Murathan Muslu hat für neue Filmrolle "alles gegeben"
APA: Wie war es für Sie als Darsteller, einen ganzen Film praktisch ausschließlich vor dem Bluescreen zu drehen?
Murathan Muslu: Im mitteleuropäischen Raum ist das ja tatsächlich etwas Neues. Und meine Erfahrung war vor allem, dass der Boden mir in den ersten Tagen viel zu glatt war. (lacht) Aber mit der Bluewall selbst hatte ich im Gegensatz dazu überhaupt keine Probleme. Wir bekamen im Vorfeld Schablonen und Skizzen zu sehen, um uns vorstellen zu können, wie eine Szene in etwa aussehen soll. Das wirklich Coole war für mich dabei, dass man beim Spielen einen viel größeren Fokus auf das Gegenüber, den Spielpartner hat, wenn man es mit einem normalen Set vergleicht. Der Augenkontakt ist viel intensiver, weil es keine Ablenkung gibt! Das war als Schauspieler schön.
APA: Glauben Sie, dass so die Zukunft des Kinos aussehen wird?
Muslu: Kino kann alles. Wer weiß schon, was es in 50 Jahren geben wird? Am Ende ist immer nur wichtig, dass ein Film herauskommt, der die Leute begeistert. Und im mitteleuropäischen Raum werden hoffentlich solche Ideen verstärkt umgesetzt. Schließlich wäre jeder Schauspieler scharf auf diese Erfahrung.
APA: Haben Sie Angst, dass auch die realen Schauspieler eines Tages durch die Animation ersetzt werden?
Muslu: Keine Ahnung. Ich hoffe natürlich nicht, dass das ein Trend wird! Aber man kann ja nicht wissen, was die Zukunft bringt....
APA: Hat es für Sie denn einen Unterschied gemacht, dass "Hinterland" nicht im Heute spielt, sondern in der Zwischenkriegszeit?
Muslu: Ich hatte immer schon ein Faible für dieses Zeitalter. Und dass ich jetzt so etwas Düsteres in dieser Epoche spielen darf, das hat mich wahnsinnig gefreut! Ich kann mich noch erinnern, als ich das erste Mal mit meinem Filmmantel vor dem Spiegel gestanden bin und mir gedacht habe: Wie cool! (lacht)
APA: War "Hinterland" für Sie Ihr spannendstes Projekt bisher?
Muslu: Natürlich waren nicht alle meine Projekte Überflieger, und klarerweise habe ich manches auch wegen des Gelds gemacht. Aber es gab schon tolle Projekte wie etwa "Nachtschicht" von Lars Becker mit Frederick Lau, wofür ich in Deutschland gedreht habe. Das hat riesig Spaß gemacht. Es gibt einfach Projekte, zu denen man einen größeren Bezug als zu anderen hat. Und "Hinterland" ist definitiv eines davon! Ich habe da echt alles gegeben, was ich mir über die Jahre an Tools als Schauspieler angeeignet habe.
APA: Wie sah denn Ihre Vorbereitung auf die Rolle des Peter Perg aus, der ja ein gebrochener Mann ist?
Muslu: Ich habe mich sehr mit dem Ersten Weltkrieg und Kaiser Franz Joseph beschäftigt in der Vorbereitung, beziehungsweise mit der ganzen Epoche davor und danach. Letztlich war für mich ja immer die Frage, wie ich etwas darstellen kann, das ich nie gesehen habe? Wie kann ich so etwas darstellen, dass man mir glauben wird? Ich habe mir dann visuelles Archivmaterial besorgt und versucht, mein Hirn mit diesen Bildern zu manipulieren. Und wenn ich mit Spielpartnern am Set war, habe ich diese Bilder aufblitzen lassen. Und ich habe auch für jede Szene eine Karteikarte erstellt. Das war viel Vorbereitung. Ich habe dann aber weniger an mein Tun gedacht, sondern war einfach im Moment. Und selbst wenn man es nicht sehen sollte: Ich weiß, dass es geklappt hat.
APA: Ist Stefan Ruzowitzky denn ein Regisseur, der Vorschläge von Schauspielern zulassen kann?
Muslu: Er ist der allererste Regisseur, der mir bei manchen Dingen zugehört hat. Er hat meine Argumente aufgenommen und das ernsthaft abgewogen. Das ist wichtig für mich, denn ich bin Mannschaftssportler am Set. Insofern bin ich auch sehr happy, dass wir jetzt schon wieder gemeinsam drehen - die zweite Netflix-Staffel von "Barbaren". Ich hoffe, ich gehe ihm nicht irgendwann auf die Nerven. (lacht)
APA: Wenn man sich beim Dreh in solch einer technischen Umgebung bewegt, wie war da Ihr Eindruck, als Sie "Hinterland" das erste Mal gesehen haben?
Muslu: Das war bei der Open-Air-Premiere in Locarno. Ich habe mir bei mehreren Szenen auf die Schulter geklopft, weil wirklich das aufgegangen ist, was geplant war. Aber ich habe das Ende tatsächlich nicht gesehen, sondern die letzten drei Minuten in die Sterne geblickt und mir gedacht: Junge, das hast Du gut gemacht! Jetzt muss ich mir das Ende nochmal anschauen. (lacht)
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
Zusammenfassung
- Murathan Muslu ist einer der Shootingstars des heimischen Kinos.
- In Stefan Ruzowitzkys neoexpressionistischem Historienthriller spielt der 39-jährige Wiener nun den gebrochenen Kriegsheimkehrer Peter Perg.
- Mit der APA sprach Muslu aus diesem Anlass über die Manipulation des Gehirns durch Bilder, die Fokussierung auf das Gegenüber und darüber, weshalb er das Filmende noch nie gesehen hat.