APA/APA / Theater in der Josefstadt/Moritz Schell

Raimund-Zauberspiel ließ in der Josefstadt Zauber vermissen

Es geht um Erkenntnisgewinn. Damit das jedem klar ist, leuchtet das Wort "Erkenntnis" am Ende von Josef E. Köpplingers Inszenierung von "Der Alpenkönig und der Menschenfeind" in Leuchtschrift auf. Der Herr von Rappelkopf hat da endlich erkannt, was für ein grauslicher, misanthropischer Kerl er bisher war. Was aber ist die Erkenntnis der Saisoneröffnung, die am Mittwoch im Theater in der Josefstadt stattfand? Auch ein Original-Zauberspiel kann den Zauber vermissen lassen.

Zu Beginn dieser ersten Premiere der neuen Wiener Theatersaison mochte man noch an Zauber denken: Befand man sich eigentlich im Theater der Jugend der 1970er-Jahre? War eine alte Videokassette in den Projektor gerutscht und gaukelte Live-Geschehen vor? Nicht nur der Schwarz-Weiß-Filmvorspann der Inszenierung, auch ihre ganze Anlage als harmloses musikalisches Zaubermärchen mit Mini-Bühnenorchester erinnerte an früher. Wobei auch die Erinnerung trügen kann: War Ferdinand Raimund einst wirklich so "vom Blatt" gespielt worden?

Die längste Zeit in diesen inklusive Pause fast zweieinhalb Stunden lässt Köpplinger eine zündende Idee vermissen, warum man diesen Klassiker der Wiener Theaterliteratur auf die Bühne bringen sollte, außer aus Gründen der Traditionspflege. Dass der Kohlenbrenner Glühwurm nicht in einer Keusche, sondern in einem Wohnwagen haust, ehe er von Rappelkopf vor die Türe gesetzt wird ("So leb denn wohl, du stilles Haus"), ist die einzige Andeutung eines möglichen Gegenwartsbezugs. Ansonsten bleibt die Geschichte des krankhaft misstrauischen Gutsbesitzers Rappelkopf, der seiner Familie und seinen Bediensteten das Leben schwer macht, im luftleeren Raum.

Ohne rechte Anhaltspunkte agieren aber Michael Dangl als in sich und die Farbe Violett verliebter Reicher und Günter Franzmeier als wie eine Mischung aus Wandersmann und Desperado gekleideter Alpenkönig so zeit- wie seelenlos. Erst nach der Pause, als das Leid von Gattin Sophie (Alexandra Krismer), Tochter Malchen (Johanna Mahaffy) und ihrem verliebten Verehrer August (Tobias Reinthaller) zu groß wird und sich der Alpenkönig Astragalus zum beherzten Eingreifen genötigt sieht, werden die Dinge konkreter.

Das "Duell" mit vertauschten Rollen, bei dem der Alpenkönig dem Menschenfeind eine Begegnung mit seinem wahren Ich ermöglicht, setzt vorwiegend auf große Gesten und grobe Töne, und auch so manche Nebenrolle des vielgespielten Stückes hat man schon mit deutlich mehr Feinschliff gesehen. Doch die Grundmetapher dieses 1828 uraufgeführten Stückes, das psychische Deformationen und ihre mögliche Heilung lange vor der Psychoanalyse in erstaunlicher Weise vorführte, tut auch ohne Subtilität weiter ihre Wirkung: Die Möglichkeit, Distanz zu sich zu gewinnen, kann wahre Wunder der Selbsterkenntnis wirken.

Das Premierenpublikum freilich war ganz bei sich und schien mit diesem Retro-Raimund recht glücklich. Dass es dafür auf der Bühne keine sonderlichen Ambitionen braucht, ist eine ernüchternde Erkenntnis. Die Saison begann mit Kommentaren wie "ganz nett" und "eh okay". Damit sollte sich aber niemand zufriedengeben.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Ferdinand Raimund: "Der Alpenkönig und der Menschenfeind", Regie: Josef E. Köpplinger, Bühnenbild: Walter Vogelweider, Kostüme: Alfred Mayerhofer, Dirigat und Klavier: Jürgen Goriup / Florian Reithner; Mit u.a.: Günter Franzmeier - Astragalus, Michael Dangl - Herr von Rappelkopf, Alexandra Krismer - Sophie, Johanna Mahaffy - Malchen, Tobias Reinthaller - August Dorn, Martin Niedermair - Herr von Silberkern, Johannes Seilern - Habakuk, Melanie Hackl - Salchen, Theater in der Josefstadt, Nächste Vorstellungen: 5., 6., 12., 13., 18., 20.-22.9., Karten: 01 / 42700-300, www.josefstadt.org)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Premiere von 'Der Alpenkönig und der Menschenfeind' fand am Mittwoch im Theater in der Josefstadt statt und dauerte inklusive Pause fast zweieinhalb Stunden.
  • Die Inszenierung von Josef E. Köpplinger erinnerte an ein harmloses musikalisches Zaubermärchen der 1970er-Jahre, konnte jedoch den Zauber nicht vermitteln.
  • Das Premierenpublikum war mit der Aufführung zufrieden, obwohl die Kritiken gemischt ausfielen, mit Kommentaren wie 'ganz nett' und 'eh okay'.