APA/Michael Mazohl

Julya Rabinowich schrieb über den "Geruch von Ruß und Rosen"

In ihrem Jugendbuch "Der Geruch von Ruß und Rosen" konfrontiert Julya Rabinowich das Flüchtlingsmädchen Madina, die schon Protagonistin ihrer ausgezeichneten Bücher "Dazwischen: Ich" und "Dazwischen: Wir" war, mit der Erinnerung an Krieg und Vertreibung. "Madinas Geschichte ist nicht nur die Geschichte ihrer Traumata, sondern auch die einer Transformation, einer Befreiung und Selbstermächtigung", sagt die Autorin, die viele Gespräche mit Betroffenen führte, im APA-Interview.

APA: Frau Rabinowich, eben ist Ihr Buch "Der Geruch von Ruß und Rosen" erschienen. Sie haben es als "besonders schwere Geburt" bezeichnet. Warum?

Julya Rabinowich: Weil ich wusste, dass ich in Madinas dunkelste Erinnerungen abtauchen musste. Und in ihren Schmerz. Und diesen Schmerz, diese Erinnerungen und Flashbacks kenne ich natürlich gespiegelt in vielen, vielen Gesichtern aus der Zeit, als ich in Therapien übersetzt habe. Nichts hat mich so sehr so nahe an den Abgrund geführt, der unter dem Eis der Zivilisation gähnt, wie diese Therapiesitzungen. Dieses dünne Eis der Zivilisation verdränge ich zwar nicht, aber ich tauche sonst auch nicht so ausgiebig hinab, es reicht, wenn die Tatsachen dazu mich Tag für Tag aus den Medien anspringen: die zerstörerische Gewalt, zu der Menschen fähig sind. Wenn die Gewalt vorbei ist, ist das Leiden der Opfer noch lange nicht vorbei. Aus diesem Grund vertiefe ich mich aber auch nicht nur in die Traumata des Krieges, sondern auch in die Wunder der Resilienz, ohne die es die Menschheit wohl nicht mehr gäbe. Madinas Geschichte ist nicht nur die Geschichte ihrer Traumata, sondern auch die einer Transformation, einer Befreiung und Selbstermächtigung.

APA: Als Übersetzerin bei Psychotherapien sind Sie seit vielen Jahren mit den traumatisierenden Erfahrungen von Kriegsvertriebenen und Folteropfern konfrontiert. Hatten Sie jemals die Hoffnung, dass diese Gewalt einmal ein Ende haben könnte?

Rabinowich: Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile nur noch selten und ehrenamtlich übersetze, ich fürchte, es hätte mich sonst zerrissen. Leider: Diese Hoffnung hatte ich nicht, und der Ukraine-Krieg hat mich erneut bestätigt, die Erzählungen, die ich aus Dörfern um Grosny hörte, hörte man später auch aus Butscha. Sie waren ident. Nichts hat sich verändert.

APA: Wie sehr sind Sie in Ihrem privaten wie beruflichen Leben mit dem Ukraine-Krieg konfrontiert?

Rabinowich: Meine Großmutter stammte aus der Ukraine, der Rest meiner Familie aus Russland. Ich bin nachhaltig entsetzt, entsetzt über die Gräueltaten, die Lügen, die Bereitschaft, ein Land zu vernichten, die verstörenden Fernseh-Talks gespickt mit Gewaltfantasien und Auslöschungswünschen, die totale Medienkontrolle. Wichtig ist aber, Putins Russland nicht mit allen Russen und Russinnen gleichzusetzen. Die Gegendemonstrierenden begeben sich in größte Gefahr, ebenso die widersprechenden Kunstschaffenden und Journalistinnen und Journalisten. Viele von ihnen mussten das Land verlassen und leben nun im Exil, ihnen sollte jede Solidarität entgegengebracht werden. Entsetzt bin ich aber auch darüber, wie leicht sich Menschen in Europa in Abhängigkeit von Putin begeben haben. Im Privatleben hat sich nicht viel getan, ich habe weder Anfeindungen von außen erlebt noch von innen. Im Berufsleben empfinde ich wesentlich größeren Impact des Krieges, auch, weil ich oft darüber schreibe.

APA: Sie haben das Flüchtlingsmädchen Madina schon als Protagonistin Ihrer Jugendbücher "Dazwischen: Ich" und "Dazwischen: Wir" eingesetzt. Wie schwierig ist es, für derartige Materien gegenüber jugendlichem Publikum den richtigen Ton anzuschlagen?

Rabinowich: Ich habe versucht, Madina einfach zu folgen. Auch ins Dunkelste hinein. Und aus dem Dunkelsten wieder hinaus. Mir war klar, dass es diesmal herausfordernder sein würde, weil sie einerseits noch sehr jung ist, andererseits aber durch ihre Erfahrungen und die zu frühe Verantwortung für die ganze Familie woanders im Leben steht als viele ihrer Freundinnen und Freunde. Dazu kommt natürlich noch, dass sie nun mehrere Jahre in Therapie ist, was ihr verschiedene Lösungsansätze ermöglicht. Über alle früheren Rückmeldungen der Jugendlichen, dass Madina sich echt anfühle, habe ich mich sehr gefreut, auch über die spannenden Gespräche, die sich fast immer nach Lesungen ergeben haben. Becca, zuerst eine Antagonistin, später Freundin Madinas, ist aus einer solchen Begegnung entstanden. Mein Publikum ist manchmal ein Orakel.

APA: Österreich hat nach zahlreicher Kritik am Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen eine Kindeswohlkommission unter der Leitung von Irmgard Griss eingesetzt. Hat sich Ihrer Erfahrung nach dadurch irgendetwas verändert?

Rabinowich: Es gibt jetzt wenigstens den Kriterienkatalog für die Kindeswohlprüfung. Aber eines der größten Probleme, das beispielsweise Asylexperte der Diakonie Christoph Riedl sieht, ist die Tatsache, dass die angekündigte Obsorge ab Tag eins für geflüchtete unbegleitete Minderjährige immer noch nicht umgesetzt wurde, obwohl es dazu seit eineinhalb Jahren einen fertigen Vorschlag im Justizministerium gibt.

APA: Asyl- und Migrationspolitik sind voraussichtlich im kommenden Jahr wichtige Themen sowohl bei den Wahlen zum österreichischen Nationalrat wie zum Europäischen Parlament. Was wünschen Sie sich diesbezüglich von der Politik?

Rabinowich: Ich wünsche mir mehr Empathie, mehr Möglichkeiten, mehr Ressourcen für Kinder und Jugendliche, vor allem für die unbegleiteten. Ich wünsche mir einen Konsens der Politik, welche gesellschaftlichen Schwellen man nicht unterschreiten darf. Das Schicksal von Kindern und Jugendlichen ist kein Wahlkampfgag. Kinder und Jugendliche sind Trägerinnen eigener Rechte. Ich wünsche mir von der Politik, dass sie nicht auf ihre Verantwortung vergisst.

(Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA)

ZUR PERSON: Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien. Sie ist Schriftstellerin und Kolumnistin und war viele Jahre als Dolmetscherin tätig. Zu ihren Romanen zählen "Spaltkopf" (2008), "Herznovelle" (2011), "Die Erdfresserin" (2012) und "Krötenliebe" (2016). Ihr erstes Jugendbuch "Dazwischen: Ich" (2016) wurde mehrfach ausgezeichnet. 2019 folgte "Hinter Glas", 2022 "Dazwischen: Wir".

(S E R V I C E - Julya Rabinowich: "Der Geruch von Ruß und Rosen", Hanser Verlag, empfohlen ab 14 Jahren, 240 Seiten, 18,50 Euro)

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  • In ihrem Jugendbuch "Der Geruch von Ruß und Rosen" konfrontiert Julya Rabinowich das Flüchtlingsmädchen Madina, die schon Protagonistin ihrer ausgezeichneten Bücher "Dazwischen: Ich" und "Dazwischen: Wir" war, mit der Erinnerung an Krieg und Vertreibung. "Madinas Geschichte ist nicht nur die Geschichte ihrer Traumata, sondern auch die einer Transformation, einer Befreiung und Selbstermächtigung", sagt die Autorin, die viele Gespräche mit Betroffenen führte, im APA-Interview.