Letzte Printausgabe der "Wiener Zeitung" am 30. Juni
"Wiener Zeitung"-Geschäftsführer Martin Fleischhacker wollte diese Zahlen im APA-Interview vorerst noch nicht bestätigen. Klar sei aber: "Wir führen Gespräche mit dem Betriebsrat, und wir müssen uns von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trennen." Nach dem Wegfall der Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt der "Wiener Zeitung" sei ein tägliches Printprodukt nicht mehr zu halten gewesen. "Wenn du deinen Hauptumsatzbringer verlierst, dann hast du ein Thema", so Fleischhacker: "Der Fortbestand von Print steht ja überall gerade zur Disposition."
24 Millionen Umsatz hat die Wiener Zeitung GmbH 2022 erzielt, etwas über 20 Millionen kamen via Amtsblatt. Laut Fleischhacker haben die Pflichtveröffentlichungen über die Jahre zwischen 85 und 90 Prozent des Umsatzes ausgemacht. Mit Vertriebserlösen konnte diese Summe bei 6.600 permanenten Abonnenten und einer Verkaufsauflage von rund 8.000 Stück nicht kompensiert werden. Über die gesamte Gruppe arbeiten mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die "Wiener Zeitung", in der Mutterfirma sind es 140, im journalistisch-redaktionellen Bereich 54.
Interessenten für eine Übernahme oder Privatisierung der "Wiener Zeitung" hätte sich zwar gemeldet, ernsthafte Projekte bei denen auch Redaktion und Zeitung in der bisherigen Form weiterbestehen hätten können, habe es aber nach allem, was er gehört habe, nicht gegeben, berichtete Fleischhacker. "Was jetzt am Tisch liegt, ist ein Ergebnis, das schwere Entscheidungen mitbringt, aber auf jeden Fall ein zukunftsgerichtetes Unternehmen übrig lässt." Für die von Vertragsauflösung Betroffenen gibt es einen Sozialplan. "Es herrscht große Einigkeit, dass wir für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sozial verträgliche Maßnahmen treffen. Für Härtefälle soll es noch etwas extra geben."
Ab 1. Juli wird die Redaktion der "Wiener Zeitung" Neu eine Größe von 20 bis 30 Journalistinnen und Journalisten haben. Die Produktentwicklung für das künftige Angebot läuft laut Fleischhacker. "Wir verstehen unseren öffentlich-rechtlichen Auftrag so, dass wir online breiter werden. Wir wollen der Strömung des konstruktiven und lösungsorientierten Journalismus folgen."
In das Projekt eingeweihte Personen attestieren dem Vorhaben Ähnlichkeit mit dem von Michael Fleischhacker im Auftrag von Dietrich Mateschitz entworfenen und inzwischen wieder eingestellten Portal Addendum. Der "Wiener Zeitung"-Geschäftsführer spricht lieber von einem "aufklärenden Kompass-Medium", weg von der Tagesaktualität. Eine rote Seite als Pendant zur blauen orf.at-Seite soll es jedenfalls nicht werden, beruhigt Fleischhacker die Medienbranche. Vielmehr seien Kooperationen mit anderen Medien angedacht.
Kritik aus der Medien- und Kommunikationsbranche gab es zuletzt auch rund um das bei der "Wiener Zeitung" angesiedelte Journalistenausbildungsprogramm im Media Hub Austria sowie die Content Agentur Austria, die Inhalte für die Regierung aufbereiten soll. Fleischhacker führt die kritischen Debatten vor allem auf die derzeit "aufgeheizten Diskussionen" in der Medienlandschaft zurück: "Viele haben es missverstanden, viele wollten es missverstehen."
Eine staatliche Journalistenausbildung sei nicht der Plan. "Es ist kein Ausbildungsprogramm, sondern ein Praxisprogramm, ein Traineeship." Absolventen von Universitäten, Fachhochschulen oder Journalismuslehrgängen bzw. -ausbildungseinrichtungen bekommen laut Fleischhacker für zwölf Monate eine Fixanstellung und ordentliche Bezahlung nach Kollektivvertrag. "Die Leute werden bei uns im Haus und in anderen Redaktionen eingesetzt. Über die Auswahl der Trainees und die Schwerpunktsetzungen beim Trainee-Programm entscheiden die Kooperationspartner, also die Medienbranche, die im Beirat und in der Jury vertreten ist." Bisher sind "Kleine Zeitung", "Dossier", "profil", Puls 24 und "Brutkasten" mit an Bord, mit weiteren Interessenten liefen Gespräche. Zum ORF gebe es "keinen Berührungspunkt". Das Bundeskanzleramt rede jedenfalls nicht mit. "Je breiter die Basis der Kooperationspartner, desto stärker ist die Unabhängigkeit gesichert. Ich verwehre mich dagegen, dass hier auf dem Rücken junger Leute, die für Journalismus brennen, politische Diskussionen ausgetragen werden."
Von der Kommunikations- und Kreativszene geäußerte Sorgen, dass die Content Agentur Austria als Servicestelle der Regierung Aufgaben übernehmen könnte, die bisher von privaten Agenturen getätigt wurden, versucht Fleischhacker ebenfalls zu zerstreuen. "Diese Content-Agentur besteht seit 2009. Wir bereiten an der Schnittstelle zwischen Staat, Verwaltung und Bürger komplexe Inhalte gut verständlich auf, etwa auf help.gv.at. Das gibt es also bereits, und wir haben nicht vor, PR- oder Content-Agenturen Konkurrenz zu machen."
Der Redaktionsbeirat der "Wiener Zeitung" zeigte sich in einer Aussendung vom Freitag entsetzt darüber, "wie von manchen Abgeordneten der ÖVP und der Grünen noch immer behauptet werden konnte, dass die unabhängige Redaktion bestehen bleibe und deren Mitarbeiter weiter beschäftigt werden". Dass Fleischhacker gegenüber der APA indirekt einen massiven Personalabbau bestätigte, zeige, "dass alle Befürchtungen richtig und deren Entgegnungen die pure Unwahrheit waren".
Gleichzeitig hielt man fest, dass die "Wiener Zeitung" schon bisher hervorragende Journalisten ausgebildet habe - jedoch in der Redaktion und durch den Schutz des bisherigen Redaktionsstatuts, "nicht in der Weisungskette des Bundeskanzleramtes, wie dies künftig formal festgeschrieben werden soll". Dies habe großes Potenzial für machtpolitischen Missbrauch.
Zusammenfassung
- Von 1703 bis 2023 ist die "Wiener Zeitung" erschienen, am 30. Juni kommt die letzte Ausgabe der ältesten Tageszeitung auf den Markt, ab 1. Juli beginnt ein neues Zeitalter als reines Onlinemedium.
- "Wiener Zeitung"-Geschäftsführer Martin Fleischhacker wollte diese Zahlen im APA-Interview vorerst noch nicht bestätigen.
- Der "Wiener Zeitung"-Geschäftsführer spricht lieber von einem "aufklärenden Kompass-Medium", weg von der Tagesaktualität.