Staatsopernchef Roscic: "Sind keine Disco in Ischgl"
Es gab schon einfachere Phasen, in denen man als Wiener Staatsoperndirektor sein Amt antreten konnte. Bogdan Roscic (56), der mit 1. Juli seinen neuen Posten antritt, sprach mit der APA über die Frage, ob er trotz Corona im September in seine erste Spielzeit starten kann, weshalb er gleich zehn Premieren angesetzt hat und darüber, was die Staatsoper von einer Disco in Ischgl unterscheidet.
APA: Angesichts der aktuellen Coronakrise und der damit nun verkündeten Beschränkungen für die Theaterhäuser haben Sie sich zuletzt als moderate Stimme positioniert. Sind Sie wirklich so zuversichtlich?
Bogdan Roscic: Die derzeitige Debatte krankt daran, dass jeder über etwas anderes redet, aber so getan wird, als ob gerade eine sinnvolle Diskussion im Gange wäre. Wovon reden wir denn nun? Studioproben mit ein paar Teilnehmern? Endproben mit Orchester und Chor? Spielbetrieb ab September? Einschränkungen auf und hinter der Bühne oder im Publikum? Es muss in diese Diskussion dringend Ruhe und Klarheit hinein. Der Erlass, der zumindest den Sommer regelt, ist ja noch nicht einmal geschrieben, und wir haben unsere Bedürfnisse dafür auch schon angemeldet. Ich habe keine Zeit, mich zu empören, weil soviel zu tun ist, zum Beispiel irgendwie die Vorproben für meine erste Premiere zu retten, damit ich hoffentlich die Saison eröffnen kann. Wenn Kiril Serebrennikow aus dem Hausarrest mit Fußfessel die beste "Cosi", die ich je gesehen habe, auf die Bühne der Oper in Zürich bringen kann, dann fällt mir kein Stein aus der Krone, wenn ich ein paar Monate improvisieren muss. Aber eines ist klar, ab Herbst geht mit den zuletzt besprochenen Einschränkungen gar nichts.
APA: Gehört dazu, dass die Pläne für Ihre erste Spielzeit, deren Auftakt am 7. September die Premiere der "Madama Butterfly" mit Asmik Grigorian markieren soll, möglicherweise eher Wunschvorstellung denn reale Planung bleiben?
Roscic: Unser Spielplan basiert auf den Planungen vor der Krise. Jetzt wird eben Abend für Abend geprüft, ob er so überhaupt stattfinden kann. Die Frage kann einem nur keiner beantworten. Deshalb kann ich jetzt eine ganze Saison nicht umplanen auf eine neue Situation, deren Grundzüge noch völlig unklar sind. Das ist eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten. Ich gehe noch davon aus, dass ich im Herbst anfangen kann - aber das hängt nicht von mir ab. Einstweilen übe ich mich im vorsichtigen Optimismus: Ich hoffe, dass die Entwicklung und die Lockerungen es uns bis dahin erlauben, die Kurve zu kratzen.
APA: Abgesehen von den Probenbedingen werden Sie aber zumindest auf das touristische Publikum noch für längere Zeit verzichten müssen...
Roscic: Klar ist, dass sich finanziell der Coronaeffekt heuer noch gar nicht so sehr abbilden wird, nachdem es Kurzarbeit gibt und nicht spielen, weshalb gewisse Kosten nicht entstehen. Die Frage ist, wie es nächste Spielzeit aussieht. Wir rechnen derzeit durch, was der Ein-Meter-Abstand um jeden Sitz konkret bedeuten würde. Über das 20-Quadratmeter-Schrebergartengrundstück für jeden im Auditorium brauchen wir gar nicht diskutieren - sonst sitzen bei uns 50 Leute im Haus. Das wäre ein groteskes Szenario. Unsere Kosten bleiben jedenfalls gleich, ob man für eine Person oder 2.300 Zuschauer spielt. Wenn also unter Restriktionen gespielt wird, müssen wir mit unserem Eigentümer über den Umsatzentgang reden. Schließlich haben wir mit 45 Prozent einen extrem hohen Eigendeckungsgrad.
APA: Für Sie wäre ansonsten ein Szenario wie bei den Bundesmuseen denkbar: Sie dürften öffnen, machen es aus finanziellen Gründen aber nicht?
Roscic: Das sind auch formale Fragen. Ich weiß gar nicht, ob die Staatsoper sagen könnte, wir spielen nicht, obwohl wird spielen dürften. Aber ich lehne das ohnehin ab. Wenn gewährleistet ist, dass auch wirklich Publikum ins Haus darf, ist nicht spielen doch unhaltbar. Wir sind eben keine Disco in Ischgl, deren Wert sich nur daran bemisst, dass sie immer voll ist und ansonsten keine Probleme macht. Erklären Sie mal den Menschen, deren Steuern die Staatsoper ermöglichen, dass wir mit dem Spielbetrieb lieber auf die Touristen warten. Dieses Haus hat gerade jetzt seinen Wert für das Leben seines Publikums zu zeigen. Klar ist, wir verkaufen ungefähr 30 Prozent der Sitze an Touristen, die auch überproportional teure Karten kaufen. Und niemand rechnet damit, dass diese Gäste im September schon alle wieder da sind. Es wird sich also die Frage stellen, was wir mit freien Plätzen machen. Und da schlage ich vor, Personal etwa aus den Pflegeberufen oder dem Supermarkt, die also heute in Hochrisikoberufen für uns tätig sind, als Gäste an die Staatsoper zu holen. Aber dazu muss der Eigentümer auch ein klares Bekenntnis abgeben.
APA: Programmatisch wären Sie bereit, Ihre aufeinander abgestimmten Inszenierungspakete dann gegebenenfalls aufzuschnüren und mit neuen Leuten zu besetzen, derer man vor Ort habhaft wird?
Roscic: Natürlich! Wenn es zum Beispiel wegen der Reisebeschränkungen im September wirklich noch nicht möglich ist, dass der internationale Opernzirkus wieder reist, kann es bedeuten, dass die Ensembleoper eine neue Blüte erlebt. Wenn man sich ansieht, wie viele Stars in Wien leben, könnte das auch bedeuten, dass man sich hier in ganz neuer Form zusammenfindet. Das, was wir zeigen, muss auf höchstem Niveau sein. Insofern sprechen wir im Fall der Fälle sicher nicht von einfachen Umbesetzungen, sondern dann müsste ich ganz neu planen, damit wir mit den vorhandenen Kräften das Beste zeigen können.
APA: Sie haben für Ihre erste Spielzeit ganze zehn Premieren vorgesehen, von denen allerdings viele eingekauft sind. Was war Ihre Motivation hierfür?
Roscic: Die ungewöhnlich hohe Anzahl kommt daher, dass eine Auseinandersetzung mit dem stattfinden soll, was ein Repertoirehaus heute ausmacht, zumal das Wiener System doch relativ einzigartig ist. Ein Repertoirehaus spielt bestimmte Werke sehr oft - das ist eine Realität, über die man sich nicht hinwegsetzen kann. Philippe Jordan und ich haben uns deshalb vorgenommen, viele dieser Stücke auf einmal zu erneuern. Darum gibt es nächste Saison Eigenproduktionen, Koproduktionen und eben auch Übernahmen, weil wir diese schnelle Erneuerung nur so schaffen. Es geht hier um stilprägende, Rezeptionsgeschichte schreibende Produktionen von Regisseuren, die so zu regulären Repertoireproduktionen bei uns werden.
APA: Ist diese hohe Schlagzahl auch in den künftigen Spielzeiten zu halten?
Roscic: Nein, in der zweiten Saison konzentrieren wir uns auf unsere Eigenproduktionen, zu denen ehrgeizige Dinge wie der Start eines neuen Da-Ponte-Zyklus von Barrie Kosky gehört. Die Übernahmen sind kein neues Theaterprinzip, das ich propagieren möchte. Außerdem ist 2021/22 auch insofern eine besondere Spielzeit, weil wir da wie alle vier Jahre nach Japan fahren, was eine gigantische Kraftanstrengung ist.
APA: Welchen Stellenwert messen Sie zugleich der alltäglichen Repertoirevorstellung abseits des Premierenreigens bei?
Roscic: Die hohe Zahl an Premieren ist schön, muss aber dem dienen, was ein Repertoirehaus ausmacht. Die Wahrheit eines solchen Hauses liegt in den Hunderten Aufführungen, die wir Abend für Abend spielen. Deren Qualität ist der Kern der Sache. Die Frage ist, wie man die hinbekommt - und die Antworten der einzelnen Direktionen fallen hier einfach unterschiedlich aus.
APA: Nach welchen Kriterien haben Sie sich für diese zehn Werke als Auftakt zur Repertoireerneuerung entschieden?
Roscic: Die Sichtung der bestehenden Produktionen war natürlich ein wesentlicher Faktor. Und es geht um das Auffüllen von Repertoirelücken wie bei der Monteverdi-Trilogie, die wir starten wollen, oder "Die Entführung aus dem Serail", die bis zum Jahr 2000 fast 700 Mal am Haus gespielt wurde und seither überhaupt nicht mehr.
APA: Zugleich haben Sie mit Philippe Jordan als Musikdirektor auch einen ausgewiesenen Wagner-Experten an der Seite. Wird es in absehbarer Zeit einen neuen "Ring" geben?
Roscic: Das Opernbusiness ist ja bisweilen etwas absurd: Wenn ich mein Büro zum ersten Mal betrete, werde ich vier von fünf Saisonen bereits fertig geplant haben. (lacht) Nach jetzigem Stand beginnen wir 2024/25 mit einem neuen Wiener "Ring".
APA: Sie holen kommende Saison einige Regisseure ans Haus, die dann auch in der folgenden Spielzeit Arbeiten vorlegen. Setzen Sie hier bewusst auf das Prinzip Hausregisseur?
Roscic: Zum Hausregisseur lassen sich die Weltbesten nicht machen. Aber es wird mit einigen Größen besondere Beziehungen geben: Calixto Bieito, Barrie Kosky oder Simon Stone etwa. Es werden aber auch Regisseure in den kommenden Jahren ihr Debüt am Haus geben, die man noch überhaupt nicht kennt. Ich betreibe kein Shoppen am Kohlmarkt der Opernregie. Wir sind sehr risikofreudig.
APA: Wer sich hingegen nicht im Orchestergraben finden wird, ist Teodor Currentzis...
Roscic: Die Beziehung zwischen Teodor Currentzis und dem Staatsopernorchester muss sich erst noch entwickeln und aufblühen. Bis dahin wird man ihn nur mit seinem eigenen Orchester, der MusicAeterna, erleben. Aber Details hierzu gibt es erst zu gegebenem Zeitpunkt.
APA: Eine Uraufführung ist für Ihre erste Spielzeit nicht vorgesehen. Wie sehen Sie hier die Rolle der Staatsoper allgemein?
Roscic: Die erste Uraufführung unter meiner Direktion wird es im Herbst 2023 geben - etwas ziemlich Spektakuläres, nicht zuletzt dank der Vorlage, darf ich verraten... Ansonsten wird es in den fünf Saisonen neben je einer Premiere von Mozart und Wagner auch jeweils bereits klassisch gewordene Stücke der Moderne des 20. Jahrhunderts geben. Die halte ich als Vermittlungspunkt zwischen der spätesten Spätromantik und der oftmals ratlos bestaunten zeitgenössischen Produktion für immens wichtig. Der Zustand, den wir anstreben müssten, wäre natürlich, dass wir nur Uraufführungen zeigen wie vor ein paar Jahrhunderten. Nur so kann auch so etwas wie die Fortschreibung des Kanons gelingen. Wie man aber vom Status quo dahin käme, ist eine andere Frage.
APA: Die Sie wie beantworten?
Roscic: Da muss man ganz radikal anders herangehen. Das Operngeschäft müsste sich überlegen, wie man hinfindet zu leichteren, kleineren Formen, mit denen ein Verwerfen möglich wird. Das hängt aber auch an einer zweiten Spielstätte, in der man Dinge ausprobieren kann, um nicht jedes neue Werk dem Druck auszusetzen, fünf Mal das Große Haus voll zu bekommen.
APA: Apropos zweite Spielstätte: Werden Sie die Walfischgasse weiterhin für Kinderoper nutzen?
Roscic: Nein. Ich will die Kinderoper wieder stärker in das Haus holen. Wir werden etwa als ersten Schritt eine "Entführung aus dem Serail" als Stationentheater für Kinder machen. Der nächste Schritt ist, dass die Wiener Staatsoper ihr Gebäude verlässt und auch andere Spielstätten und andere Städte bespielt. Hier hat Corona aber für eine Zwangspause in den weit gediehenen Überlegungen gesorgt...
APA: Ihnen wird mit der einstigen niederösterreichischen Landesrätin Petra Bohuslav eine Ex-ÖVP-Politikerin als kaufmännische Geschäftsführerin zur Seite stehen, während Sie von einem SPÖ-Kulturminister ins Amt berufen wurden. Stört Sie diese Proporzoptik alten Zuschnitts?
Roscic: Proporzoptik kann es schon deshalb nicht geben, weil dafür ich einer Partei zuordenbar sein müsste. Ich bin aber, wie mein früherer Chef Gerd Bacher gern sagte, Mitglied einer Einmann-Partei mit Aufnahmesperre. Zweitens wird jeder und jede, wo immer sie vorher dazugehört haben mögen, im Kochwaschgang der Staatsoper blütenweiß geschleudert und dann zählt nur noch die Leistung. Petra Bohuslav und ich bereiten uns jetzt ja schon gemeinsam vor. Ich spüre, wir werden ganz ausgezeichnet zusammenarbeiten und gemeinsam viel bewegen.
Zusammenfassung
- Es gab schon einfachere Phasen, in denen man als Wiener Staatsoperndirektor sein Amt antreten konnte.