"Pessimistischer Pessimist" T. C. Boyle schrieb neue Storys
Seine Lieblingsgeschichte im Buch hat T.C. Boyle an den Anfang gesetzt und die Sammlung danach benannt. Die Story "I Walk Between the Raindrops" ist meisterhaft komponiert, verbindet Geschichten innerhalb der Geschichte, greift scheinbar unterschiedliche Themen wie Beziehung, Suizid oder Umweltzerstörung auf engstem Raum auf. "Wenn das Ende funktioniert, findet man den Zusammenhang heraus", so Boyle über diese Erzähltechnik. Und das tut es.
Es sind meist keine klassischen Helden, die der Schriftsteller zu Protagonisten macht. "Ich mag Verlierer", betonte er. Einer davon ist ein Lehrer in der Geschichte "Ich nicht". Der Originaltitel "not me" versteht sich als Wortspiel: "Wir haben die metoo-Bewegung. Halleluja!", so Boyle. "Aber manchmal werden Menschen fälschlicherweise beschuldigt und nur aufgrund einer Anschuldigung gedemütigt oder gecancelt. In meiner Story steckt Ironie. Man erwartet, dass die Frau das Opfer des Mannes ist. Hier ist es umgekehrt. Ich arbeite gerne mit Unerwartetem, um Leser herauszufordern, eins und eins zusammenzuzählen und selbst herauszufinden, wie sie über die Sache denken."
Vielfalt und Output sind erstaunlich, betrachtet man das Oeuvre Boyles. "Ich kann eine Geschichte über alles Mögliche schreiben, egal wo ich mich gerade befinde", bekräftigte er. Short Storys verfasse er aber nur in festgelegten Perioden: "Dazwischen arbeite ich an Romanen. Ich kann nicht zwei Dinge gleichzeitig tun. Was immer in der Gesellschaft passiert, der ganze verrückte Scheiß, ob Technologie, Politik oder die Umwelt betreffend, muss ich dann in der Hinterhand behalten." Was er später aus dieser Ansammlung von Ideen macht, zeigt "I Walk Between the Raindrops" eindrucksvoll.
Die Geschichte "SKS 750" behandelt z.B. das Thema Diktatur. Eine Reaktion auf Entwicklungen in der Heimat? "Es macht mir Angst, was in Amerika abläuft, aber auch in Europa, der Aufschwung von Faschismus und Rechtsaußen", antwortete Boyle. "Für die Zukunft stellt sich die Frage: Können wir es uns leisten, großzügig zu sein und Menschen willkommen zu heißen, oder entwickeln wir uns zu Staaten mit Mauern und erschießen alle, die zu uns rein wollen? Zu dieser Geschichte hat mich allerdings China mit seiner staatlichen Regulierung und dessen absurden Auswüchsen inspiriert." Er habe über das "Belohnungssystem" schreiben wollen: "Wenn man sich gut benimmt, darf man ins Ausland reisen oder hat sonstige Vorteile. Das ist heimtückisch!"
Ist das Gros seiner Themen doch ernst, egal ob Boyle über Amokläufe, selbstfahrende Autos oder unseren Zugang zur Natur schreibt, bereitet er sie mit satirischem Ton unterhaltsam auf. Jede Kunst sei Unterhaltung, sagte Boyle, "aber großartige Kunst informiert, weckt auf, öffnet den Verstand". Man wisse, wofür er stehe. "Aber ich möchte niemanden ganz offensichtlich zu einer bestimmten Meinung drängen. Kunst sollte Verführung sein."
Der Abschluss im Buch ist rührend und versöhnlich. Hat sich Boyle ein gewisses Maß an Optimismus bewahrt? "Das glaube ich nicht. Ich bin eher ein pessimistischer Pessimist." Es schaue schlecht aus für die Spezies Mensch, befindet er. "Aber andererseits haben wir schon einiges überstanden und werden auch wieder einiges überstehen." Eigentlich sei er ja "ein glücklicher Mensch mit einem fröhlichen Geist" - "aber in meinem Herzen ist es schwarz".
Ein Grund für düstere Zukunftsgedanken sei Donald Trump. "Ich verfolge seine Prozesse und hoffe, dass wir ihn endlich loswerden. Trump ist ein Krebsgeschwür, eine Bedrohung für alles, was lebt, für jeden Menschen, jeden Vogel, jeden Schmetterling. Ich bete, dass sich die Wähler zusammenreißen und ihn abwehren. Oder, dass er verurteilt wird. Aber der Supreme Court tut alles, um ihm einen Freibrief zu geben. Schrecklich!"
(Das Gespräch führte Wolfgang Hauptmann/APA)
(S E R V I C E - T.C. Boyle: "I Walk Between the Raindrops - Storys", aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren und Anette Grube, Hanser, 272 Seiten, 26,50 Euro)
Zusammenfassung
- T.C. Boyle veröffentlicht 'I Walk Between the Raindrops', eine Sammlung von Kurzgeschichten, die auf 272 Seiten Themen wie Umweltzerstörung und zwischenmenschliche Beziehungen behandeln.
- In einem kritischen Ton äußert sich Boyle über den Aufstieg des Faschismus in den USA und Europa und bezeichnet Donald Trump als 'Krebsgeschwür'.
- Trotz seines Pessimismus beschreibt sich Boyle als 'glücklichen Menschen mit fröhlichem Geist', sieht die Zukunft der Menschheit jedoch düster.