ein zeitgemäßeres Volkstheater im weitesten Sinne des Wortes aufzustellen, aber auch überregional zu punkten, was, glaube ich, ganz gut gelungen ist. Immerhin wurden wir ans Thalia Theater Hamburg, ans Residenztheater München oder nach Berlin und Luxemburg eingeladen.

APA: Wie zufrieden waren Sie mit dem Publikumszuspruch?

Ali Abdullah: Anfangs dachten wir, wir füllen das Werk X mit dem Publikum aus der Garage X. Dort gehen maximal 120 Leute rein, hier sind es dann aber doch 220. Es hat einige Zeit gedauert, bis das Publikum verstanden hat, dass "da draußen" etwas stattfindet, den Weg zum neuen "Theater am Arsch der Welt" gefunden hat und dann gerne und regelmäßig kam.

Posch: Und sehr schnell war dann auch von der Kulturpolitik die Frage da, ob wohl auch die Meidlinger zu uns kommen. Meine Standardantwort war dann, dass in ganz Wien oder in ganz Mitteleuropa drei Prozent der Bevölkerung Kulturinstitutionen frequentieren und daher auch ganz sicher drei Prozent der Meidlinger zu uns kommen. Aber wenn ihr wollt, dass halb Meidling diesen Ort als Kulturort besucht und wahrnimmt, dann machen wir Kabarett und legen uns auf einer Insel in die Sonne. Aber das wollten wir nicht. Wir wollten zeitgenössisches, literaturgestütztes Sprechtheater mit modernen, zeitgenössischen Regie-Handschriften für ein junges Publikum. Und natürlich politisch aufgeladen, dort wo es Sinn macht. Auch waren wir die Ersten, die Regiegrößen wie Herbert Fritsch, Milan Peschel oder Schorsch Kamerun nach Wien brachten. Auch etliche Ur- und österreichische Erstaufführungen von Autor*innen wie Michel Houellebecq, Ibrahim Amir, Tex Rubinowitz oder Shumona Sinha waren dabei.

APA: Gab es auch Versuche, die unmittelbare Nachbarschaft einzubeziehen? Es macht ja wohl etwas mit einem Grätzl, wenn da plötzlich ein Theater kommt.

Abdullah: Mit "Mythos Meidling" haben wir uns ganz bewusst mit dem Ort beschäftigt, haben in der unmittelbaren Umgebung des Theaters mit zehn unterschiedlichen, theatralen Interventionen "Hallo, Meidling, wir kommen" gesagt und uns in weiterer Folge jedes Jahr ein neues Projekt einfallen lassen, das offen partizipativ mit dem Ort kommuniziert - wie zuletzt das Urban Gardening. Im Theaterraum machen wir aber trotzdem unsere Produktionen, die über Meidling hinausstrahlen und vielleicht nicht konkret auf die Menschen, die hier wohnen, eingehen. Meine Theorie ist, dass die Meidlinger*innen, die hier im Kabelwerk, im Schöpfwerk, oder auch im nahe gelegenen Alterlaa im 23. wohnen, diese Orte als Wohn- und Schlafstätte sehen und Kultur im Zentrum genießen möchte. Und das ist vollkommen okay.

APA: Ab wann war der Ort dann etabliert?

Abdullah: Spätestens als wir dann 2015 mit der "Proletenpassion" rauskamen, haben die Leute uns die Bude eingerannt. Wir haben mehr als 50 Vorstellungen gespielt und das hat dann plötzlich auf alle anderen Produktionen gestrahlt, und dann ging es sehr gut. Bis kurz vor der Corona-Zeit ging es hier richtig top, da lag die Auslastung bei über 80 Prozent. Da hatten wir rausbekommen, wie es hier funktioniert. Klar war, dass wir hier anders programmieren müssen als im ersten Bezirk.

Posch: Ein Nachteil war auch, dass man sich hier eben nicht auf das Laufpublikum verlassen kann. Es gibt auch keinerlei Infrastruktur. Wir haben lernen müssen, diese Dinge auch noch mitzudenken.

Abdullah: Im ersten Jahr war es wirklich so, dass wir hier parallel Stadtentwicklung machen mussten. Man hat uns schon ein bisschen alleingelassen mit dem Ort. Wir hätten etwa Gastronomie gebraucht wie in Kampnagel, aber dafür durften keine Kulturgelder aufgewendet werden ...

APA: Die laufende Saison ist die erste ohne Corona-Einschränkungen. Viele Theater leiden immer noch unter der Zurückhaltung des Publikums. Wie läuft es hier bei Ihnen?

Posch: Gut. Also wir dürfen nicht so viel jammern wie andere gejammert haben, ganz ehrlich. Unsere letzte Spielzeit haben wir jetzt strukturell ganz anders aufgesetzt, weil wir auch ein Best-of der vergangenen Jahre zeigen, dazwischen haben wir auch neue Produktionen herausgebracht und jetzt stehen wir vor dem Finale.

APA: Sie bringen vier Texte von Elfriede Jelinek mit unterschiedlichen Regisseurinnen und Regisseuren heraus. Welche Idee steckt dahinter?

Abdullah: Wir wollten am Ende unserer Ära noch einmal eine Autorin oder ein Thema ins Zentrum rücken, das am meisten mit dem zu tun hat, was wir am Theater wollen. Das Jelinek-Zitat, "ICH WILL KEIN THEATER, ICH WILL EIN ANDERES THEATER", das dem Abschlussprojekt voransteht, signalisiert diese, unsere theatrale Suche, vielleicht am klarsten. Nun haben wir gemeinsam mit dem Interuniversitären Forschungsverbund Elfriede Jelinek ziemlich lange recherchiert, welche Werke es gibt, die in Wien oder in Österreich noch nicht zu sehen waren. Für deren Inszenierung haben wir vier Regisseur*innen eingeladen, die uns im Laufe der Zeit wichtig waren, begleitet von einem Symposium des Interuniversitären Forschungsverbundes Elfriede Jelinek. Der Höhepunkt ist, dass am 13. Mai alle vier Positionen hintereinander zu sehen sind. Das bringt vielleicht noch einmal eine nachhaltige Strahlkraft, was das Werk X einmal war, etwas, das übrig bleibt.

APA: Das klingt wehmütig. Mit der Art und Weise, wie Ihre Ablöse vonstatten gegangen ist, sind Sie sichtlich nicht zufrieden ...

Posch: Bei der Ausschreibung, die dann Ende 2021 stattgefunden hat, hat Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler gesagt: "Macht euch keine Sorgen, bewerbt euch wieder!" Auch sie habe sich damals beim "steirischen herbst" noch einmal auf ihren eigenen Job bewerben müssen und ihn wieder bekommen. Also haben wir das gemacht. Dazu kommt, dass wir in den vergangenen Jahren durch den Verbund mit dem Werk X Petersplatz auch strukturell Pionierarbeit geleistet haben. Damit möglichst viel der Gelder für die Künstler*innen und für die Kunst übrig bleibt, haben wir die beiden Unternehmen in einen Verwaltungsverbund gebracht. Das heißt, wir haben zwei GmbHs mit künstlerischen Leitungen, aber nur eine Buchhaltung, nur ein Marketing, nur eine Verwaltungsleitung.

Ausgeschrieben wurde dann plötzlich auch der Posten der Kollegin am Petersplatz. Es kamen aber nur sieben Bewerbungen rein, inklusive unserer eigenen. Dann, am 11. Mai 2022, zwei Stunden vor einer Premiere, kam ein zweizeiliges E-Mail, dass sich die Stadt Wien leider nicht für uns entschieden hat. Ich habe dann ziemlich schnell rausgefunden, dass es sich bei der Nachfolgerin um Esther Holland-Merten aus dem WUK handelt, die erkoren wurde, künstlerisch beide Häuser zu leiten. Alleine. Wir wissen von unserer Petersplatz-Kollegin Cornelia Anhaus, dass sie beim Hearing gefragt wurde, ob sie nicht Meidling auch übernehmen möchte. Und sie hat ganz korrekt geantwortet, dass das so nicht ausgeschrieben ist. Umgekehrt wissen wir, dass sich Esther Holland-Merten nur für Meidling beworben hat und man ihr den Petersplatz sozusagen unter dem Tisch auch noch hingeschoben hat. Das ist nicht nur inhaltlich problematisch, sondern auch kulturpolitisch. Und eine Geschäftsführung wurde überhaupt nicht bestellt, obwohl sich nachweislich einige beworben hatten. Die wurde dann im Nachhinein nochmal ausgeschrieben, für beide Häuser im Verbund.

Wir haben uns erlaubt die Frage zu stellen, ob der Vorgang korrekt ist und ob der allen Vorgaben und der Compliance der Stadt Wien entspricht. Das ging bis ins Präsidialbüro des Bürgermeisters. Und da haben wir dann ein Antwortschreiben erhalten, in dem steht, offiziell am Briefpapier der Stadt Wien, dass die Stadt Wien mit dieser Ausschreibung nichts zu tun hat. Verantwortlich sei ausschließlich der Theaterverein Wien. Da fiel mir gleich der Satz unserer Rechnungshofpräsidentin zum ÖVP-Gebaren ein: "Alles, was rechtlich verboten ist, verbietet sich von selbst. Aber nicht alles, was rechtlich gerade noch erlaubt ist, ist deshalb schon vertretbar."

Abdullah: Also ich finde, wenn die Politik entscheiden möchte, dass sie bei der einen oder anderen Kulturinstitution das Management ändern will, dann ist das deren Recht. Natürlich. Aber wir leben gerade in einer Zeit, wo sowohl die Stadträtin als auch die Staatssekretärin sich mit Vorgängen gegenüber künstlerischen Leiter*innen hervortun, die meiner Meinung nach skandalös sind. Siehe Kunsthalle, Wiener Festwochen oder auch Burgtheater. Überall dort wurde die künstlerische Leitung in eine Bewerbung reingetrieben, wo dann nur am Ende rauskommt, dass man sie eh nie wollte. Wir haben hier einiges aufgebaut und auch andere künstlerische Leiter*innen in dieser Stadt werden sehr schlecht behandelt und in ihrer künstlerischen Arbeit beschädigt. Da sollte man andere Kommunikationswege suchen, bitte.

Posch: Die Beschädigung ist tatsächlich ein Vorgang, den ich so nicht kenne. Auch haben wir bis heute nicht einmal ein Dankeschön bekommen nach 14 Jahren, die wir Theater geleitet haben in dieser Stadt. Man hätte auch im Vorfeld kommunizieren können: "Liebe Leute, eure Zeit ist an diesem Ort vorbei. Danke euch dafür, toll gemacht!" Aber stattdessen ist es sehr kühl und sehr unhöflich abgegangen. Es ist jedenfalls schade, dass es diese Positionen eines gesellschaftspolitisch progressiven Sprechtheaters, die es im Werk X und am Petersplatz gegeben hat, in Wien künftig nicht mehr geben wird. Das hören wir derzeit immer wieder von Kolleg*innen zwischen Berlin und Belgrad. Diese Position fehlt dann ja auch für den Nachwuchs an Schauspieler*innen und Regisseur*innen. Bei den Besetzungen der vergangenen Jahre befürchte ich, dass wir bei einem gewissen Einheitsbrei landen.

APA: Haben Sie beide schon konkrete Pläne für die Zukunft?

Abdullah: Geplant ist ein langer Auslandsaufenthalt bei meiner Familie in Mumbai, Indien, und natürlich jede Menge künstlerischer Projekte danach. Im Moment haben wir aber gar keine Zeit, uns um die Zukunft zu kümmern, erstmal arbeiten wir am SHUT DOWN.

Posch: Nach so vielen Jahren der Leitung wird es jedenfalls für uns beide schön sein, einfach wieder "nur" an großen Bühnen zu inszenieren.

(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - Premieren im Rahmen von "Ich will kein Theater, ich will ein anderes Theater": "Aber sicher! (Eine Fortsetzung"), Regie: Miloš Lolić, Premiere am 27. April, 19.30 Uhr in Kombination mit "Strahlende Verfolger", Regie: Gintersdorfer/­Klaßen; "Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)", Regie: Thirza Bruncken, Premiere am 4. Mai; "Tod-Krank.doc", Regie: Angela Richter, Premiere am 10. Mai. Alle vier Stücke an einem Abend: 13. Mai. Bühne: Katrina Daschner. https://werk-x.at/premieren/ich-will-kein-theater-ich-will-ein-anderes-theater-at/)

ribbon Zusammenfassung
  • Unter dem Titel "Ich will kein Theater, ich will ein anderes Theater" setzt man im Werk X mit vier Jelinek-Texten einen intensiven Schlusspunkt unter die Ära der beiden Leiter Harald Posch und Ali Abdullah in Wien-Meidling.