Krieg, Leid und Protest: Schau russischer Fotografen in Wien
Hier spricht niemand von einer "militärischen Spezialoperation". Hier wird Klartext geredet und gezeigt: Zerstörung und Leid, Angst und Schrecken, Propaganda und Protest. Deswegen sind die Namen von zwei der vier Fotografen Pseudonyme. Denn Alyona Malkowskaya, Viktoria Iwlewa, Sergei Stroitelew und Pavel Mirny dokumentieren nicht bloß, sie zeigen Haltung.
"Wenn ich eine belebte Straße entlanglaufe und 'NO WAR' an einer Wand oder auf dem Bürgersteig stehen sehe, wird mir klar, dass ich nicht allein bin und dass es Hoffnung für die Zukunft gibt, aber erst, wenn dieser monströse Krieg vorbei ist", schreibt Mirny, der zwischen März und August in Moskau und St. Petersburg für sein Projekt "Command-Z" mit einer Kinderkamera mit schlechter Auflösung unterwegs war und die Fotos auf Thermopapier ausgedruckt hat - bewusste Einbeziehung von ungewisser Zukunft und Vergänglichkeit. "Das Projekt 'Command-Z' ist eine Reflexion über die Realität im heutigen Russland, ein Wunsch, diese neue Realität abzuschaffen und die Zeit zurückzudrehen."
Malkowskaya hat die zunehmende Militarisierung der russischen Gesellschaft festgehalten und zeigt das Vorgehen der Behörden gegen Kriegsgegner, Iwlewa hat die unmittelbaren Kriegsfolgen in der Ukraine fotografiert: "Kein einziger Mensch lebt das Leben, das er oder sie noch vor kurzem gelebt hätte. Der Krieg ist mit äußerster Macht und Gemeinheit über alle hereingebrochen." Stroitelew hat im März und April in moldawischen Flüchtlingslagern fotografiert: "Ich war in der Zeit wohl der einzige russische Fotograf, der ohne Probleme arbeiten konnte." Seine Fotos zeigen verstörte Menschen, Familien aus Odessa, eine 18-Jährige aus Charkiw. Sie sind Hals über Kopf geflüchtet, mitten aus ihrem Leben gerissen und plötzlich in einem Vakuum ihrer Existenz. Die Begleittexte zu den Fotos erzählen ihre Geschichte.
Die von der amerikanischen Andrej-Sacharow-Stiftung initiierte Schau ist die erste Ausstellung des im Mai gegründeten Wiener Dialogbüros für zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit in Ost- und Südosteuropa, betonte Direktorin Stefanie Harter bei der gestrigen Eröffnung. Und Kurator Alexander Sorin wies darauf hin, dass am Dienstag besonders schwere russische Raketenangriffe viele Städte der Ukraine getroffen hätten. Das Morden und das Leiden gehe weiter. "In der Ukraine bewegen sich die Menschen zwischen Granaten und Bomben. In Russland hingegen leben die Menschen in einem Umfeld, das diese Bombardierungen organisiert und rechtfertigt", schreibt er in einem Ausstellungstext. "Es handelt sich um zwei Arten von Kriegsräumen: Einen der Opfer und einen der Angreifer."
Die Ukraine ist derzeit auch in zwei Kunstausstellungen in Wien präsent: Bis 27. November zeigen in der Künstlerhaus factory 14 ukrainische Künstlerinnen und Künstler unter dem Titel "contrapunct" Videoinstallationen, Gemälde, Skulpturen und Fotografien. "Ziel der Ausstellung ist es, durch künstlerische Ausdrucksformen über die emotionale Wahrheit des Krieges nachzudenken", heißt es. Und unter dem Titel "Death and the Maiden - Der Tod und das Mädchen" ist bis 15. Jänner im tresor des Bank Austria Kunstforums junge Ukrainische Kunst zu sehen: Lucy Ivanova, Zhanna Kadyrova, Elena Subach und Anna Zvyagintseva zeigen, die sowohl vor als auch nach dem Ausbruch des Krieges entstanden sind.
(S E R V I C E - "Nach dem 24. Februar": Ausstellung in der Galerie Hilger Next, Wien 10, Absberggasse 27, Stiege 3, 2. Stock, Top 3, bis 9. Dezember, Di-Sa 11-18 Uhr)
Zusammenfassung
- Ein zerstörtes Haus in der Ukraine. Verstörte Menschen in einem Flüchtlingslager in Moldawien. Truppenparaden und Anti-Kriegs-Grafitti in den Straßen von Moskau und St. Petersburg. Es sind viele unterschiedliche Facetten des Ukraine-Kriegs, die in den Fotos der Ausstellung "Nach dem 24. Februar" dokumentiert werden - und alle sind bedrückend. Das Besondere: Es sind vier Fotografinnen und Fotografen aus Russland, die in der Galerie Hilger Next in Wien-Favoriten ausstellen.