Theatergruppe geht mit Strauss-Stück im Dianabad nicht baden
Zuerst geht ins ab in den Flieger. "Buon giorno!" werden die Gäste herzlich von einer Flugbegleiterin begrüßt. Ein Video erklärt die Spielregeln des Abends. Mobiltelefone sind nicht gestattet. Die Touristen sind herzlich dazu eingeladen, den Figuren zu folgen, mitzuspielen und auch hin und wieder die Touristengruppe zu wechseln. So erlebt praktisch jeder und jede eine ganz eigene Kette von Ereignissen. Man wird in Gespräche verwickelt, springt für die Masseurin ein, und trinkt auch mal ein Glas Prosecco oder Espresso.
Mit Capra Airlines geht es ins italienische Sorrent. Ein Gong erklingt. Das Anschnallsignal. Ein leises Dröhnen an Board. Die Turbinen. In nur wenigen Minuten befinden wir uns in dem malerischen Ort an der Bucht von Neapel - um genau zu sein, wurde das ehemalige Dianabad zu Ehren des Strauss-Jahres in das Hotel Nesterval umgebaut (großes Kompliment an Andrea Konrad für das detailverliebte Bühnenbild) und auch Intendant Roland Geyer befindet sich unter den Reisenden. Nachdem man von einem freundlichen Concierge begrüßt wurde, kann man in Hotelzimmern und auch im Saunabereich intimen Gespräche über Geschlecht, Liebe und Identität lauschen, und dabei zusehen, wie eine Hochzeit unter Palmen im Giardino in einer Katastrophe endet.
Die immersive Theatertruppe rund um Martin Finnland (künstlerische Leitung & Regie) und Teresa Löfberg (Dramaturgie & Buch) hat die Operette "Fürstin Ninetta" von Johann Strauss neu interpretiert. Das Werk wurde, so liest man's, zwischen der Premiere am 10. Jänner 1893 und dem Jahr 1905 in etwa einem Dutzend Theater des Kaiserreiches mit gutem Erfolg gespielt, dann gründlich vergessen. Dabei hat die dreiaktige Operette alles, was man sich für eine Seifenoper wünscht: Ein junges Liebespaar mitten im Wirbel um Eifersucht, Intrigen und Mordverdacht, ein Verwechslungsspiel im dekadenten Walzertaumel eines Nobelhotels. Wie queer ist die Strauss-Operette? Frauen spielen Männer und Männer spielen Frauen. Im Gegensatz zu manch österreichischer Partei, begreift das queere Volkstheater die eigene Identität als eine fluide und ein lebendiges Ding - wie das Wasser eben, dass hier einst durch die Rutschen wirbelte.
Nesterval versetzt die Handlung in die 1970er. Es ist Silvester. Im Hotel steigt auch Superstar Ninetta (Mio Riedl) ab, zunächst verkleidet als junger Mann namens Carolino. Die männlichen Gäste wollen mit ihr schlafen und die weiblichen Gäste werfen sich ihm an den Hals. Als die genderfluide Titelheldin verschwindet, glauben die Gäste, sie sei vom geheimnisvollen Kassim (Chris Pfannebecker) ermordet worden - ein Türke, der wegen seiner Herkunft attackiert wird.
Viele Handlungssequenzen des Stücks stellen sich als komische Nummern dar, wie sie als Sketche auch im Varieté der Zeit zu finden gewesen wären. Nesterval-Kopf Finnland gibt den Bademeister mit Schnauzer und Trillerpfeife, der dann auch gleich mit dem Mythos aufräumt, dass man Ertrinkende bewusstlos schlagen soll. Da ist die Mutter des Bräutigams (eine glorreiche Anne Wieben), die sich bei der Gesichtsbehandlung im Wellnessbereich darüber echauffiert, dass das Hotel nur drei Sterne hat, oder der Brautvater (ein urkomischer Christopher Wurmdobler), der die schlechtesten und herrlichsten Witze erzählt.
Aus dem Ensemble mit über 20 Schauspielern stechen auch Astôn Matters als krebskranke Katharina und natürlich Mio Riedl als Fürst*in Ninetta mit leuchtenden Augen hervor. "Für mich ist kein Platz in den Köpfen der Menschen", sagt sie traurig. "Alle haben sie ein eindeutiges Geschlecht, aber keine Selbstachtung." Was ist echt und was ist wahr? Diese Frage muss wohl jeder Tourist an diesem Abend für sich selbst beantworten.
Die Uraufführung der Strauss'schen "Ninetta" am Theater an der Wien war jedenfalls damals ein enormer Erfolg. 74 Vorstellungen wurden en suite gespielt - alle ausverkauft. In der Ehrenlogen saß sogar Kaiser Franz Joseph und wenn man den Opernzeugen glauben darf, dann gratulierte der Kaiser Johann Strauss ausdrücklich zu seiner neuen Operette: "Überhaupt scheint Ihre Musik ebenso wenig zu altern wie Sie selbst." Gesungen wurde an diesem Abend zwar nur ein Lied, aber die Fürstin mit Sternchen war ein großer Erfolg (für alle Serien-Fans: es gibt einen Hauch von "The White Lotus)". Auch die Nesterval-Vorstellungen sind schon alle ausverkauft, aber mit ein wenig Glück, kann man vielleicht noch Karten in der eigens eingerichteten Tauschbörse auf Instagram ergattern.
(Von Marietta Steinhart/APA)
(S E R V I C E - "Nestervals Fürst*in Ninetta" im Dianabad, 2., Wien. Regie: Martin Finnland, Buch: Teresa Löfberg, Martin Finnland, Eva Deutsch, Johannes Scheutz, Choreografie: Jerôme Knols, Bühnenbild: Andrea Konrad, Kostümbild: Dritan Kosovrasti, Mit: Laura Athanasiadis, Rita Brandneulinger, Gellert Gerson Butter, Pam Eden u.a. Weitere Aufführungen am 19., 21., 22., 24., 25. Februar und 1., 4., 5., 6., 9., 10., 11., 12. März. März. https://www.nesterval.at/2025-fuerstin-ninetta)
Zusammenfassung
- Am 15. Februar feierte 'Nestervals Fürst*in Ninetta' Premiere im stillgelegten Dianabad in Wien.
- Die Inszenierung ist eine Neuinterpretation der Strauss-Operette 'Fürstin Ninetta', die 1893 uraufgeführt wurde.
- Das Stück behandelt Themen wie Geschlecht und Identität und spielt in den 1970er Jahren in einem Hotel.
- Die Aufführung ist interaktiv und die Zuschauer werden in die Handlung einbezogen.
- Alle Vorstellungen sind ausverkauft, jedoch gibt es eine Instagram-Tauschbörse für Karten.