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"Szenen einer Ehe" im Volx: Markus Öhrn seziert Eskalation

Die langsame Eskalation ist seine Spezialität: Bereits bei den Wiener Festwochen 2018 hat der schwedische Regisseur Markus Öhrn, der eigentlich aus der bildenden Kunst kommt, mit seiner fünfstündigen Produktion "Häusliche Gewalt" demonstriert, wie schmerzlich explizit man auf toxische Mann-Frau-Beziehungen blicken kann. Im Volx Margareten nimmt er sich nun Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" an und stülpt das Innere dieser Ehe im wahrsten Sinne des Wortes nach außen.

Es beginnt, wie stets bei Öhrn, in scheinbarer Harmlosigkeit: Aus den Lautsprechern plätschert eine Glockenspiel-Version von "Für Elise", aus dem Off erzählt Öhrn auf Englisch im Stile eines Märchenonkels, dass er sich zur Vorbereitung in Bergmans Archiv umschauen konnte und dort für ihn erhellende handschriftliche Notizen zu dem 1973 zunächst als sechsteilige TV-Serie und später als kürzer gefasster Film veröffentlichten Projekt fand. "Was immer das auch sein soll", habe Bergman damals notiert. Diesen Satz habe sich Öhrn nun selbst als Motto vorgegeben. "Viel Spaß", raunt der Regisseur auf Deutsch, bevor sich der Vorhang auftut und die erste von vier Szenen beginnt. Und wider Erwarten kam aus dem Publikum bei der Premiere am Donnerstagabend tatsächlich immer wieder vereinzeltes (wohl aber auch hilfloses) Lachen, wenn die Gewalt ins Absurde kippte und allerlei Gedärm auf der Bühne verteilt wurde.

Zunächst scheint aber noch alles gut: Das Ehepaar Johan (Elias Eilinghoff) und Marianne (Bettina Lieder) sitzt Arm in Arm auf einem Sofa, um für eine Zeitschrift ein Interview als Vorzeige-Ehepaar zu geben. Auch diesmal setzt Öhrn auf groteske Hartmasken, die den Protagonisten mit überdimensionierten Lippen und Augen eine surreale Starre verleihen. Die unter den Masken gesprochenen Dialoge kommen verzerrt aus den Lautsprechern. Schon in dieser ersten Szene klingt an, dass in dieser vom narzisstischen Ehemann dominierten Ehe vielleicht nicht alles so gut ist, wie der Zeitungsartikel glauben machen will. Die Frage "Hast du Angst vor der Zukunft?" hängt als böses Omen im Raum. Denn schon in der zweiten Szene - diesmal sitzt das Paar lesend im Bett und spricht über die unterschiedlichen Erwartungen an das eheliche Sexleben - kippt die Idylle, wenn es zu einem blutigen Abgang (oder Abbruch?) der ungeplanten Schwangerschaft kommt. Was die beiden mit dem wenige Zentimeter großen Bündel Fleisch, einer langen Nabelschnur und sehr viel Theaterblut anstellen, geht hart an die Grenze des Erträglichen.

Da ist man in der dritten Szene, in der sich das Paar beim Abendessen aufgrund einer Affäre Johans trennt, schon fast wieder froh, dass nur Pizza und Bier in der Mundöffnung der Maske verschwinden und das Gezeigte lediglich als Video-Aufzeichnung zu sehen ist. Denn nach der Pause zelebriert Öhrn, der seine gesprochenen Zwischentexte weiterhin mit seinem sarkastischen "Viel Spaß!" beendet, das große Finale: die Eskalation der Gewalt beim Unterzeichnen der Scheidungspapiere. Dabei setzt er auf das filmische Mittel des Cliffhangers, wenn ein langes Messer oder eine Axt gehoben wird, die eigentliche Tat aber hinter dem rasch zugezogenen Vorhang stattfindet. Was das Publikum zu sehen bekommt, ist lediglich das immer blutiger werdende Ergebnis - bis sich hier keiner mehr regt.

Auch wenn diese "Szenen einer Ehe" mit zweieinhalb Stunden deutlich kürzer sind als das Nestroy-nominierte "Häusliche Gewalt" und weniger explizit als das mit dem Nestroy-Spezialpreis ausgezeichnete MeToo-Drama "3 Episodes of Life" bei den Festwochen im Jahr 2019, schafft Öhrn erneut eine beklemmende Untersuchung zwischenmenschlicher Machtstrukturen. Eilinghoff und Lieder gelingt es, mittels ihrer Körpersprache und Modulation der Stimmen, die Gefühle der Protagonisten in dieser Abwärtsspirale eindrucksvoll auf die Bühne zu bringen. Lang anhaltender Applaus für einen Abend, der noch lange nachhallt. Wer die Erfahrung noch vertiefen will, hat am 16. und 30. April die Möglichkeit, Bergmans Film im Wiener Gartenbaukino zu sehen.

(S E R V I C E - "Szenen einer Ehe" nach dem gleichnamigen Film von Ingmar Bergman. Fassung, Regie und Bühne: Markus Öhrn, Kostüme: Eleonore Carrière, Musik: Joachim Zach. Mit Elias Eilinghoff und Bettina Lieder. Weitere Termine im Volx: 12., 14., 16., 19., 21., 23., 26. und 27. April. www.volkstheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Im Volx Margareten nimmt er sich nun Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" an und stülpt das Innere dieser Ehe im wahrsten Sinne des Wortes nach außen.
  • Was das Publikum zu sehen bekommt, ist lediglich das immer blutiger werdende Ergebnis - bis sich hier keiner mehr regt.
  • Fassung, Regie und Bühne: Markus Öhrn, Kostüme: Eleonore Carrière, Musik: Joachim Zach.
  • Weitere Termine im Volx: 12., 14., 16., 19., 21., 23., 26. und 27. April.