Lustvolles Lustspiel: "Pension Schöller" in Linz
Lietzow hat sich den Spaß gemacht, das 1890 uraufgeführte Stück von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs in die 1970er-Jahre nach Westberlin heranzuholen und neu zu texten. Der gelangweilte Privatier Klapproth aus der Provinz, der eine Irrenanstalt besuchen will, taucht somit ein in die Zeit der sexuellen Befreiung. Zu Beginn trifft er in einer Kneipe auf eine "175er" (bis 1994 in Deutschland gültige Homosexuellenparagraf), die Trümmertranse "Wilde Hilde". Im Finale taumelt er mitten durch eine entfesselte Liebesorgie, nachdem in seinem spießigen Heim die Konventionen wie die Wände eingestürzt sind. Dazwischen verbringt Klapproth einen "Bunten Abend" in der Pension Schöller, die ihm sein Hippie-Neffe als Irrenanstalt vorgegaukelt hat.
Lietzow dreht die klassische Verwechslungskomödie weiter zu einem Irrwitz mit herrlich überspannten Schauspielern, die hüpfen, tanzen, springen und singen, dass es ein Vergnügen ist zuzuschauen. Flachwitze wie "die Goldfische sind tot - Sie sind ertrunken" kommen nicht peinlich daher. Im Boulevard schon ewig Gesehenes wie "Tür auf und zusammengerumpelt", ist nicht doof sondern tatsächlich noch immer lustig.
Christian Taubenheim als Abwechslung suchender Klapproth mäandert zwischen lautstarkem Lachen und angstvollem Blick hin und her, bis ihm am Ende der Wahnsinn aus dem Gesicht springt, als die Pensionsgäste ihn daheim aufsuchen. Schräg Katharina Hofmann und Klaus Müller-Beck als Ehepaar Schöller, wie sie als einstige Turniertänzer zum Auftakt des "Bunten Abends" eine Showeinlage im Glitter-Glam-Look hinlegen. Alexander Julian Meile gibt den schwanzgesteuerten und an Sexismus kaum zu übertreffenden Professor Bernhardy, den Lietzow wohl nicht zufällig in Franz(i) verlieben lässt, ein Mann im falschen Körper, neurotisch gespielt von Jakob Kajetan Hofbauer.
Aus Jacobys/Laufs Major wird der trinkende Veteran Gröber mit Hitlerschnauzer im Rollstuhl. Helmuth Häusler gibt den Ewiggestrigen, der mit strammer Stimme betont, in Stalingrad gefallen zu sein. Mit dem Zusatz "über einen herumliegenden Soldaten" wird diese Kriegsverherrlichung kurz und knapp ad absurdum geführt. Am blassesten an diesem Abend bleibt Theresa Palfi in der Rolle der Schriftstellerin Josephine Zillerthal.
Die Lacher auf seiner Seite hat Neffe Eugen Schöller als angehender Schauspieler mit Sprachfehler. Gekonnt ersetzt Markus Ransmayr jedes L durch ein N. Unbeirrt hält Eugen an seiner Karriere fest, was ihm sogar einen Polizeieinsatz beschert, weil er sich auf der Bühne im Linzer Schauspielhaus mit den Füßen am Boden festklebt. Diesen Ausbruch ins heute kann sich die Regisseurin nicht verkneifen.
Das Eintauchen in die 1970er-Jahre wird durch die Bühnenbilder und die Kostüme nahezu perfektioniert. Bis auf die Unterhose kleidet Jasna Bosnjak die Figuren in die Mode der Hippies oder in braunes Spießergewand mit ausgestellten Hosenbeinen. Plötzlich sieht man das eigene oder das elterliche Spiegelbild vor sich. Nicht weniger zu diesem Backflash trägt das Cordsofa in kackbraun, Ornament-Tapeten in grün und orangefarbene Halbkugellampen in der Pension von Bühnenbildner Aurel Lenfert bei.
Zwei mehr als vergnügliche Stunden sind fast am Ende, als Horst Heiss als die Wilde Hilde auf Plateauschuhen in großen Schritten über die Zügellosigkeit schreitet und einfach meint, auch noch einmal einen Auftritt haben wollte. Und so endet der Ausflug von Klapproth mit einem Fest der freien Liebe, über dem die übergroße Transe steht. Lustvoll anzusehen.
(S E R V I C E - "Pension Schöller - Der bunte Abend" nach Wilhelm Jacoby und Carl Laufs, Regie: Susanne Lietzow, Dramaturgie: Andreas Erdmann, Bühnenbild: Aurel Lenfert, Kostüme: Jasna Bosnjak, Mit: Christian Taubenheim (Philipp Klapproth), Markus Ransmayr (Eugen Klapproth),Theresa Palfi (Josephine Zillertal), Helmut Häusler (Gröber), Klaus Müller-Beck (Leopold Schöller), Katharina Hofmann (Amalie Schöller). Horst Heiss (Die Wilde Hilde), Landestheater Linz, Schauspielhaus, 6., 14., 23., 31. Dezember, 7., 12., 17. und 19. Jänner, jeweils 19.30 Uhr. Infos unter www.landestheater-linz.at)
Zusammenfassung
- Einfach nur lachen, so wie sie es als Kind im Film "Pension Schöller" mit Maxi Böhm getan habe, dieses Geschenk wollte Susanne Lietzow mit ihrer Inszenierung des Schwanks dem Publikum in Anbetracht der "aktuellen Verworfenheit" machen.
- Das Präsent eines Lustspiels der freien Liebe wurde Freitagabend im Linzer Schauspielhaus von den Premierengästen lachend und dankbar angenommen.
- Diesen Ausbruch ins heute kann sich die Regisseurin nicht verkneifen.