Staatsballett für seine "Kontrapunkte" ekstatisch gefeiert
Das Musikstück eines Komponisten wie Beethoven, der oft für nicht tanzbar deklariert wird, klingt nicht nach dem rosigsten Start für einen Abend, aber das Wiener Staatsballett, das die Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker vorführte, hat dieses Kunststück auf der Bühne der Volksoper Wien vollbracht. Die ungeliebte "Große Fuge" op. 133 von Beethoven (selbst sein Sekretär und Biograf Anton Schindler beschrieb sie "als die höchste Verirrung") und sein Streichquartett inspirierte die renommierte belgische Choreografin zu einem 1992 uraufgeführten Ballett, "das der Schwerkraft trotzt und dem Fliegen nahe kommt", wie sie es selbst im Programmheft ausdrückt - und diese Beschreibung ist ziemlich akkurat.
In der widerspenstigen "Fuge" tanzen sieben Männer und eine Frau in schwarzen Anzügen, auf denen De Keersmaeker wie eine Streicherin an ihren Saiten spielt. In ihrer Version der Fuge sind Tänzer mit bestimmten Stimmen in der Musik verbunden, mit der ersten und zweiten Violine, der Viola, dem Cello und einer Wanderstimme zwischen den Violinen. Alles ist sehr formell, und trotzdem stürmisch.
Man kann hören wie die Tänzer atmen. "Heftig, oder?", sagt ein Gast hingerissen. Auch Ballettdirektor Martin Schläpfer schien angenehm bewegt von den Gratulationen, die er erhielt. Die Choreografie, beeinflusst von Modern Dance und Martial Arts, ist unglaublich anspruchsvoll. Die Tänzer und Tänzerinnen haben sechs Wochen lang geprobt, aber sie lassen es mühelos aussehen. Ihre Körper fallen, rollen, schweben, und leuchten auf der ansonsten dunklen Bühne.
Nach einer kurzen Pause folgte etwas im Vergleich nur schwer Beschreibbares. Die Bewegungen sind jetzt linear, streng, und sehen aus wie Ticks. Der elektronisch manipulierte Klangteppich, auf dem sie tanzen, stammt von dem großen John Cage, und klingt wie galoppierende Pferde, oder Trommeln - es ist schwer auszumachen, aber leicht zu lieben. Das Ensemble, war es vorher noch schwarz und weiß, ist jetzt in eng anliegendes, pastellfarbenes Lila, Senfgelb und Giftgrün eingehüllt (große Anerkennung muss dem 2021 verstorbenen Kostümdesigner Mark Lancaster zu teil werden). Man kann jede Rippe, jede Brustkorbbewegung, und jeden angespannten Muskel sehen. Diese "Duets" aus dem Jahr 1980 mit sechs Paaren werden in der Choreografie von Merce Cunningham gelegentlich zu Tänzen für vier. Bei jedem Duett überquert eines der anderen Paare kurz die Bühne, und schließlich tanzen alle Paare gleichzeitig in einer Farbenexplosion.
Der legendäre, niederländische Choreograf Hans van Manen rundeten den Abend ab. Es ist sicher jener Teil der "Kontrapunkte", der dem klassischen Ballett am nächsten kommt, verbunden mit modernem Tanz. Seine "Four Schumann Pieces" aus den 1970ern zur sehnsüchtigen Musik des deutschen Romantikers wurde einmal als "ein dramatisches Ballett ohne Geschichte" bezeichnet - was nicht unbedingt zutrifft. Die Tanzperformance erforscht Gefühle wie Einsamkeit, Angst und Leidenschaft durch Musik und unterschiedliche Begegnungen.
Wenn das Licht angeht, steht der italienische Solist Davide Dato in einem hellen Lichtkegel alleine auf der Bühne. Nach und nach begleiten ihn fünf Tanzpaare, die um ihn herumwirbeln. Zwei Welten, die aufeinanderprallen. Am Ende gab es nicht enden wollenden Applaus vom Publikum, und der 89-jährige Hans van Manen, der auf die Bühne kam, erhielt Standing Ovations. "Tanz stellt Tanz da, nicht mehr und nicht weniger", hat er einmal gesagt. Dem möchte man nach diesem imposanten Abend achtungsvoll widersprechen.
(S E R V I C E - "Kontrapunkte" des Wiener Staatsballetts in der Volksoper, Währinger Straße 78, 1090 Wien. Bestehend aus "Große Fuge" von Anne Teresa De Keersmaeker, "Duets" von Merce Cunningham und "Four Schumann Pieces" von Hans van Manen. Weitere Aufführungen am 9., 14., 21., 24. und 28. Juni. www.volksoper.at)
Zusammenfassung
- Am Samstagabend wurden die Tänzer und Tänzerinnen des Wiener Staatsballetts zu hinreißenden Saiteninstrumenten.
- Ein Trio moderner, klassischer Ballette traf sich in der Volksoper zu einer imposanten Mischung aus "Kontrapunkten".
- Technisch liegen die Wurzeln im klassischen Ballett, und doch würde den Abend niemand mit "Schwanensee" verwechseln.
- Der legendäre, niederländische Choreograf Hans van Manen rundeten den Abend ab.