"Jedermann"-Premiere fand indoors statt
Mit Optimismus und Durchhaltevermögen haben sich die Salzburger Festspiele den Status des einzigen Festivals von Weltformat erkämpft, das trotz Coronapandemie stattfindet. Die gleiche Strategie ging am Samstagabend angesichts eines nahenden Gewitters nicht auf. Nach langem Warten wurde der Domplatz freigegeben - und sofort musste umdisponiert werden. Die "Jedermann"-Premiere fand indoors statt.
Dass diese Entscheidung richtig war, bewies der Regen, der die Besucher nach der mit über halbstündiger Verspätung und nach kleiner Ansprache von Schauspielchefin Bettina Hering ("Der Jedermann hat schon viele Stürme erlebt und überlebt") begonnenen Aufführung empfing.
Ob dagegen die getroffenen Anti-Corona-Maßnahmen tatsächlich alle zielführend waren, wird man erst in Tagen oder Wochen sehen. Vorerst ist zu konstatieren: Die Maskenpflicht wird fast überall eingehalten (und vom Personal auch eingefordert), das Gedränge beim Einlass - zumal bei so kurzfristiger Ortsveränderung wie gestern - ist allerdings so groß wie eh' und je.
Während die Festspiele heuer 100 Jahre alt werden, geht die Inszenierung von Michael Sturminger in ihr viertes Jahr. Nachdem sie sich in den vergangenen Jahren von ihrer anfänglich allzu großen Profanheit deutlich Richtung Religiosität verändert hat, hat sich nun nicht mehr viel getan. Die Neuzugänge - Pauline Knof als Schuldknechts Weib und Gustav Peter Wöhler als Dicker Vetter - fügen sich eher unauffällig ein, Tobias Moretti in der Titelrolle hat seiner Figur ein paar kleine jähzornige Ausbrüche hinzugefügt. Ansonsten ist er bei der Etablierung seiner Figur nüchtern-argumentativ geblieben, in der Rechtfertigung seiner (Un-)Taten ein Opfer des ökonomischen Sachzwangs: Das liebe Geld muss ja arbeiten! Sein Ende hört er früh komme. Eine Haltung zur Entdeckung der eigenen Endlichkeit zu finden, ist die Herausforderung seiner Figur, die den zweiten Teil des Abends deutlich interessanter macht als den ersten.
Auch dank Christoph Franken als Mammon, der souverän deutlich macht, dass Jedermann sein Sklave ist und nicht umgekehrt, Mavie Hörbiger als schwindsüchtige Werke, Falk Rockstroh als kämpferischer Glaube und eines sehr spielfreudigen Gregor Bloeb als Teufel hat das letzte halbe Stündlein dieses "Jedermann" deutlich mehr Tiefe. Peter Lohmeyer als Tod und Edith Clever als Jedermanns Mutter legen wie in den vergangenen Jahren intensive Auftritte hin.
Mit großem Interesse war der "Jahrhundert-Buhlschaft" Caroline Peters entgegengesehen worden. Überraschen konnte auch sie - allerdings nicht im Brecht-Stil wie ihre Vorgängerin Valery Tscheplanowa, sondern mit einem stark ironisierten Showauftritt. Der Festspielgeburtstag findet heuer nämlich seinen Niederschlag auch auf der Bühne: Im goldglitzernden Abendkleid samt Stola legt Peters einen Glamourauftritt hin, erklimmt zu einem kleinen Männerballett eine dreistöckige, rosafarbene Geburtstagstorte und haucht als Marilyn-Monroe-Parodie "Happy Birthday". Bei der Tischgesellschaft ist sie im roten Hosenanzug samt schwingender Schärpe bemüht, den immer mürrischer und missmutiger werdenden Gefährten wieder zu guter Laune zu verhelfen.
Anders als Morettis bisherige Buhlschaften Stefanie Reinsperger und Valery Tscheplanowa wirkt sie als ebenbürtige, langjährige Partnerin, die mit mütterlicher Zuwendung und erneuerten Liebesbeteuerungen dem Gatten über eine kleine Lebenskrise hinweghelfen möchte: Da ist doch nichts, was man nicht gemeinsam bewältigen könnte! Dieses Paar hätte es schaffen können, denkt man. Diese Frau wäre doch mit ihm gegangen, bis ans Ende der Welt oder zumindest des Lebens! Umso erstaunlicher und unspektakulärer fällt dafür ihr Entschluss aus, ihn wie alle anderen zu verlassen: "Dein Spiel mag mir nicht mehr gefallen." Und langsam ab. Mehr ist da nicht. Wie sich diese Beziehung auf der Bühne künftig entwickeln könnte, wird man nicht erfahren: Er werde im kommenden Jahr nicht mehr dabei sein, hat Moretti bereits angekündigt.
Von neuer Tiefe angesichts des deutlich präsenter gewordenen Todes in unserer Gesellschaft, war an diesem Premierenabend nichts zu spüren. Im Gegenteil: Streckenweise stellte sich Routine und Gewöhnung ein. Statt eines "Jahrhundert-Jedermanns" ist im Jubiläumsjahr vielleicht eine Jahrhundertchance verpasst worden. Am 22. August vor 100 Jahren wurde Hugo von Hofmannsthals Spiel vom Sterben des reichen Mannes zum ersten Mal am Domplatz gezeigt. Vielleicht sollte man im zweiten Jahrhundert an eine radikale Frischzellenkur denken, statt an der Einbalsamierung zu arbeiten.
Zusammenfassung
- Mit Optimismus und Durchhaltevermögen haben sich die Salzburger Festspiele den Status des einzigen Festivals von Weltformat erkämpft, das trotz Coronapandemie stattfindet.
- Die gleiche Strategie ging am Samstagabend angesichts eines nahenden Gewitters nicht auf.
- Sein Ende hört er früh komme.
- Mit großem Interesse war der "Jahrhundert-Buhlschaft" Caroline Peters entgegengesehen worden.
- Dieses Paar hätte es schaffen können, denkt man.