Klaus Maria Brandauer bekundet Sympathie für "Haudegen"
APA: Herr Brandauer, die beiden Filme "Feinde" behandeln denselben Entführungsfall aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Was haben Sie sich gedacht, als Sie das erste Mal von diesem Konzept gehört haben?
Klaus Maria Brandauer: Ich fand das schon beim ersten Lesen des Drehbuchs interessant, weil es die Möglichkeit bietet, ein brisantes und polarisierendes Thema in aller Ruhe und von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Wir sind ja sonst immer geneigt, schnell zu urteilen und dem Recht zu geben, der als Letzter oder der am lautesten gesprochen hat. Ein fundiertes Urteil entsteht auf diese Weise eher nicht, sondern nur viel Lärm ohne nachhaltige Ergebnisse.
APA: Für die Zuschauer bedeutet das nun auch: Sie können wählen, welcher Geschichte, welcher Person sie folgen werden - dem Strafverteidiger oder dem Kommissar. Welchen Reiz hat diese Wahlmöglichkeit in Ihren Augen?
Brandauer: Sie können eigentlich nur wählen, in welcher Reihenfolge sie die beiden Filme anschauen. Denn man sollte schon beide Filme komplett schauen, um das ganze Bild wirken zu lassen. Wenn man bereit ist, sich auf beide Perspektiven einzulassen, dann wird das zu einer echten Herausforderung für den Zuschauer, weil er im Laufe des Sehens seinen Standpunkt befragen und gegebenenfalls auch neu festlegen muss. Das gibt es ja im Fernsehen sonst eher selten.
APA: Sie spielen Strafverteidiger Konrad Biegler, für den das Gesetz über allem steht. Wie haben Sie sich dieser Figur genähert?
Brandauer: Der Biegler ist ein Profi alter Schule, er weiß, was er tut, er ist nicht korrumpierbar. Er hat Werte und Überzeugungen und ist auch bereit für diese einzutreten. Ich habe viel übrig für solche "Haudegen", bei denen Lebenserfahrung keine Bürde ist, sondern die Möglichkeiten erweitert. Da steht auch eine Generation dahinter, die viel geleistet hat und von der unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft bis heute profitiert.
APA: Wir lernen Biegler als entschlossenen, erfahrenen Strafverteidiger kennen, erhalten aber auch ein wenig Einblick in die Privatperson. Welche Rolle spielt das für die Beurteilung des Gerichtsverfahrens - wird er dadurch nachvollziehbarer?
Brandauer: Unbedingt, es geht ja darum, eine komplette Persönlichkeit zu zeigen, mit allen Ecken und Kanten. Alles andere wäre langweilig, niemand ist nur schwarz oder weiß, sondern das Leben besteht aus unendlich vielen Grautönen. Dass er als Person eine Funktion hat, steht ja nicht im Widerspruch dazu, dass er vor allem auch ein Mensch ist. Das geht uns ja allen so.
APA: Dem Kommissar stellt Biegler vor Gericht angesichts der Foltermethoden die Frage: "Wo ziehen Sie die Grenze?" Wie sehen Sie diese Diskussion denn persönlich?
Brandauer: Der Biegler kommt mit seiner Meinungsbildung leichter zu einem Ergebnis als ich selber. Aber das geht in Ordnung so, wenn das leicht wäre, müssten wir keinen Film dazu machen. Ich finde es wichtig, sich auch solchen Themen zu stellen und umso mehr Zuschauer daran teilnehmen, desto besser. Ich bin deswegen auch sehr dafür, dem Ganzen als TV-Ereignis große Sichtbarkeit und Reichweite zu geben.
APA: Können Sie der einen oder anderen Position, also Biegler respektive Nadler, mehr abgewinnen?
Brandauer: Ich kann beiden Perspektiven sehr viel abgewinnen. Beide sind durchaus nachvollziehbar, nicht nur aus der Position der Handelnden. Ich verstehe Nadler und sein Vorgehen durchaus - aber ich bin genauso davon überzeugt, dass man mit Gewalt kein Geständnis erzwingen darf.
APA: Ferdinand von Schirach stellt uns meist moralische Fragen: Wie würden wir handeln? Was würden wir in solchen Situationen tun? Wieso schafft er es mit seinen Konstellationen so gut, bei uns einen Nerv zu treffen?
Brandauer: Er ist nicht nur ein hocherfolgreicher Autor, sondern war lange als Anwalt und Strafverteidiger tätig. Er kennt also nicht nur das Milieu und die Hintergründe, sondern auch die genauen Abläufe und weiß diese so zu schärfen und dazustellen, dass er die in seinem Sinne bestmöglichen Wirkungen erzielt. So gelingt es ihm, die entscheidenden Karten immer dem Leser oder Zuschauer zuzuspielen und der muss dann aktiv werden, eine Entscheidung fällen, einen Standpunkt einnehmen.
APA: Wie war für Sie und Bjarne Mädel dieses 45-minütige Kammerspiel vor Gericht, das bei beiden Filmen die zweite Hälfte einnimmt? Diese nur mit Worten geführte Auseinandersetzung ist ja äußerst intensiv und gewissermaßen der Kern der ganzen Geschichte...
Brandauer: So etwas ist zunächst eine sehr harte Arbeit, weil es von allen Beteiligten ein Höchstmaß an Konzentration einfordert, auch von denen, die gerade keinen Text zu sprechen haben. Über eine so lange Strecke in einem so eng gefassten Rahmen agieren zu müssen, das braucht eine ziemliche Hingabe und vor den Leistungen aller Kolleginnen und Kollegen kann man nur den Hut ziehen. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie übrigens bemerken, dass immer mindestens zwei Kameras parallel im Einsatz waren und dass in beiden Fassungen unterschiedliche Perspektiven von den gleichen Vorgängen gezeigt werden.
APA: Kann ein solches TV-Event die Zuschauer zum Nachdenken anregen? Oder regiert dann doch der Unterhaltungsfaktor?
Brandauer: Ich denke, dass hier beides auf sehr gelungene Weise zusammenkommt. Wir wollen spannendes, kritisches und plausibles Fernsehen machen und bewegen uns dabei doch immer im Feld der Fiktion. Das ist natürlich Unterhaltung und zwar im besten Sinne des Wortes, mit Anspruch und mit Souveränität und auf Augenhöhe mit internationalen Vorbildern.
Zusammenfassung
- In dem TV-Zweiteiler "Feinde" nach einer Vorlage von Ferdinand von Schirach spielt Klaus Maria Brandauer einen Strafverteidiger, für den das Gesetz über allem steht. Die Besonderheit der Filme, die am Sonntag ab 20.15 Uhr in ORF 2 und der ARD zu sehen sind, ist, dass sie ein und denselben Fall aus zwei unterschiedlichen Perspektiven zeigen. Im APA-Interview bekundete Brandauer seine Sympathie für "Haudegen" und sprach über den Reiz, ein Thema in Ruhe zu behandeln.