APA/Le Complexe Café-Théâtre

"Ukraine, mon amour" berührt bei Off-Festival in Avignon

Es waren noch zwei Wochen bis zur Premiere, als der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg begann. Die in Frankreich lebende ukrainische Schauspielerin Irina Lytiak probte gerade ihre Rolle in einem Stück, das ein russischer Regisseur in einem Theater in Lyon auf die Bühne bringen wollte. Auf Facebook entdeckte sie, dass er einer gemeinsamen Freundin in Kiew erklärte, dass sie nicht jammern solle, da die Ukraine den Krieg selbst zu verantworten habe.

"Ich war geschockt, als ich das las", sagte sie. "Wir haben dann zwei Stunden geredet und uns gegenseitig vorgeworfen, von der Propaganda unserer jeweiligen Regierung beeinflusst zu sein", erinnert sich die 40-Jährige. "Dann waren wir uns einig, dass wir nicht mehr zusammen arbeiten konnten", fügte sie hinzu. Das Stück wurde abgesagt. Lytiak schrieb stattdessen ein eigenes Stück über ihr Heimatland, das sie zuerst in Lyon aufführte, und das sie bis 29. Juli auf dem Off-Theaterfestival im südfranzösischen Avignon zeigt.

Die Schauspielerin, die mit ihrem französischen Mann und ihrer Tochter seit einigen Jahren in Frankreich lebte, haderte anfangs mit sich, ob sie in die Heimat zurückkehren sollte. "Ich kann mit einer Kalaschnikow umgehen und Lastwagen fahren, das habe ich gelernt, weil ich in Actionfilmen spielen wollte", sagt sie. Doch ihre Familie hielt sie davon ab.

Ihre Entscheidung fiel schnell: "Mir war plötzlich klar, dass ich von der Ukraine erzählen musste." Zwei Wochen blieben ihr bis zur Premiere ihres Stückes, das sie "Ukraine, mon amour" (Ukraine, meine Liebe) nannte. Gemeinsam mit ihrem Schauspielkollegen Francois Mayet machte sie sich an die Arbeit. Die ersten Zuschauer reservierten ihre Plätze, als das Stück noch nicht mal fertig war.

Mit dem Beginn des Krieges waren Lytiak ihre Kindheitserinnerungen intensiv ins Gedächtnis gekommen: die Urgroßmutter, eine ehemalige Ballerina, die ihren ersten Tanzschritten zusah; die mit Alufolie verklebten Fenster nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl; die bunten Lebensmittelmarken, die sie als Kind versehentlich zum Basteln benutzt hatte.

Auf der Bühne entsteht vor ihren Augen die Wohnung in Kiew, die kein Wohnzimmer hatte und Sofas statt Betten. Lytiak erinnert sich, wie in ihrer Familie Russisch und Ukrainisch gesprochen wurde, ohne einen Unterschied zu machen. Ihr Vater war nach Moskau gezogen, wo sie ihn oft besuchte.

"Ich wollte nicht vom Krieg sprechen, ich wollte von meinem Land erzählen", sagt die 40-Jährige. Das Stück vermischt die Erinnerungen der Autorin mit der Geschichte ihres Landes, den russischen Versuchen, die ukrainische Sprache und Kultur zu unterdrücken.

Das Publikum in Avignon zeigt sich berührt. Am Ende der Aufführung bleiben viele noch, um mit der Schauspielerin zu reden. "Mich beunruhigt es sehr, was dort passiert", sagt Marie-Pierre Rouger, die das Stück gerade wegen seines aktuellen Charakters sehen wollte. "Es zeigt, welche Folgen der Krieg auf die Beziehungen von Menschen hat, selbst wenn sie weit entfernt von ihrer Heimat leben."

Lytiak hat seit eineinhalb Jahren keinen Kontakt mehr zu dem russischen Regisseur, mit dem sie zuvor so eng zusammengearbeitet hatte. "Putin tötet Menschen. Und er zerstört die Freundschaft zwischen ihnen", sagt sie. "Ich hoffe, dass wir am Ende des Kriegs wieder miteinander reden können."

(S E R V I C E - https://www.festivaloffavignon.com/programme/2023/ukraine-mon-amour-s33991/ )

ribbon Zusammenfassung
  • Es waren noch zwei Wochen bis zur Premiere, als der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg begann.
  • Die in Frankreich lebende ukrainische Schauspielerin Irina Lytiak probte gerade ihre Rolle in einem Stück, das ein russischer Regisseur in einem Theater in Lyon auf die Bühne bringen wollte.
  • "Putin tötet Menschen. Und er zerstört die Freundschaft zwischen ihnen", sagt sie.
  • "Ich hoffe, dass wir am Ende des Kriegs wieder miteinander reden können."