Staatsballett: Saisonschluss mit Schläpfer-Uraufführung
Es ist ein zeitgenössisches Ballett-Panoptikum mit mehr als einem roten Faden: Die russische Musik von Strawinski, Mussorgski und Schostakowitsch, der prägende Uraufführungsort New York bei George Balanchine und Ratmansky, die glühende symphonische Beziehung zwischen Schostakowitsch und Strawinski, nicht zuletzt Martin Schläpfers fortlaufende Beschäftigung mit Schostakowitsch. Bei seinem Abschied aus Düsseldorf Richtung Wien hinterließ er als letzte Neukreation das "Cellokonzert" - als Abschiedsgeschenk, seiner am Rhein aufgebauten und zu Weltruhm geführten Compagnie auf den Leib geschneidert.
Seinen Prozess des organischen gemeinsamen Erarbeitens von neuem Tanz auf das große, auf zwei Häuser verteilte, am klassischen Repertoire und in Hierarchien orientierte Wiener Ballett zu übertragen, kann - insbesondere unter den Startbedingungen im Corona-Jahr - nicht einfach gewesen sein. Doch bereits im Dezember gab es mit "4", einer für die gesamte Compagnie gebauten Arbeit zu Musik von Gustav Mahler, eine kreative Muskelschau, die das expressive Potenzial des Ensembles auf neue Weise auf den Laufsteg hob. Die Premiere fand da freilich, schmerzlich, via Fernsehen statt.
Nach nun einem Jahr miteinander hat man mit "Sinfonie Nr. 15" ein weiteres selbstgemachtes Schmuckstück im Repertoire, dunkler und melancholischer, klassisch in der Formensprache und zeitgenössisch in der Emotion der Vereinzelung - viele schwarze Schwäne, drei Pas de deux, in denen Paare sich eben nicht finden, sondern sich vielschattiert suchen, sich umrunden und bekämpfen, sich zu- und abwenden und dabei in jedem Moment zutiefst allein bleiben. Zu der zwischen stiller Trauer und bitterer Groteske vielfach verschlüsselten Musik Schostakowitschs erschafft Schläpfer starke Bilder, die intensives Hören erlauben - ein im besten Sinne fordernder Abend auch für das Staatsopernorchester, erstmals unter Robert Reimer.
"Tänze Bilder Sinfonien" heißt das Programm, ein Titel, den man fortführen könnte, etwa mit "Körper, Farben, Emotionen". Das Zusammenspiel der Kunstformen, nicht nur Musik und Tanz, sondern auch Bildende Kunst, wird besonders lebendig bei "Pictures at an exhibition" von Alexei Ratmansky. Als einer der international meistbeachteten Choreografen der vergangenen Jahre hat er dem Wiener Ballett erstmals eine seiner Arbeiten anvertraut. 2022 wird die Zusammenarbeit mit der Neueinstudierung der für das Royal Ballet London entstandenen "24 Preludes" erfreulicherweise fortgesetzt.
In den "Bildern einer Ausstellung" wird überdeutlich, wie Ratmanskys Zugriff auf das Körpertheater zugleich zwingend und leichtfüßig ist, immer lustvoll, aber mit dem klaren Sog, emotional aufs Ganze zu gehen. 2014 vom New York City Ballet uraufgeführt, findet das ebenso fröhliche wie unbändig ausdrucksstarke Werk vor Projektionen von Kandinskys "Quadrate mit konzentrischen Ringen" statt. Mussorgskis Klavierstück wird - eindrucksvoll opernhausfüllend - von Alina Bercu gespielt.
Auf der Bühne begeistern insbesondere Ketevan Papava und Francesco Costa, aber auch Claudine Schoch und Marcos Menha, mit purer expressiver Tanzwut. In den Soloparts bei Balanchines "Symphony in three movements" - das ikonische, lakonische Werk zählt mit dem Uraufführungsjahr 1972 bereits zu einer anderen Generation im modernen Kontext - überzeugen Kiyoka Hashimoto, Liudmila Konovalova, Maria Yakovleva sowie bei den Männern Davide Dato, Masayu Kimoto und Geraud Wielick.
(S E R V I C E - "Tänze Bilder Sinofnien", Arbeiten von George Balanchine, Alexei Ratmanksy, Martin Schläpfer, Musik von Igor Strawinsky, Modest Mussorgski, Dimitri Schostakowitsch. Wiener Staatsballett. Nächste Vorstellungstermine ab 17. September. www.wiener-staatsoper.at)
Zusammenfassung
- Im Triple-Abend "Tänze Bilder Sinfonien" steht seine Kreation neben Balanchine und - erstmals in Wien - Alexei Ratmansky.
- Als einer der international meistbeachteten Choreografen der vergangenen Jahre hat er dem Wiener Ballett erstmals eine seiner Arbeiten anvertraut.
- (S E R V I C E - "Tänze Bilder Sinofnien", Arbeiten von George Balanchine, Alexei Ratmanksy, Martin Schläpfer, Musik von Igor Strawinsky, Modest Mussorgski, Dimitri Schostakowitsch.