steirischer herbst: Degot betont politische Dimension
"Bei diesem Festival geht es nicht um Krieg in der Ukraine oder gar um Kriege im Allgemeinen. Es geht darum, hier zu sein, in der ruhigen Mitte Europas - wo der Krieg in der Ferne ist", betonte Ekaterina Degot in ihrer Eröffnungsrede am Grazer Hauptplatz. Kunst sei aus ihrer Sicht immer politisch, "ob Künstlerinnen und Künstler es wollen oder nicht". Man müsse sich mit der politischen Dimension beschäftigen, denn selbst propagandistische Kunst könne völlig anders wirken als sie geplant war.
Die Rede fand genau vor dem Denkmal von Erzherzog Johann statt, und auf den steiermarkaffinen Habsburger verwies die Intendantin in ihrer Rede als Sinnbild der bürgerlichen Biederkeit, das bei näherem Hinsehen durchaus revolutionäre Elemente aufweist. "Was Erzherzog Johann einen ewigen Platz in den Herzen der Steirerinnen und Steirer einbrachte, war sein Bekenntnis zum Lokalen, zum Privaten, zum Häuslichen, gepaart mit vorsichtigem Modernisierungsdrang sowie transformatorischen Hoffnungen, die in die Kultur investiert wurden. All das war etwas, was ich sofort auch als DNA unseres eigenen Festivals, des steirischen herbst, erkannt habe", führte Degot aus und betonte: "Jedes Festival war und ist ein Versuch der Re-Politisierung, der Dekonstruktion des Lokalen, der Infragestellung der Rolle der Hochkultur. In diesem Sinne ist der steirische herbst so etwas wie ein Anti-Biedermeier."
Die Steiermark habe sie als zwiespältig erlebt: "Hier gibt es eine Energie, die Ideen und Menschen wegstößt, körperlich und geistig, aber auch eine Energie, die Ideen und Menschen umarmt und willkommen heißt. Die Steiermark hat sich in ihrer Geschichte sehr wohl geöffnet: den Trigon-Künstlerinnen und -Künstlern und den Dissidentinnen und Dissidenten aus der Tschechoslowakei, den politischen Asylwerbern und internationalen Künstlern. Und sie hat sich auch mal gegen Flüchtlinge verbarrikadiert, mit realen Grenzsoldatinnen und -soldaten, Grenzzäunen oder diskursiv gegen alles Gefährliche, weil Fremde." Wir befänden uns im "Hinterland vergangener und aktueller Kriege", und obwohl wir diese Schlachten nicht immer toben hören, sollten wir "unsere Ohren anstrengen, um diese Geräusche in unserem glücklichen Alltag wahrzunehmen", führte die Intendantin aus.
Nach der Eröffnungsrede ging es durch die Herrengasse mit einem Puppen-Umzug zur Neuen Galerie. Diese Performance "The Theatricality of a Postponed Death (2022)" von Raed Yassin sollte an einen anderen Puppenumzug erinnern, der in den 80er-Jahren während des Bürgerkriegs in Beiruth stattfand. Im Mittelpunkt stand eine mehrere Meter große, traurige Aufblaspuppe, die den Schauspieler und Komiker Shoushou verkörpert und auf die Auswirkungen des Krieges auch auf die Kunst hinwies. Begleitet wurde der Umzug von einer kleinen Blaskapelle.
In der Neuen Galerie wurde dann die Ausstellung "Ein Krieg in der Ferne" eröffnet. Für die Schau gestaltete Augustas Serapinas eine Performance mit dem Titel "Margit, Maya and Vanessa", benannt nach den drei fast unsichtbaren Protagonistinnen. In den Wänden befanden sich handtellergroße Öffnungen, durch die den Besucherinnen und Besuchern kleine Gegenstände gereicht werden. Ein buntes Tuch, ein Glas oder eine Trinkflasche werden da von einer fast körperlosen Hand übergeben. Damit verbunden war die Aufforderung, den Gegenstand zu einer der anderen beiden Öffnungen zu bringen. Damit wurden die Mitwirkenden zu Boten zwischen drei Verstecken und sind Teil eines Austausches wie er zwischen Fremden in Kriegszeiten vorkommt.
Am Abend fand in der Helmut-List-Halle noch die Performance "Rhapsody in Yellow: A Lecture-Performance with Two Pianos (2022) von Ming Wong statt. Der Künstler erzählt in seiner musikalischen Lecture-Performance von der sogenannten chinesisch-amerikanischen Ping-Pong-Diplomatie, beginnend mit Richard Nixons historischem Staatsbesuch im kommunistischen China und seinem Treffen mit Mao Zedong vor fünfzig Jahren. In Anlehnung an einen internationalen Klavierwettbewerb und ein Tischtennismatch improvisierten zwei Pianisten gemeinsam eine Verschmelzung der amerikanischen und chinesischen Klangregime.
(S E R V I C E - www.steirischerherbst.at)
Zusammenfassung
- Bei der Eröffnung des steirischen herbstes hat Intendantin Ekaterina Degot am Donnerstag die politische Dimension des Festivals betont.
- Das Thema "Ein Krieg in der Ferne" spiegelt sich heuer in allen Programmpunkten wider, von der zentralen Ausstellung in der Neuen Galerie bis zu Performances.
- Kunst sei aus ihrer Sicht immer politisch, "ob Künstlerinnen und Künstler es wollen oder nicht".