APA/Jung und Jung Verlag

"Miserere": Drei Texte aus dem Nachlass von Helena Adler

Die Salzburger Schriftstellerin und Künstlerin Helena Adler hätte im Vorjahr beim Wettlesen um den Bachmann-Preis antreten sollen. Sie müsse sich "einer unaufschiebbaren medizinischen Behandlung unterziehen" hieß es bei der kurzfristigen Absage ihres Auftrittes. Ihr war ein Gehirntumor diagnostiziert worden, dessen Bekämpfung sofort aufgenommen wurde. Anfang Jänner kam die Nachricht, dass sie ihren Kampf verloren hat. Nun sind drei Texte aus ihrem Nachlass erschienen.

"Miserere" heißt der schmale Band, auf dessen Cover ein Ausschnitt aus dem Isenheimer Altar zu sehen ist, auf dem Monster toben. Miserere ist ein kirchlicher und ein medizinischer Begriff - so heißt der Anfang eines Bußpsalms, so wird aber auch das Koterbrechen bei Darmverschluss genannt. Es geht also um die Zumutungen des Lebens und die Grauslichkeit des Sterbens, und wie immer bei nachgelassenen Texten ist es unmöglich, diese ohne Einbeziehung der Umstände ihrer Entstehung zu lesen. Etwa den kürzesten, "Unter die Erde", der bereits im September 2022 auf Radio Salzburg zu hören war, und der mit den Sätzen schließt: "Unter der Erde, die meine Haut ist, überwintert mein gelbes Fleisch. Schon morgen zerfällt es auf den Zungen der von euch Gesteinigten. Verfault bin ich und doch in aller Munde."

Die beiden anderen Texte, die Adler bereits im Hinblick auf eine mögliche Teilnahme beim Bachmann-Wettbewerb geschrieben hatte, sind thematisch zwischen physischem und metaphysischem Schrecken angesiedelt. "Ein guter Lapp in Unterjoch" spielt rund um eine Landhochzeit in einem Gebirgsdorf. In an Elfriede Jelinek geschulter Manier werden soziale Hierarchie und patriarchale Unterdrückung in Sprachbilder geformt, die die bekannten Verhältnisse sprengen. Oder vielmehr: einzementieren. Denn Josef, der im örtlichen Sozialgefüge das Amt des "Hochzeitsladers" bekleidet, ist im Zivilberuf Maurer. Und mischt, als Maria von ihrer Hochzeit flüchtet, Blitzbeton an. Die Folgen sind unerfreulich. Jedenfalls für die Hochzeitsgesellschaft.

Für Klagenfurt hatte sich Adler, die mit ihren Romanen "Die Infantin trägt den Scheitel links" (2020) und "Fretten" (2022) für Furore gesorgt hatte, für "Miserere Melancholia" entschieden - ein Text, der von ihrem Beitrag zum "7 Todsünden"-Projekt der Tiroler Volksschauspiele Telfs ausging. Er ist eine Auseinandersetzung mit innerer und äußerer Natur, deren Beschaffenheit Faszination und Abscheu zugleich auslöst. Die Veränderungen, die die Ich-Erzählerin an sich verspürt, sind nicht nur in schmerzhafte Bilder, sondern auch in Dialoge gefasst. "Gesprächspartner" ist eine innere Stimme, die als Gnom körperlich wird - und mehr und mehr Besitz von ihr ergreift. Ihn abzuschütteln und loszuwerden gelingt nicht mehr. Mit ihm zu leben bedeutet aber, dem Tod ins Auge zu sehen. "Deine Lebensbilanz? - Nicht gelungen. Durchgefallen. Wir sind alle Gescheiterte. Ein alter, verrotteter Scheiterhaufen. Wenn wir sterben, scheitern wir am Leben. Wären wir unsterblich, scheiterten wir am Tod."

Ab 2025 wird, initiiert vom Literaturhaus Salzburg, der "Helena Adler Preis für rebellische Literatur" vergeben. Auf dem H.C. Artmann-Platz vor dem Literaturhaus erinnert ein kürzlich gepflanzter Baum an die Autorin.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Helena Adler: "Miserere. Drei Texte", Jung und Jung, 72 Seiten, 16 Euro)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Salzburger Schriftstellerin Helena Adler verstarb Anfang Januar nach einem Kampf gegen einen Gehirntumor. Drei Texte aus ihrem Nachlass sind nun unter dem Titel 'Miserere' erschienen.
  • Der Band 'Miserere' umfasst 72 Seiten und kostet 16 Euro. Einer der Texte, 'Unter die Erde', wurde bereits im September 2022 auf Radio Salzburg ausgestrahlt.
  • Ab 2025 wird der 'Helena Adler Preis für rebellische Literatur' vom Literaturhaus Salzburg vergeben. Ein Baum auf dem H.C. Artmann-Platz erinnert an die verstorbene Autorin.