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Holzingers "Ophelia's Got Talent" begeistert in Wien

Wasser und Weiblichkeit, Macht und Missbrauch, der Tod und das Mädchen: Mit "Ophelia's Got Talent" hat Florentina Holzinger zu Beginn der Saison an der Berliner Volksbühne einen Triumph gefeiert. Nun ist die Koproduktion mit u.a. dem Tanzquartier Wien für drei Abende im Wiener Volkstheater zu sehen. Inklusive Triggerwarnung. Achtung, "selbstverletzende Handlungen, Blut, Nadeln, Stroboskop-Licht, explizite Darstellung oder Beschreibung körperlicher oder sexualisierter Gewalt".

Wer bereits Arbeiten der 37-jährigen Wiener Choreografin gesehen hat, etwa "TANZ" im Jahr 2019, kann sich diesmal fast schon zurücklehnen: Die tatsächlichen physischen Verletzungen beschränken sich diesmal auf einen einzigen Haken, den sich die Performerin Xana Novais durch eine Wange bohrt. Hier geht es freilich nicht nur um den puren Akt der Selbstverletzung, sondern Holzinger schlägt den Bogen zum Fisch im Wasser, das nicht nur in einem großen Becken in der Bühnenmitte, sondern auch in zwei riesigen Aquarien omnipräsent ist. Schließlich widmet sie sich "in der Dämmerung des 'Age of Aquarius'" den Geschichten der Vorfahrinnen Ophelias von Undine bis zu den Sirenen und deren Erbinnen.

Diese haben sich zu Beginn zu einem Casting versammelt, um sich im "Ophelia-Sein" zu messen. Unter dem gestrengen Blick der dreiköpfigen, ebenfalls nackten Jury winden sie sich kopfüber um Pole-Stangen, heben eine an Intimpiercings befestigte 5-Liter-Wasserflasche hoch oder befreien sich in einer spektakulären Unterwasseraktion aus Ketten. Moderiert wird der Abend von Captain Hook, den Annina Machaz jedoch mehr wie Jack Sparrow unten ohne anlegt. Als einzig männlich gelesene Figur steht sie für derbe Dominanz und schleimigen Schmäh und rekrutiert einige "Matrosen", die von sechs kleinen Mädchen gespielt werden, die aus einer Loge auf die Bühne kommen und dort sich dann im Badeanzug im Schwimmbecken tummeln. Teil des diversen Ensemble sind auch die kleinwüchsige Performerin Saioa Alvarez Ruiz und die Schauspielerin Zora Schemm, die mit Down Syndrom lebt.

Zwischen Tauchgängen und Tanzeinlagen gibt es auch immer wieder die Geschichten von Ophelias Nachkommen zu hören, wenn Holzinger etwa von einer Essstörung in der Jugend berichtet oder eine Vergewaltigung mithilfe eines Spekulums nachgestellt wird, während die Live-Kamera die Umgebung filmt. Höhe-, aber nicht Schlusspunkt dieser pausenlosen, zweieinhalbstündigen Performance ist die Gruppenkopulation mit einem Helikopter, der nicht nur aus dem Schnürboden hinabgleitet, sondern auch - unter dem Gelächter des Publikums - ejakuliert. Danach steuern Holzinger und ihr Ensemble auf den unabwendbaren Wassertod zu, und der Abend erstirbt vergleichsweise unspektakulär.

Von der griechischen Mythologie bis hin zu Helene Fischer ("Atemlos") zieht Holzinger in diesem dichten, bildgewaltigen und zu jeder Zeit hoch ästhetischen Abend alle Register des Zitats. Dem Ensemble gelingt ein beständiges, vielfältiges Ausloten der Rolle der Frau und deren Zuschreibungen, doch am Ende kann es hier keine Gewinnerinnen geben. Ophelias Schicksal schlägt zu. Lang anhaltender Jubel.

(S E R V I C E - "Ophelia's Got Talent" von Florentina Holzinger, Koproduktion der Volksbühne Berlin mit u.a. dem Tanzquartier Wien. Bühne: Nikola Knežević, Live-Kamera: Melody Alia, mit u.a. Annina Machaz, Sophie Duncan, Florentina Holzinger, Zora Schemm, Princess Tweedle Needle, Xana Novais und Saioa Alvarez Ruiz. Weitere Termine: 18. und 19. April. www.volkstheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Wasser und Weiblichkeit, Macht und Missbrauch, der Tod und das Mädchen: Mit "Ophelia's Got Talent" hat Florentina Holzinger zu Beginn der Saison an der Berliner Volksbühne einen Triumph gefeiert.
  • Nun ist die Koproduktion mit u.a. dem Tanzquartier Wien für drei Abende im Wiener Volkstheater zu sehen.
  • Danach steuern Holzinger und ihr Ensemble auf den unabwendbaren Wassertod zu, und der Abend erstirbt vergleichsweise unspektakulär.