AFP

Vučić spricht von "Täuschungen"

Tausende Berichte über "Schallkanonen"-Einsatz in Belgrad

18. März 2025 · Lesedauer 5 min

Demonstrierende werfen der serbischen Regierung vor, bei der Massenprotesten am Samstag eine Schallkanone verwendet zu haben - dessen Verwendung ist in Serbien verboten. Die Regierung dementiert das energisch und will nun sogar gegen diejenigen vorgehen, die mit solchen "Täuschungen" an die Öffentlichkeit gegangen sind. Unterdessen berichten aber Tausende Augenzeugen von denselben Erfahrungen und Symptomen.

Nach dem abrupten Ende der Belgrader Massendemonstration drängen serbische Regierungskritiker auf eine unabhängige Untersuchung der Umstände. Bis Montag seien mehr als 3.000 Aussagen von Teilnehmern der Demonstration gesammelt worden, die den Einsatz einer Schallkanone belegen sollen.

Die Behörden hatten dies energisch bestritten und wollen gegen jene vorgehen, die behaupten, dass die verbotene Waffe eingesetzt worden sei.

Menschen verlangen internationale Untersuchung

Mehr als eine halbe Million Menschen unterzeichnete innerhalb von weniger als 24 Stunden eine Petition, die eine internationale Untersuchung des Vorfalls verlangt. Konkret sollen das UNO-Menschenrechtskommissariat, der Europarat und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) tätig werden.

Ministerpräsident Miloš Vučević stellt sich eine internationale Untersuchung anders vor. Er hat vorgeschlagen, die US-Bundespolizei FBI und den russischen Geheimdienst FSB ins Land zu holen, "um die Untersuchung durchzuführen".

Wer verwendet ein illegales Gerät im Zentrum Belgrads?

Unterdessen verurteilten unter anderem die Studierenden der politischen Fakultät der Universität Belgrad den Vorfall scharf und forderten Antworten den zuständigen Behörden:

"Wenn es keine Schallkanone war - was war es? Wie erklären sie (Anm. das serbische Innenministerium) die gesundheitlichen Beschwerden, die bei den Anwesenden aufgetreten sind? Wenn die Polizei behauptet, sie hätte die illegale Schallkanone nicht verwendet, wer hat sie verwendet? Wer verwendet im Zentrum Belgrads bei einem friedlichen Protest ein illegales Gerät, um die Menschenmenge aufzulösen, während die Bürger:innen schweigend dastehen?"

"Wir fordern von den zuständigen Behörden eine sofortige und klare Antwort und nicht noch eine weitere Stellungnahme, in der sie die Realität leugnen", so die Studierenden.

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Druckwelle, Dröhnen, Motorengeräusche

Teilnehmer der Demonstration hatten angegeben, dass sie am Samstag um 19.11 Uhr und 19.12 Uhr eine starke Hitzewelle, ein Dröhnen und Motorengeräusche wahrgenommen hätten. Danach seien sie durch eine Druckwelle umgeworfen worden.

"Wir haben ein lautes Geräusch gehört, wie von einer Rakete oder einem schnellen Auto, und auf einmal warf uns eine Druckwelle um. Die Menschen fielen auf uns, begannen zu schreien und zu rufen", sagte ein Teilnehmer am Sonntag dem Fernsehsender N1. Wegen der Panik brachen die Organisatoren den Protest abrupt ab.

Serbischen Medienberichten zufolge wurden Dutzende Menschen im Belgrader Krankenhaus wegen Beschwerden aufgenommen, die möglicherweise auf den Einsatz einer Schallkanone zurückzuführen seien. Das Spital selbst dementierte die Angaben.

Der Vorfall ereignete sich während einer Schweigeminute für die 15 Opfer von Novi Sad: Auf Aufnahmen ist zu sehen, wie die Menschen ein Geräusch hören und sich nach hinten umdrehen. Schließlich bricht in der Menschenmenge Panik aus und sie weichen von der Straße. 

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Regierung will gegen "Täuschungen" vorgehen

Der frühere Polizeikommissar Božo Prelević gab an, dass es sich um ein in den USA hergestelltes Gerät namens Genesis gehandelt haben könnte. Dieses sei im Jahr 2022 nach Serbien eingeführt worden.

"Diese Art Kanone kann Hörschäden verursachen, wirkt sich auf Herzschrittmacher aus, kann zum Platzen von Adern führen und bleibende Schäden verursachen", sagte Prelević dem Sender Nova TV.

Die Vorwürfe wurden von der serbischen Regierungsspitze energisch zurückgewiesen. "Auf den Straßen Belgrads gab es keine Schallkanone, weder die Polizei noch ein anderes staatliches Organ haben sie eingesetzt", betonte Vučević. Der Präsident forderte das Justizministerium auf, "die Wahrheit über den Einsatz der Schallkanone zu ergründen".

Zudem sollen jene verfolgt werden, "die mit solchen Täuschungen in die Öffentlichkeit gegangen sind und die Bürger beunruhigt haben".

Entsprechend teilte die Belgrader Staatsanwaltschaft am Sonntag mit, dass sie die Herkunft von Informationen über die Spitalsbehandlung von Dutzenden Menschen mit womöglich durch eine Schallkanone verursachten Beschwerden untersuche. Man ermittle wegen des Verdachts des Hervorrufens von Panik und Unordnung, einem mit bis zu fünf Jahren Haft bedrohten Straftatbestand.

info Schallkanone

Ein Long-Range Acoustic Device (LRAD, auch Schallkanone genannt) ist ein von Streitkräften und privaten Sicherheitsdiensten benutztes akustisches Gerät, mit dem sowohl normale Lautsprecher-Durchsagen als auch schmerzhaft laute Töne ausgesendet werden können.

Beim LRAD werden akustische Signale im Bereich von 2.100 bis 3.100 Hertz ausgesendet. Aufgrund des hohen Schalldrucks können die Töne mindestens über einen Kilometer weit wahrgenommen werden. Der vom LRAD einsetzbare schrille Ton führt im Nahbereich zu einem starken Schmerzreiz und dient dazu, den Gegner zu verletzen oder außer Gefecht zu setzen. Das LRAD wurde im Auftrag des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten als nicht-tödliche Waffe entwickelt.

Bei den Betroffenen kann ein intensiver Schock und Schmerz im Ohr entstehen, der einen Angstzustand auslösen kann.

SPÖ verurteilt "Gewalt seitens des Staats"

Solidarisch mit der demokratischen Protestbewegung in Serbien zeigte sich indes die SPÖ. "Es spricht für die Zivilcourage der serbischen Bürgerinnen und Bürger, die sich trotz widriger Umstände für ihre demokratischen Rechte einsetzen. Gewalt seitens des Staats gegen diese friedlichen Demonstrant:innen ist auf das Schärfste zu verurteilen", teilte die außenpolitische Sprecherin der SPÖ Petra Bayr am Dienstag in einer Aussendung mit.

Sie hoffe, "dass Serbien bald zur Ruhe kommt, fußend auf fairen Wahlen, rechtsstaatlichen und gerechten Verhältnissen und einer lebendigen Demokratie".

Zusammenfassung
  • Die Demonstrierenden werfen der serbischen Regierung vor, bei der Massendemonstration am Samstag eine Schallkanone verwendet zu haben - dessen Verwendung ist in Serbien verboten.
  • Die Regierung dementiert das energisch und will nun sogar gegen diejenigen vorgehen, die mit solchen "Täuschungen" an die Öffentlichkeit gegangen sind.
  • Unterdessen berichten aber Tausende Augenzeugen von denselben Erfahrungen und Symptomen.
  • Mehr als eine halbe Million Menschen unterzeichnete innerhalb von weniger als 24 Stunden eine Petition, die eine internationale Untersuchung des Vorfalls verlangt.