Großer Applaus für feministischen "Werther" in Bregenz
Die Geschichte des Werther ist aus Goethes Briefroman wohlbekannt. Der Franzose Jules Massenet greift den Stoff um den empfindsamen jungen Mann, der wegen einer unerfüllten Liebe den Freitod wählt, mehr als 100 Jahre nach dessen Entstehung (1774) auf und gibt den Figuren, von denen bei Goethe nur in Werthers Briefen zu lesen ist, eine eigene Stimme.
Leider ist das Libretto schlecht gealtert, und so entzaubert Jana Vetten in ihrer Inszenierung den vermeintlich aus Leidenschaft und Liebe handelnden Mann. Sie zeigt ihn als unnachgiebigen Narzissten, der seiner angebeteten Charlotte oftmals gegen ihren Willen nachsteigt. Es ist vielmehr Charlotte selbst, die zur eigentlichen Protagonistin wird. Sie ist auf der Bühne des Kornmarkttheaters weniger zwischen Leidenschaft und Pflichterfüllung hin- und hergerissen, als dass sie sich schlicht verantwortlich für Werthers Leiden sieht - auch das eine Art von Narzissmus. Jana Vetten konzentriert sich eben auf die Hinterbliebenen und nicht auf den leidenden und am Schluss tragisch sterbenden Jüngling.
Für Akzente auf der Bühne sorgt die Kostümauswahl - einfache Kleider in kräftigen Farben bilden einen Kontrast zum schlichten Rosa des Bühnenbilds. Charlotte tritt im leuchtend roten Jumpsuit auf und enttarnt sich somit unmittelbar als eigentliche Hauptfigur des Stücks. Die Silhouetten der Kleider verweisen auf die Historizität des Stoffs, ansonsten versucht man eher mit der Entstehungszeit zu brechen und das Thema universeller anzugehen. Der Text aus dem 19 Jahrhundert, der in der Logik früherer Geschlechterrollen funktioniert, steht dem Vorhaben aber immer wieder im Weg.
Die eigentlichen Highlights des Opernabends sind die vom Vorarlberger Symphonieorchester (Leitung Claire Levacher) fabelhaft umgesetzte Musik und die wunderbaren Stimmen der jungen Sängerinnen und Sänger des Opernstudios der Festspiele. Schauspielerisch übernehmen die Frauen die Oberhand. Charlotte (Kady Evanyshyn) und Sophie (Sarah Shine) sind es, die nicht nur gesanglich, sondern auch in Bewegung, Mimik und Gestik überzeugen, während die männlichen Hauptpersonen (Raúl Gutiérrez als Werther und Yuriy Hadzetskyy als Albert) auf der Bühne eher statisch wirken und in den Hintergrund rücken. Das ist wohl auch der Inszenierung geschuldet.
Auf stimmgewaltig überbordende Duette und wuchtiges Zusammenspiel des Sängerensembles muss man bei Massenets "Werther" leider weitgehend verzichten. Dafür können sich die Darsteller einzeln immer wieder in Szene setzen. Die kleine Bühne des Kornmarkttheaters, die durch das Bühnenbild noch weiter verengt wird, ist für solche intimen Szenen wunderbar geeignet.
Trotz mancher Unstimmigkeiten gelingt die Umsetzung des klassischen Stoffs aus dezent feministischer Perspektive und mit moderner Optik. Dies liegt insbesondere an der musikalischen Umsetzung. Für ihre Leistungen ernten die Hauptdarsteller sowie insbesondere Claire Levacher und das Vorarlberger Symphonieorchester vom Premierenpublikum schließlich tosenden Applaus.
(S E R V I C E - "Werther" von Jules Massenet bei den Bregenzer Festspielen. Theater am Kornmarkt. Drei weitere Vorstellungen am 16., 18. und 19. August. Musikalische Leitung des Symphonieorchesters Vorarlberg: Claire Levacher. Mit dem Kinderchor der Musikmittelschule Bregenz-Stadt (Leitung: Wolfgang Schwendinger). Inszenierung: Jana Vetten. Bühne und Kostüm: Camilla Hägebarth. Mit: Kady Evanyshyn (Charlotte), Raúl Gutiérrez (Werther), Yuriy Hadzetskyy (Albert), Sarah Shine (Sophie), Lucas Cortoos (Amtmann), Timothy Veryser (Schmidt) und Raoul Steffani (Johann). Info und Karten unter https://bregenzerfestspiele.com/de/programm/werther.)
Zusammenfassung
- Die Premiere der 1892 entstandenen Oper "Werther" im Rahmen der Bregenzer Festspiele ist am Montagabend mit großer Begeisterung aufgenommen worden.
- Der aus Goethes Briefroman wohlbekannte tragische Held wird in der Inszenierung von Jana Vetten im Theater am Kornmarkt in moderner Optik und mit einem Hauch Feminismus präsentiert.
- Eingebettet in die impressionistische Musik von Jules Massenet ergibt das eine ebenso gewagte wie gelungene Mischung.