Regisseur Kröger denkt Kino als "Kunst und Zirkus zusammen"
APA: Herr Kröger, gleich zu Beginn eine große Frage: Was soll Kino in Ihren Augen leisten?
Timm Kröger: Kino ist Kunst und Zirkus zusammen. Für mich ist Kino auch ein Ort, wo Fragen, die wir uns vielleicht nur in der Nacht oder im Traum stellen, einen Platz im Alltag finden. Gibt es ein Leben nach dem Tod? Hat das Leben einen Sinn? Gute Filme stellen implizit solche Fragen.
APA: In meinen Augen erfreut Ihr neuer Film "Die Theorie von Allem" mit tollen Bildern das Auge und verwirrt mit einer komplexen Handlung rund um Multiversen den Geist. Warum haben Sie sich für diese Kombi entschieden?
Kröger: Es ging mir darum, den Zuschauer in eine Welt zu entführen, die anfangs merkwürdig vertraut erscheint und dann Schritt für Schritt immer fremder wird. Der Film ist eine verspulte, fast emotional verklemmte Abenteuergeschichte mit einem Kriminalplot und Science-Fiction-Elementen, die man bei der Arthouse-Grundierung so eigentlich nicht erwarten würde. Aber genau das fand ich spannend.
APA: Lieben Sie es, das Publikum herauszufordern?
Kröger: Ja. Das Publikum darf nicht unterschätzt werden. Man darf und muss ihm mehr abverlangen. Der Film macht das und birgt dadurch natürlich auch ein gewisses Frustrationspotenzial. Aber es sollte von Anfang an ein Film sein, wo die Fragen größer sind als die Antworten.
APA: Ihr Film wurde mit den beiden Regiegrößen Alfred Hitchcock und David Lynch in Verbindung gebracht. Fangen Sie mit diesen Zuschreibungen etwas an?
Kröger: Als Filmemacher denkt man unweigerlich in diesen Vorbildern. Wir assoziieren gewisse Genres, gewisse Emotionalitäten, gewisse Erwartungen mit diesen Namen. Wir haben deshalb gesagt, der Film ist so, als würden Hitchcock und Lynch und ganz viele andere auf dem Teppich einer alten Hotellobby Liebe machen. Es ist in Ordnung, wenn das für manch einen nicht attraktiv klingt. Aber es gibt genug Leute, die das sehr interessant finden.
APA: Als Schauplatz für Ihren Thriller, in dem sich ein Physikdoktorand zu einem Kongress begibt und dort allerhand Rätselhaftes erlebt, haben Sie die verschneiten Alpen in der Schweiz und ein großes Hotel gewählt. Sehen sie den Ort als eine Art eigenen Charakter?
Kröger: Definitiv. Es ist gar nicht so einfach, ein Setting zu finden, das interessiert. Eine Insel irgendwo bei Hawaii, auf der ein Millionär Dinosaurier ausbrüten lässt und daraus einen Dinopark macht: Diesen Film will man sofort sehen. Die meisten europäischen Subventionsfilme haben keine solchen Settings, die sofort eine infantile Neugier in uns auslösen. Die in meinem Film gegebene Kreuzung aus literarischem Zauberberg-Setting und etwas Metamodernem, das unter dem Berg lauert, war für mich attraktiv.
APA: Kaum zu überhören ist der markante Soundtrack des Films. Was war hier Ihre Intention?
Kröger: Wir sind diese Form von Musik und Pathos nicht mehr gewohnt. Diese Art Filmmusik ist eigentlich schon anachronistisch. Das hat mich interessiert. Hier liegt ironische Distanz, aber auch teilweise großes Gefühl drinnen. Obwohl der Film sehr hirnig oder cerebral daherkommt, wird er von der Musik emotional unterspült.
APA: Der Film dreht sich auch um Quantenmechanik und Multiversen. Haben Sie ein Faible für diese Themen?
Kröger: Nein. Es ist nur eine nötige Komplikation, wenn man sich mit der Frage nach Schicksal auseinandersetzt. Der Film hantiert mit Träumen und falschen Erinnerungen und beschäftigt sich eher indirekt mit Multiversen. Es entsteht eine gewisse Paranoia, die mit der Frage zu tun hat: Bin ich eigentlich der Mensch, der ich hätte werden sollen? Diese Frage stellen sich viele Menschen. Wenn man die Multiversen-Theorie ernst nimmt, gibt es nicht die eine wahre Geschichte. Es gibt viele Welten, in denen alles mögliche passieren kann. Das führt uns auf unserer Reise in ein sinnhaftes Leben an einen Abgrund.
APA: Was musste Burgschauspieler Jan Bülow für seine Hauptrolle als Physikdoktorand mitbringen?
Kröger: Jan Bülows Rolle als junger Doktorand Johannes ist stark an die Erzähltradition des passiven Bildungsreisenden angelehnt. Er kommt noch nicht klar im Leben, und gleichzeitig stülpen wir das Konzept einer amerikanischen Heldenreise über ihn. Man spürt, er könnte mal ein genialer Physiker werden. Stattdessen gerät er in einen emotionalen Strudel und versucht, einem Geheimnis auf den Grund zu gehen, das er nie ganz verstehen wird. Wir schauen also der Hauptfigur zu, von der wir nicht wissen, ob sie ein Genie oder doch ein schlafwandelnder Idiot ist. Ein Suchender. Und ich wusste einfach, Jan Bülow ist perfekt dafür. Ich wusste, ich kann ihm gut dabei zuschauen, wie er zwei Stunden so jemanden verkörpert.
APA: Mit "Die Theorie von Allem" waren Sie als verhältnismäßig junger Regisseur im Wettbewerb von Venedig vertreten. Haben Sie damit gerechnet, dass es mal soweit sein wird?
Kröger: Gerechnet habe ich auf keinen Fall damit. Es könnte einen einschüchtern, wenn man sich mit der Konkurrenz vergleicht. Aber ich habe es nicht als Konkurrenz gesehen, sondern als eine glückliche Fügung und riesige Bestätigung dessen, woran wir jahrelang gearbeitet habe. Es ist schön, dass das Filmfestival in Venedig die Kraft hat, die Wahrnehmung für einen Film so zu erhöhen.
APA: Wohin geht die Reise für Sie? Bleiben Sie auch weiterhin als Kameramann tätig oder fokussieren Sie nun ganz auf den Regiesessel?
Kröger: Ich will auf jeden Fall als Regisseur an meinem nächsten Film arbeiten. Der soll 1997 spielen und "Das letzte Radio" heißen. In vier bis acht Jahren wird er dann wohl auch erscheinen.
(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)
(S E R V I C E - https://stadtkinowien.at/verleih/die-theorie-von-allem)
Zusammenfassung
- Regisseur Timm Kröger hat es mit seinem erst zweiten Spielfilm "Die Theorie von Allem" in den Wettbewerb der Filmfestspiele Venedig geschafft.
- Im APA-Interview spricht der 37-jährige deutsche Regisseur, Kameramann und Drehbuchautor über existenzielle Fragen, anachronistische Soundtracks und infantile Neugier auslösende Settings.