Ukrainerin Tschajkowska mit Männergewalt-Roman auf Lesetour
Bei "All die Frauen, die das hier überleben", im ukrainischen Original "Porzellanpuppe", handelt es sich um den ersten ins Deutsche übersetzten Roman der 42-jährigen Autorin, die sich selbst eigentlich noch nicht allzu lange ganz auf Literatur konzentriert. Bis kurz vor Beginn der russischen Invasion 2022 sei sie hauptberuflich für die Öffentlichkeitsarbeit des lokalen Arbeitsinspektorats tätig gewesen, erzählte die Ukrainerin im Telefonat mit der APA.
Die ausländische Lesetour, die Tschajkowska in den nächsten Tagen nach Berlin und in Folge auch nach Innsbruck (4. und 6. November), Salzburg (7. November), Graz (8. November) sowie Wien (9. November) führen wird, ist für sie ebenso eine Premiere. "Ich habe den großen Wunsch, dass möglichst viele Menschen von ukrainischer Literatur erfahren und es ist für mich umso mehr in dieser Zeit eine große Ehre, mein Land zu vertreten", kommentierte die Schriftstellerin.
Im Roman, dessen Handlung zwischen 2016 und 2021 und in Tschajkowskas nordwestukrainischer Heimatstadt Luzk spielt, berichtet eine jungen Frau über ihr Leben: In der ersten Person erzählt sie dabei zunächst vom Begräbnis ihres gewalttätigen und unter fragwürdigen Umständen verstorbenen Ehemanns. Anschließend folgt eine mehr als 300-seitige Rückblende, die die Genese ihres Martyriums und die Vorgeschichte dieses Todes oder Mordes rekonstruiert. "Die Geschichte selbst ist von mir von Anfang bis Ende ausgedacht", sagte die Autorin. Freilich ohne Namen zu nennen habe sie jedoch Episoden aus dem Leben von Bekannten verwendet, die sie zuvor um Erlaubnis gefragt habe.
In ihrem Buch gebe es ein Opfer und einen Gewalttäter, der ohne jeden Grund Böses tue, schilderte die Autorin. "Männer machen das - so scheint mir, weil sie glauben das tun zu können und sie stärker, kräftiger, größer sind", sagte sie. Analog könne aber auch die aktuelle Situation in der Ukraine verstanden werden: "Wir lebten friedlich, wir lebten einfach unsere Leben. Aber Russland, das sich für groß und mächtig erachtet und in dem einfach imperiale Ambition herrschen, erachtete, dass es uns erneut Böses antun kann", erklärte sie. Wie ein Gewalttäter in der Familie denke auch Russland, dass es einfach das Recht dazu habe.
Die Vorgeschichte des russischen Überfalls vom 24. Februar 2022, die Annexion der Krim oder der hybride Krieg im Donbass, kommen im Leben und Alltag von Tschajkowskas Romanfiguren indes nicht vor. Ihr Buch sei vor etwa zwei Jahren finalisiert worden und sie habe derartige Elemente nicht eingefügt, weil dies die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Thema wegführen würde, erläuterte sie. "Darüber wird es vielleicht andere Bücher geben", sagte sie.
Der Krieg hat sich jedoch jedenfalls auf jene Literatur ausgewirkt, die Tschajkowska zwischenzeitlich geschrieben und teils auch veröffentlicht hat: 2023 erschienen in der Ukraine zwei historische Romane der Luzkerin - über den Holodomor sowie den Terror der Stalinzeit. "Auch wenn es mir schwer fällt, will ich über Geschichte schreiben, besonders über die Zeit der Sowjetunion, als Russland wieder einmal das ukrainische Volk vernichtete", erzählte sie. Sie sei dabei in Kontakt mit Historikern, die ihre Manuskripte auf faktische Richtigkeit überprüften. Der Krieg habe wohl diese Hinwendung zu historischer Literatur beeinflusst, erläuterte die Autorin.
Im Vergleich zu Großstädten sei das Literaturleben in ihrer kleinen Heimatstadt Luzk freilich nicht zu stürmisch. Aber selbst während des Kriegs habe es öffentliche Präsentationen ihrer Bücher, Auftritte im Fernsehen gegeben und seien Begegnungen in Buchhandlungen und Bibliotheken organisiert worden, schilderte die Schriftstellerin. Man lerne, unter den aktuellen Umständen zu leben. Angesichts von Stromabschaltungen sowie Raketenbeschüssen von Kraftwerken hätten Präsentationen im Herbst 2022 dabei wiederholt verschoben werden müssen, beklagte sie. "Bei Schriftstellerkollegen ist es auch vorgekommen, dass während einer Präsentation Luftalarm ausgerufen wurde. Sie wurde aber nicht beendet, so leicht geben wir uns nicht geschlagen, sondern wurde im Bunker weitergeführt", erzählte Tschajkowska.
(Das Gespräch führte Herwig G. Höller/APA)
(S E R V I C E - Natalja Tschajkowska: "All die Frauen, die das hier überleben", Deutsch von Jutta Lindekugel, Haymon Verlag, 368 S., 24,50 Euro)
Zusammenfassung
- Noch vor Erscheinen des Originals hat sich der Innsbrucker Haymon Verlag 2022 die Rechte an einer deutschsprachigen Ausgabe eines Romans der Ukrainerin Natalja Tschajkowska über Gewalt gegen Frauen gesichert.
- Vorweg sprach sie mit der APA über ihre Literatur und die Auswirkungen des Kriegs auf das Kulturleben in Luzk.
- Der Krieg habe wohl diese Hinwendung zu historischer Literatur beeinflusst, erläuterte die Autorin.