Michael Maertens: "Wir sollten am Theater nicht belehren"
APA: Vor fast 18 Jahren haben Sie in Zürich den Tartuffe gespielt, nun stehen Sie als Orgon auf der Bühne. Was bedeutet dieser Perspektivenwechsel für Sie?
Michael Maertens: Das ist wie ein kleines Geschenk. Als ich Tartuffe gespielt habe, war das für mich eine unerfüllte Liebe. Ich habe das Stück geliebt, die Aufführung kam auch recht gut an, aber ich war immer unzufrieden mit mir. Ich habe immer mit unglaublichem Neid auf Tilo Nest geschaut, der Orgon gespielt hat. Damals dachte ich immer, alle Probleme, die er hat, sind so verständlich und das ist eigentlich eine viel wunderbarere Figur und auch so tragisch und in diesem Liebeswahn, in dem er sich befindet - den würde ich gerne spielen. Jetzt bin ich dafür im richtigen Alter. Jetzt darf ich das spielen. Obwohl: Ich habe Orgon auch schon einmal für zwei Abende bei einem Gastspiel in Hamburg mit Joachim Meyerhoff mit einem Knopf im Ohr gespielt, um den erkrankten Gert Voss zu ersetzen.
APA: In Zürich hat damals Matthias Hartmann inszeniert, nun arbeiten Sie wieder - wie bereits schon oft - mit Barbara Frey zusammen.
Maertens: Ja, sie ist meine Rekord-Regisseurin. Es ist unsere 18. gemeinsame Arbeit.
APA: Was macht das in der Zusammenarbeit aus, wenn man sich schon so gut kennt?
Maertens: Wir haben einen ganz tollen Trick. Obwohl wir uns sehr mögen, tun wir auf der Probe fast so, als würden wir uns nicht kennen. Wir gehen sehr behutsam und distanziert mit unserer Bekanntschaft und Freundschaft um. Diese Distanz schafft jedes Mal wieder eine gewisse Neugierde. Barbara Frey ist eine so gebildete, kluge Dame. In diesen acht Wochen, die man mit ihr zusammen ist, profitieren der Kopf und die Seele unfassbar.
"Halte mich für recht konventionellen Theatermenschen"
APA: Als Tartuffe steht Bibiana Beglau auf der Bühne, Sarah Viktoria Frick gibt den Valère. Seit Beginn der Spielzeit häufen sich die Cross-Gender-Besetzungen am Burgtheater. Wie stehen Sie dazu?
Maertens: Ich gehöre ja nun auch schon mittlerweile einer älteren Generation an und halte mich für einen recht konventionellen, wenn nicht sogar konservativen Theatermenschen. Ich muss mich da zum Teil dran gewöhnen, lasse mich aber auch immer wieder überraschen. Bei Tartuffe finde ich nicht, dass der Geschlechterwechsel auf der Hand liegt, aber es bringt natürlich noch eine Ebene hinein. Aber da es sich tatsächlich bei dem Verhältnis Orgon-Tartuffe um eine - wenn auch einseitige - Liebe handelt, einen Liebeswahn, kommt so gewissermaßen ein Schuss Hetero-Romantik hinein. Das empfinde ich als bereichernd. Und Frau Beglau, die ja auch schon den Mephisto gespielt hat, hat ein sehr androgynes Wesen, ich traue ihr die Rolle zu.
APA: Molière beleuchtet Themen wie Übersättigung und religiösen Wahn, wie sehr passt das zu unserer heutigen Zeit?
Maertens: Das ist glücklicherweise nicht unsere Suche. Wir suchen keinen Trump, keinen Sektenführer oder Populisten. Das Gute an dem Stück ist, dass alles, was hineininterpretiert wird, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Tartuffe ist schlicht und einfach ein Betrüger, ein Hochstapler. Und als den sehen wir ihn auch.
Heftige Kritik an Kickl
APA: Dennoch drängen sich Parallelen zu vermeintlichen politischen Heilsbringern auf ...
Maertens: Ich habe einmal in einem Interview rund um den "Jedermann" gesagt, dass mir eine Person wie Kickl Angst macht. Die Angst ist bei mir nach wie vor vorhanden. Meine Vorfahren haben zum Teil unglaubliches Glück gehabt, dass sie den Holocaust überlebt haben. Ich gehe jeden Tag von der Josefstadt ins Theater und komme an den Gedenksteinen jener Juden vorbei, die deportiert und ermordet wurden. Und jetzt gibt es hier wahrscheinlich bald einen Kanzler, der sich ernsthaft Volkskanzler nennen wollte, der behauptet hat, dass die SS keine verbrecherische Organisation war, sondern dass das alle Einzeltäter waren. Und der bewusst mit einem Vokabular spielt, das mich als Jude oder Verwandter von Juden zutiefst verletzt.
Und ich habe Angst - neben anderen Ankündigungen wie einer ORF-Reform -, dass er uns an den Kragen will. Nur fehlt da der große Aufschrei. Wir müssen uns alle wappnen und hoffen und zu Gott beten, dass sich da die Vernunft durchsetzt. Und das traue ich mich zu sagen, obwohl ich hier gar nicht wählen kann und eigentlich gar nicht das Recht habe, was zu sagen, weil ich hier ja Gast bin und gut behandelt werde.
"Wir sollten am Theater nicht belehren"
APA: Sie haben vorhin gesagt, dass Ihnen der große Aufschrei fehlt. Im Burgtheater hat es ja in den vergangenen Jahren sehr politische Aktionen gegeben. Welche Rolle kann und soll das Theater künftig einnehmen?
Maertens: Am Theater kann man ja glücklicherweise bis in die Antike auf Themen zurückgreifen, die immer wieder etwas mit den Menschen zu tun haben. Aber wir sollen nicht belehren und vor allen Dingen den Leuten auch nicht erklären, was sie wählen sollen. Aber man kann Menschen ein Podium geben, Diskussionen führen oder - so wie wir - gemeinsam zur Demo gehen. Es bräuchte dringend Antworten von den so genannten Parteien aus der Mitte, die die Probleme der Menschen ernst nehmen, ohne ihnen falsche Versprechungen zu machen. Eine Partei wie die Grünen hätte eigentlich - wo es ja nun im wahrsten Sinne des Wortes an jeder Ecke brennt - eine Riesen-Chance gehabt. Da haben sie für mich etwas versäumt. Sie müssten eigentlich die Partei der Stunde sein.
APA: Wie es Theatern aus politischen Gründen an den Kragen gehen kann, sieht man derzeit in der Slowakei. Dort engagiert sich Dušan David Pařízek sehr stark, mit dem Sie kommenden Sommer ja in Salzburg "Die letzten Tage der Menschheit" machen werden ...
Maertens: Ich war bei seiner Inszenierung von "Der Hund auf der Straße" in Bratislava, und das Theater war brechend voll bis auf den letzten Platz und die Leute waren wahnsinnig bewegt. Das ist natürlich toll, wenn man das Gefühl hat, dass ein Theaterabend die Menschen so aufrüttelt. Vielleicht sind "Die letzten Tage ..." da auch eine kleine Chance für uns.
APA: Kann man über die Inszenierung schon etwas verraten?
Maertens: Ich weiß nur, dass er sich auf drei, vier Themenkomplexe aus diesem Werk fokussieren will, das ja gemeinhin als unspielbar gilt.
Schmerz über abgesetzten "Jedermann" bleibt
APA: Sie kehren nun nach dem unrühmlichen Ende des "Jedermann", der nach nur einer Saison abgesetzt wurde, in Salzburg auf die große Bühne zurück. Gibt es noch böses Blut zwischen Ihnen und Intendant Markus Hinterhäuser?
Maertens: Es gibt einen Schmerz, der wird auch nicht weggehen. Aber böses Blut gibt es nicht mehr. Ich finde nichts blödsinniger, als nachtragend zu sein. Ich war im Vorjahr auch sehr froh, dass ich in Salzburg die Nawalny-Lesung gemacht habe, mit der wir mittlerweile auch in Zürich, Hamburg und Köln zu Gast sind. Am 20. Februar ist sie dann am Burgtheater zu erleben. Das habe ich den Festspielen zu verdanken. Ich war aber - wie alle anderen auch - zuletzt sehr über die Vorgänge in Salzburg verwundert, als die Schauspielchefin Marina Davydova gehen musste. Da dachte ich: "Was ist da jetzt wieder passiert?"
APA: Wissen Sie mittlerweile, wie es zur "Jedermann"-Absage gekommen ist?
Maertens: Ich habe da keine politischen Verschwörungstheorien. Ich glaube, das war eine reine Intendanten-Entscheidung aus dem Bauch heraus, wie Herr Hinterhäuser inzwischen auch netterweise zugegeben hat. Ich gehe davon aus, dass er mit der Aufführung nicht zufrieden war, weil sie ihm nicht gefallen hat. Und das ist ja auch sein gutes Recht. Ich kenne ich übrigens mehrere Menschen, denen sie nicht gefallen hat. Aber man hat mich und uns vor allen Dingen um was gebracht, was bei "Jedermann" oft passiert: nämlich, dass man sich im Laufe von zwei oder drei Jahren weiterentwickeln kann.
APA: Angenommen, Ihnen würde die Rolle in ein paar Jahren wieder angeboten - würden Sie sie annehmen?
Maertens: Jetzt würde ich es nicht mehr machen. Ich war ja schon damals zu alt, aber Bettina Hering hat mich überredet. Wie gesagt: Ich hätte es gern - wie mit Frau Davydova vereinbart - noch ein paar Jahre gemacht. Aber ich bin ja ein Sportler. Man muss auch gut verlieren können, und das kann ich.
(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Der Tartuffe" von Molière im Burgtheater. Premiere am 26. Jänner, 19 Uhr. Regie: Barbara Frey, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Esther Geremus. Mit Bibiana Beglau, Michael Maertens, Ines Marie Westernströer, Sarah Viktoria Frick, Katharina Lorenz, Markus Scheumann, Maria Happel, Barbara Petritsch und Justus Maier. Weitere Termine: 31. Jänner, 4., 11. und 28. Februar. www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Michael Maertens kehrt nach 18 Jahren als Orgon in Molières 'Tartuffe' auf die Bühne zurück, nachdem er zuvor Tartuffe gespielt hat.
- Im Interview äußert er seine Besorgnis über die mögliche FPÖ-Regierungsbeteiligung und kritisiert Herbert Kickl scharf.
- Maertens beschreibt sich als konventionellen Theatermenschen, der sich an Cross-Gender-Besetzungen gewöhnen muss, aber deren Bereicherung schätzt.
- Er betont, dass das Theater nicht belehren, sondern Diskussionen anregen und ein Podium bieten sollte.
- Der Schmerz über die 'Jedermann'-Absage bleibt, jedoch sieht Maertens darin keine politische Verschwörung, sondern eine persönliche Entscheidung des Intendanten.