APA/Wolfgang Huber-Lang

Maja Lunde: Neues Buch "war eine Suche nach Hoffnung"

Mit ihrer "Geschichte der Bienen" landete die Norwegerin Maja Lunde 2015 einen in 40 Ländern publizierten Welterfolg. Auch in ihren nächsten in die Zukunft führenden Romanen machte sie anhand persönlicher Schicksale auf Umweltthemen und Klimawandel aufmerksam. Mit "Der Traum von einem Baum" hat sie nun ihr "Klima-Quartett" abgeschlossen. Es brauche Geschichten, die Faktenwissen mit Gefühlen ergänzen, um die Menschen zum Handeln zu bewegen, sagt sie im Interview mit der APA.

APA: Frau Lunde, vor zehn Jahren, als Sie "Die Geschichte der Bienen" begonnen haben, waren den meisten Menschen Themen wie Klimawandel oder Artensterben zwar schon bewusst, aber noch kein wirklich dringliches Anliegen. Wie dachten Sie damals darüber?

Maja Lunde: Eigentlich war mir das schon als Kind wichtig. Ich habe sehr früh gewusst, dass Natur ein großer Teil meines Lebens ist. Ich habe eine Verbindung zu ihr gespürt, obwohl ich in der Mitte einer Stadt aufgewachsen bin. Ich bin oft mit dem Rad in den Wald gefahren und hatte einen Vater, der mich viel zum Segeln mitgenommen hat. Da ist man sehr mit dem Wasser verbunden. Und ich hatte eine Mutter, die mit mir sehr viel über diese Themen gesprochen hat. Das waren die Hauptgesprächsthemen bei uns zu Hause: die Bewahrung der Natur und der Wandel des Klimas.

APA: Hatten Sie von Anfang an im Sinn, dass es nicht nur ein Buch über dieses Thema werden würde, sondern etwas, was nun "das Klima-Quartett" genannt wird?

Lunde: Am Anfang dachte ich, es werde ein einzelner Roman. Aber als ich in diesem Thema drinnen war, dem Verhältnis von Mensch und Natur, hatte ich bald viele andere Ideen und habe gemerkt, dass es mit einem einzigen Buch nicht getan sein werde. Ich hatte immer mehr Figuren vor Augen, habe Geschichten gelesen, die ich extrem interessant fand, und allmählich habe ich herausgefunden, wie das alles in vier Bücher passen könnte - wie die Teile eines Puzzles, die sich schließlich zu einem großen Bild zusammenfügen. Und bald wusste ich auch, wie das alles enden würde.

APA: "Die Geschichte der Bienen" wurde ein Riesenerfolg. Seither hat sich ein eigenes Genre etabliert: climate fiction. Was denken Sie über diesen Boom an Romanen, die sich mit dem Klimawandel und seinen Folgen auseinandersetzen?

Lunde: Tja, eigentlich geht es doch immer nur um eines: Wird eine gute Geschichte erzählt oder nicht? Ich mag diese Etiketten nicht und benütze sie auch für meine eigenen Bücher nicht. Für mich sind es einfach Romane. Sie können ja auch in unterschiedlicher Weise gelesen werden - als Beziehungsgeschichten, als Familiengeschichten, sie haben auch Elemente des Thrillers. Manche halten sie für politisch oder feministisch. Es liegt ganz an den Lesern, auf welche Weise sie meine Bücher lesen.

APA: Es gibt zunehmend eine Diskussion, welche Rolle Kunst und Literatur im Zusammenhang mit dem Klimawandel einnehmen sollen. Manche meinen, sie müsse aufrütteln und sensibilisieren. Sehen Sie eine solche Aufgabe?

Lunde: Natürlich können Kunstwerke und Geschichten etwas anderes in den Menschen auslösen als politische Reportagen oder wissenschaftliche Berichte. Wenn Sie einen Roman lesen, sind Sie im Kopf und in den Gedanken von jemandem anderen. Sie werden zu dieser Figur. Dadurch spüren sie, wie trocken der Boden ist oder wie durstig sie sind. Das bleibt nach der Lektüre auch in ihnen. Geschichten sprechen direkt mit Ihnen, gehen ans Herz. Wir brauchen nicht nur Hirn, sondern auch Herz, um zu handeln. Also, kurz gesagt: Ja, wir brauchen diese Geschichten. Ich bekomme so viele Reaktionen von Lesern, die sagen, diese Bücher hätten tatsächlich ihr Leben und ihre Lebensweise verändert.

APA: Politiker sollten also mehr Romane lesen?

Lunde: (lacht) Jeder sollte mehr Romane lesen. Lesen ist gut für uns, in vieler Hinsicht. Es ist gut für unsere Empathie, für unser Gehirn, für unsere Entspannung ...

APA: Viele junge Leute wollen nicht mehr lesen, sondern handeln. Sie sind verzweifelt, weil nach so vielen Jahrzehnten wissenschaftlicher Evidenz politisch immer noch so wenig passiert. Sie protestieren, kleben sich an Straßen fest. Was denken Sie über deren Aktionen?

Lunde: Wir sollten ihre Frustration ernst nehmen. Es ist deren Zukunft! Wir laden viel zu viel Verantwortung auf die Schulter der jungen Leute. Mein neues Buch beschäftigt sich mit Verantwortung. Meine Hauptfigur Tommy hat seit seiner Kindheit viel Verantwortung übernommen. Wir sollten ihnen zuhören und endlich beginnen zu handeln.

APA: In diesem Buch geht es u.a. um einen Samenspeicher, der bewacht und für die Zukunft bewahrt werden muss. Warum Samen?

Lunde: Ich wusste immer, dass das letzte der vier Bücher in Spitzbergen spielen müsse. Das ist ein Ort, an dem man den Klimawandel anhand der schmelzenden Gletscher wirklich sieht. Dann habe ich über den Saatgut-Tresor in Spitzbergen gelesen, in dem in einem Bunker mitten im Berg Samen der ganzen Welt aufbewahrt werden. Von hier aus könnte wieder neues Leben entstehen - für mich ist das ein starkes Symbol. Deswegen ist dieses letzte Buch nicht eines über Gletscher und Eis, sondern eines über Samen, Bäume und Pflanzen und alles, was unseren Planeten so einzigartig macht. Es ist ein Buch über das Leben und über Hoffnung. In den Samen finde ich die Hoffnung.

APA: Wie fanden Sie die Geschichte des russischen Biologen Nikolai Iwanowitsch Wawilow, die sie eingebaut haben?

Lunde: Ich recherchiere immer viel, ehe ich ein Buch beginne - und bei diesem Thema stoßen Sie sehr schnell auf seinen Namen. Es ist eine faszinierende, aber tragische Geschichte. Er wurde ein Opfer Stalins, und seine Mitarbeiter bewachten bei der Belagerung von Leningrad die russische Samenbank bis zum eigenen Hungertod. Sie waren von Samen umgeben, haben aber keinen einzigen angerührt. Was für eine Geschichte! Deswegen musste sie in mein Buch.

APA: Eine andere Geschichte findet sich in Ihrem Buch, die während des Schreibens wahr geworden ist: eine Pandemie. Sind Sie erschrocken, als Corona ausbrach und damit quasi wahr wurde, was Sie gerade schrieben?

Lunde: Ich hatte schon lange vor, über eine Pandemie zu schreiben und auch schon dazu recherchiert. Es war richtig surreal, als es tatsächlich losging - als würde ich in meinen eigenen Roman stolpern. Aber wir alle haben uns wohl plötzlich als Teil eines Horror-Romans gefühlt. In der Zeit habe ich nur ein Tagebuch geführt, das später auch veröffentlicht wurde, und es hat einige Zeit gebraucht, bis ich wieder zur Fiktion zurückkehren konnte.

APA: Familie ist immer ein wichtiger Teil Ihrer Bücher. Wie denken Sie über die Zukunft Ihrer eigenen Kinder?

Lunde: Natürlich bin ich beunruhigt. Meine Angst ist, dass sie in einer unsicheren Welt aufwachsen. Ich bin 1975 geboren, der Kalte Krieg hat definitiv meine Kindheit überschattet. Dann ist alles besser und besser geworden, das hat meine Generation ein Gefühl der Sicherheit verliehen. Nun ist das genaue Gegenteil der Fall: Alles wird immer schlimmer und unsicherer. Es tut mir leid, dass meine Kinder das erleben müssen.

APA: Gibt es noch eine Chance, das Steuer herumzureißen?

Lunde: Hoffnung gibt es immer. Das letzte Buch zu schreiben war eine Suche nach Hoffnung für mich. Wir finden Hoffnung in uns selbst. Wir sind als Homo sapiens eine tolle Rasse mit allen Möglichkeiten. Wir haben diese genutzt, dort zu landen, wo wir jetzt sind. Jetzt müssen wir es wieder gut machen. Jetzt müssen wir es besser machen. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass wir dazu in der Lage sind, die extremsten Dinge buchstäblich über Nacht möglich zu machen. Wir hätten es in der Hand. Nur dürfen wir uns dabei nicht auf die anderen verlassen.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Maja Lunde: "Der Traum von einem Baum", aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein, 560 Seiten, 24,70 Euro)

ZUR PERSON: Maja Lunde wurde am 30. Juli 1975 in Oslo geboren, wo die verheiratete Mutter von drei Söhnen auch heute noch lebt. Zunächst arbeitete sie für Festivals, Kinos und Filmmuseen und schrieb vor allem Drehbücher sowie Kinder- und Jugendliteratur. Mit "Die Geschichte der Bienen" (deutsch: 2017) wurde sie internationale Bestsellerautorin und machte auf das Insektensterben aufmerksam. In "Die Geschichte des Wassers" (deutsch: 2019) thematisierte sie künftige Dürren und Trinkwassermangel, in "Die letzten ihrer Art" (deutsch: 2020) waren die Przewalski-Pferde ein Beispiel für das Artensterben. Mit dem 2110 in Spitzbergen spielenden "Traum von einem Baum" ist ihr "Klima-Quartett" nun komplett.

ribbon Zusammenfassung
  • Mit ihrer "Geschichte der Bienen" landete die Norwegerin Maja Lunde 2015 einen in 40 Ländern publizierten Welterfolg.
  • Auch in ihren nächsten in die Zukunft führenden Romanen machte sie anhand persönlicher Schicksale auf Umweltthemen und Klimawandel aufmerksam.
  • Mit "Der Traum von einem Baum" hat sie nun ihr "Klima-Quartett" abgeschlossen.