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ORF-Radiodirektorin Thurnher: Mit Sideletter "nichts zu tun"

Ingrid Thurnher wird als ORF-Radiodirektorin bestimmt nicht langweilig. Bereits im ersten Jahr bekommt es die ORF-Persönlichkeit nach ihrem Wechsel aus dem TV ins Management mit der Übersiedelung von Ö1 und Ö3 auf den Küniglberg und einem neuen "Sound"-Modul zu tun. Im APA-Interview spricht sie über die Lage der Radioflotte, verrät erste Vorhaben und äußert sich zur in einem "Sideletter" der Regierung festgehaltenen Aufteilung der ORF-Direktoriumsposten.

Ihr Wechsel in die Radiodirektion kam überraschend, war Thurnher doch jahrzehntelang im Fernsehen etwa bei der "ZiB 2", "ZiB 1", "Im Zentrum" oder zuletzt als ORF III-Chefredakteurin tätig. "Ich bin nicht von der Fernsehmacherin zur Radiomacherin geworden, sondern von einer Journalistin zum Teil des Managements", sagt sie. Journalismus, der "mehr Lebenseinstellung als Beruf" sei, werde man zwar nicht so schnell los, es sei nun aber eine unglaublich tolle Herausforderung, die Zukunft mitgestalten zu dürfen.

Dabei habe ihr ORF-Generaldirektor Roland Weißmann das Angebot gemacht, in seinem Direktorenteam tätig zu sein. Aus der türkis-grünen Regierung sei niemand an sie herangetreten. Diese teilte sich, wie ein publik gewordener "Sideletter" zeigt, die ORF-Direktoriumsposten im Verhältnis drei ÖVP - inklusive Generaldirektor - versus zwei Grüne auf. Da die neue Programmdirektorin und kaufmännische Direktorin auf grünem Ticket gehandelt wurden, bliebe für Thurnher ein ÖVP-Ticket. Die 59-jährige dementiert dies: "Ich will mit den Sidelettern nichts zu tun haben, und ich habe mit ihnen auch nichts zu tun." Wie man die schiefe Optik nun wieder gerade biegen möchte? "Wir wollen für die Zukunft des ORF arbeiten und uns nicht mit etwas auseinandersetzen, das uns nichts angeht. Ich kann es nicht deutlicher sagen", betont Thurnher.

An Arbeit kommt genug auf sie zu, denn: "Radio ist ein unglaublich lebendiges Medium und wird sich stets weiterentwickeln. Alles paletti ist es dann, wenn man jeden Tag bereit für Veränderungen ist", so die gebürtige Bludenzerin. Bei Ö3 ortet sie wenig Handlungsbedarf, behaupte sich der Radiosender doch mit seiner "spannenden, unterhaltsamen und professionellen" Gestaltung seit Jahrzehnten an der Spitze der meistgehörten Wellen.

Dennoch verlor Ö3 speziell bei den 14- bis 49-Jährigen zuletzt an Reichweite. "Ö3 wird unterwegs gehört. Die letzten zwei Jahre haben uns in unserer Mobilität eingeschränkt", meint Thurnher dazu. Eine Rolle spiele aber auch, dass "das junge Publikum eben sehr stark auf On-Demand-Angebote setzt. Wir wissen das und arbeiten im Hintergrund daran, wie wir diesen Menschen künftig ein Angebot machen können - soweit es uns im Rahmen des ORF-Gesetzes erlaubt ist". Eine der "Fragen aller Fragen" sei, wie man mit Drittplattformen wie Spotify umzugehen habe. "Wir sind gerade dabei, das zu evaluieren. Ein erstes großes Projekt widmet sich in diesem Rahmen ganz speziell den Hörgewohnheiten des jungen Publikums."

Beim jüngeren Publikum zulegen konnte entgegen der anderen ORF-Radiosender indes Ö1. "Ö1 ist eine Art Anker in unserer Medienwelt", meint Thurnher. Nie schaden könne es aber, "sich mit einem neuen Blick über die Programme zu beugen. Das muss bei Ö1 behutsam passieren, da es ein treues Stammpublikum hat." Mit ihrem Team möchte sie etwa über "andere, neue oder größere Sendeplätze" für die Wissenschaft nachdenken.

Ein treues Stammpublikum hat auch FM4. Weißmann meinte in seinem Bewerbungskonzept für den ORF-Generaldirektorenposten, dass der Sender "zu spitz" positioniert sei. Die neue FM4-Chefin Doroteja Gradištanac kündigte an, die Marke zu "refreshen". Wie sieht Thurnher die Lage? "Wir sind sehr dankbar und froh über die eingeschworene FM4-Community. Sie könnte meiner Meinung nach aber noch sehr viel größer sein. Wir werden versuchen, die Stärken von FM4 zu stärken", kündigt sie an. "Pionier" sei der Sender bereits im Rahmen des ORF-Gesetzes bei den Onlineangeboten. "Online finden sich viele Userinnen und User, die FM4 auf ihre eigene Weise nutzen. Ihnen wollen wir in Zukunft verstärkt Angebote machen."

FM4 ist mit 40 Prozent zudem Spitzenreiter beim Österreichanteil im Musikprogramm. Über alle ORF-Radiosender hinweg sind es mehr als 30 Prozent. Die Bühne, die österreichischen Musikerinnen und Musikern geboten werde, sei auch im internationalen Vergleich "wirklich beachtlich", so Thurnher. Ob es künftig mehr oder weniger wird, werde man demnächst mit der Musikwirtschaft besprechen.

Fest steht, dass ein "Sound"-Modul noch im ersten Halbjahr 2022 an den Start gehen soll. "Im Wesentlichen wollen wir auf dem 'Sound'-Modul alle Audioangebote des ORF bündeln, sie neu clustern und als interessantes Bouquet bereitstellen", erklärt sie. Interessensgebiete und Themen sollen sich über Sendergrenzen hinweg einfach finden lassen, die sehr gut eingeführten Sendermarken aber auch. "Diese Ansprüche miteinander zu verweben, ist die große Herausforderung", so Thunher. Abseits des eigenen Moduls könnte das Audioangebot des ORF auch bald mit den Privatsendern auf einem Player abrufbar sein, wie unlängst der Verband Österreichischer Privatsender (VÖP) in den Raum stellte. "Ja, es gibt Gespräche", bestätigt Thurnher. "Die Frage ist, wird sich der ORF, und wenn ja wie, daran beteiligen."

Fixiert ist hingegen, dass im Sommer die Übersiedelung von Ö1 und Ö3 vom Funkhaus auf den Küniglberg über die Bühne gehen wird. Bei manchen herrsche noch Skepsis, aber "wir sind auf einem guten Weg, das Ding ist auf Schiene". Dort soll zunehmend multimedial gearbeitet werden. Wie wird sich das auf Programm und Zusammenarbeit auswirken? "Wir haben natürlich sehr genaue Planungen für die neuen Workflows. Man kann es aber nicht am grünen Tisch ausprobieren, man kann es nur machen. Es wird einer großen Veränderungsbereitschaft speziell im Info-Bereich bedürfen", meint die Radiodirektorin. Sendungsteams müssten allerdings nicht um ihre Autonomie fürchten.

Ist dies geschafft, könnte die Direktionsstruktur angepasst werden. Man sei "völlig offen dafür", sollte es nötig sein. Denn nur so sei es möglich, "dass man den ORF in das verwandelt, was der Generaldirektor sich vorgenommen hat: eine multimediale große Plattform mit Angeboten für alle", sagt die ORF-Radiodirektorin. Ob sie bereit wäre, auch andere Aufgabengebiete zu übernehmen? "Wenn es soweit kommt, reden wir gerne darüber."

Bis dahin managt sie jedenfalls die ORF-Radioflotte, der sie auch regelmäßig lauscht. "Von 6 Uhr bis 7 Uhr für gewöhnlich Ö3, von 7 Uhr bis 8 Uhr Ö1 und ab 8 Uhr bis ca. 8.30 Uhr unterwegs FM4. Am Abend höre ich Infoangebote in Ö1, manchmal aber auch andere Wellen - einfach um zu wissen, was sich so tut", schildert Thurnher. In manchen der vielen ORF-Radiosendungen könnte sie demnächst auch zu hören sein. "Ich muss zugeben, dass mich manche Kolleginnen und Kollegen bereits in ihre Sendungen eingeladen haben. Manche konnten mich überzeugen, andere noch nicht. Mein Hauptjob ist aber definitiv ein anderer."

ribbon Zusammenfassung
  • Bereits im ersten Jahr bekommt es die ORF-Persönlichkeit nach ihrem Wechsel aus dem TV ins Management mit der Übersiedelung von Ö1 und Ö3 auf den Küniglberg und einem neuen "Sound"-Modul zu tun.
  • Eine der "Fragen aller Fragen" sei, wie man mit Drittplattformen wie Spotify umzugehen habe.
  • "Pionier" sei der Sender bereits im Rahmen des ORF-Gesetzes bei den Onlineangeboten.
  • "Die Frage ist, wird sich der ORF, und wenn ja wie, daran beteiligen."