Grazer Oper zeigt trostlose Liebe in fulminantem "Schlaflos"
Wenn sich der Vorhang hebt, fühlen sich vermutlich viele im Publikum mit einem Schlag in die frühen 80er-Jahre zurückversetzt, als das Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" 1981 verfilmt wurde, so gekonnt wurden der Bahnhof und vor allem Tetiana Miyus und Mario Lerchenberger nachgestylt. Sie mit langen, rötlichen Haaren und Lederjacke, er mit kurzem roten Blouson und Jeans (Bühne: Heike Vollmer, Kostüme: Regine Standfuss). Als moderne Zutaten gibt es ein riesiges Norwegen-Plakat und die unvermeidlichen Videos (Thomas Achitz), die in die Außenwelt und die Natur entführen.
Literaturnobelpreisträger Jon Fosse schrieb die Vorlage zu dieser Oper, die unter dem Titel "Sleepless" 2021 an der Berliner Staatsoper uraufgeführt wurde. In Österreich und in deutscher Sprache ist das Werk nun erstmals in Graz zu sehen.
Die Geschichte ist zeitlos und sehr düster. Zwei Jugendliche - sie ist schwanger, er hat nichts außer der Geige seines Vaters - versuchen, eine Unterkunft zu finden und zur Ruhe zu kommen. Doch die Realität ist gegen sie, der Versuch, gewaltsam sich das Nötigste zu nehmen, endet mit Chaos und dem Tod einiger Menschen. Der Mann muss für seine Untaten bezahlen, die junge Frau heiratet mit leerem Herzen einen anderen und erinnert sich im Alter an ihre große und einzige Liebe. Am Ende sitzen die beiden wieder am Bahnhof - der ganze Schrecken also nur Einbildung?
Regisseur Philipp M. Krenn lässt das offen, er zeigt eine Geschichte, die so oder auch ganz anders passiert sein könnte. Vage erinnert alles an Maria und Josef auf Herbergssuche, allerdings in einer trostlosen Variante und ohne Hoffnung auf Erlösung. Die Handlung spielt durchgehend am Bahnhof, der als Flucht- und Sehnsuchtsort herhalten muss.
Die Musik des ungarischen Komponisten erzeugt eine mitunter unwirkliche, traumhafte Stimmung, sie setzt keine starken Akzente und kommentiert das Geschehen nicht. Es ist ein magischer Fluss, in den der Zuhörer eintaucht, und der durch die sanfte Melodik oft in krassem Gegensatz zur immer schwärzeren Handlung steht. Dirigent Vassilis Christopoulos führte das Orchester mit Präzision und viel Gefühl für die weicheren Stimmungen durch den Abend.
Großen Applaus gab es für Tetiana Miyus als traurige, berührende Alida, die stimmlich alles andere als düster klang. Als adäquater Partner stand ihr Mario Lerchenberger (Asle) zur Seite, dessen heller Tenor perfekt zum jugendlichen Anti-Helden passte. Iris Vermillion (Alte Frau) bestach einmal mehr durch ihren kraftvollen Mezzo und Anna Brull (Hebamme) gab der Hebamme Profil. Mareike Jankowski hatte als gemeuchelte Mutter einen kurzen, aber starken Auftritt. Daeho Kim, Tetiana Zhuravel, Felix Heuser und Martin Fournier ergänzten das hervorragende Ensemble. Unbedingt erwähnen muss man auch das perfekt abgestimmte Doppel-Vokalterzett, bestehend aus Eri Scherling-Hidaka, Ju Suk, Lenka Jombíková, Mana Iwata, Marijana Nikolić und Natascha Sachs. Ein Abend zwischen Oper, Film und nordischer Erzählung, der sich auf jeden Fall lohnt.
(Von Karin Zehetleitner/APA)
(S E R V I C E - "Schlaflos" von Peter Eötvös. Regie: Philipp M. Krenn, Musikalische Leitung: Vassilis Christopoulos, Bühne: Heike Vollmer, Kostüme: Regine Standfuss. Besetzung: Alida: Tetiana Miyus, Asle: Mario Lerchenberger, Mutter: Mareike Jankowski, Hebamme: Anna Brull, Alte Frau: Iris Vermillion, Mädchen: Tetiana Zhuravel, Gastwirt: Felix Heuser, Mann in Schwarz: Daeho Kim, Juwelier: Martin Fournier. https://oper-graz.buehnen-graz.com/)
Zusammenfassung
- Zeitgenössische Opern gelten nicht gerade als Favoriten des Publikums, doch am Samstag war der Jubel in Graz nach der Premiere von "Schlaflos" groß.