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"Heidi" im Theater der Jugend: Die Macht der Anarchie

Heidi. Die von Johanna Spyri geschaffene Figur ist fast 150 Jahre alt und wird von jeder Generation neu entdeckt. Junge Menschen ab sechs Jahren können das nun, ohne selbst das Buch in die Hand nehmen zu müssen, im Wiener Renaissancetheater tun. Claudia Waldherrs Inszenierung kann man zeitlos nennen. Sie hätte auch vor 30 Jahren so aussehen können. Die Bearbeitung von Prinzipal Thomas Birkmeir baut politische Widerhaken ein. Wenig Neues also im Theater der Jugend. Oder doch?

In diesen etwas mehr als zwei Theaterstunden wird die Gegenwart ebenso geflissentlich ignoriert wie Ästhetik und Erzählweise zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaters. In einem pittoresken, ausschneidebogenartigen Bühnenbild (Daniel Sommergruber) und märchenhaften Kostümen (Natascha Maraval) wird eine Geschichte erzählt, die einem heute sehr fern vorkommt, und die gar nicht näher zu rücken versucht wird: Ein des Schreibens und Lesens unkundiges Waisenmädchen steigt zu seinem griesgrämigen Großvater auf die Alm und wächst nach anfänglichen Reibereien glücklich bei ihm auf, ehe sie ins Waisenhaus gesteckt wird, wo man sie zu disziplinieren versucht.

Dass diese Geschichte (durch die man von Sascia Ronzoni als Erzählerin geleitet wird) noch immer zu Herzen geht, obwohl Hauptdarstellerin Franziska Maria Pößl gut doppelt so alt ist wie die von ihr verkörperte Figur und man sie eher im Uniseminar denn im Ziegenstall verorten würde, ist dem Zauber des Theaters und der Qualität der Vorlage zu verdanken, die einfach nicht umzubringen ist. Und so ist Heidi eben eine sturköpfige Aufsässige, bei der sich Freiheits- mit Naturliebe paart - wie beim schon recht verwilderten Großvater (Frank Engelhardt ist ganz raue Schale, weicher Kern), der von seiner Enkelin per Schere an Haupt-, Bart-, Ohren- und Nasenhaar ein wenig zivilisiert wird. "Nur die Spitzen!", fleht der Öhi. Lacher bei den Erwachsenen im Publikum.

Anarchie auf der Alm braucht einen Gegenpol, um zur Geltung zu kommen. Der wird recht kräftig gezeichnet. Im Tal werden unter Führung des Pfarrers (Uwe Achilles) laufend Prozessionen veranstaltet, und regiert unter Führung des Großbauern (Karoline-Anni Reingraber) eine rabiate "Mir san mir"-Mentalität. Und in Frankfurt, wohin Heidi später zur Erziehung zwangsverschickt wird, arbeitet man im Heim unter Führung von Fräulein Rottenmeier (Reingraber) an Konzepten, mit denen man die Welt am deutschen Wesen genesen lassen will. "Disziplin und Kultur!", lautet hier das Bildungsziel. Heidi soll zur Adelheid werden.

Glücklicherweise gibt es auch in diesem strengen Regime einen heimlichen Widerstandskämpfer (Achilles), Verbündete (Shirina Granmayeh als Klara, der mit Heidi eine Freundin "gekauft" wird, die sie mit gelebter Solidarität auch zu gewinnen versteht) und vor allem mit dem Peter (ein aufrechter Michl: Jonas Graber) einen guten Freund, der nicht locker lässt, bis die Heidi befreit und die Anarchie die Despotie besiegt hat.

Dann brechen Heidi und Peter auch ihren Anti-Anpassungsschwur und lernen Lesen und Schreiben. Dann kann man auch gemeinsam mit allen anderen auf Weltreise gehen, die Löwen und den Yeti besuchen - und schwupps wähnt man sich als Zuschauer mehr bei "In 80 Tagen um die Welt" als in "Heidi". Dem kleinen Publikum gefällt's. Auch wenn, oder vielleicht gerade: weil, ihre eigene Welt ganz anders aussieht.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - "Heidi" nach dem Roman von Johanna Spyri von Thomas Birkmeir, Regie: Claudia Waldherr, Bühne: Daniel Sommergruber, Kostüme: Natascha Maraval, Musik: Severin Salvenmoser, Mit Franziska Maria Pößl, Jonas Graber, Frank Engelhardt, Sascia Ronzoni, Karoline-Anni Reingraber, Shirina Granmayeh und Uwe Achilles. Theater der Jugend im Renaissancetheater, Neubaugasse 36, 1070 Wien. Für Kinder ab 6 Jahren. Nächste Vorstellungen am 6., 7. und 9.-11. Dezember. www.tdj.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Inszenierung von 'Heidi' im Wiener Renaissancetheater bietet eine zeitlose Adaption des Klassikers von Johanna Spyri, die politische Elemente integriert.
  • Franziska Maria Pößl spielt die Rolle der Heidi, obwohl sie doppelt so alt ist wie die Figur, und bringt mit ihrer Darstellung sowohl Kinder als auch Erwachsene zum Lachen.
  • Themen wie Anarchie, Freiheit und Widerstand gegen autoritäre Strukturen stehen im Mittelpunkt der Aufführung, die für Kinder ab sechs Jahren geeignet ist.