Fulminanter "Raub der Sabinerinnen" im Akademietheater
Vulesica, die sowohl 2021 als auch 2022 mit einem Nestroy-Preis für die beste Bundesländer-Aufführung am Schauspielhaus Graz ausgezeichnet wurde, setzt in ihrer gemeinsam mit Svenja Viola Bungarten verfassten Version des 1884 uraufgeführten Komödien-Klassikers der Brüder Schönthan ganz auf die verführerische Kraft des Theaters und scheut sich nicht, dabei ordentlich über die Stränge zu schlagen. Ein Abend wie eine Antithese zur vergleichsweise zurückhaltenden Josefstadt-Inszenierung von Heinz Marecek im Jahr 1998 mit Fritz Muliar als Striese.
Wenn hier der Gymnasialprofessor Jörg Gollwitz über seinen Büchern hängt, ist es wörtlich zu nehmen: Sabine Haupt gibt den hageren, fahrigen Professor zwischen Unrast und Erschöpfung. Wenn er sein bisher geheim gehaltenes Stückmanuskript mit großer Geste aus der Schublade zieht, leuchtet es theatralisch gleißend heraus (Bühne: Henrike Engel). Das Heft in der Hand hat allerdings Dorothee Hartinger als resche Haushälterin Rosa, die sich mit ihrem Dienstgeber nicht nur die Brille zu teilen scheint. Sie ist es, die in Wallung gerät, wenn der große Theaterdirektor Striese auftaucht und geradezu fordert, den "Raub der Sabinerinnen" von der Schublade auf die Bühne bringen zu dürfen. In dieser Rolle gibt Minichmayr nicht nur breitesten Dialekt zum Besten, sondern ist mit kinnlangem Haar, Schnurrbart und Hut kaum wiederzuerkennen. Rotzig und schmierig ist dieser raumgreifende Theaterdirektor, den die Schauspielerin mit der ihr eigenen Inbrunst verkörpert.
Damit aber nicht genug: Die dem Stück inhärenten stereotypen Geschlechterrollen werden durch die Überzeichnung in der Verkleidung noch weiter aufgebrochen, wenn Dietmar König mit wallend blondem Haar als Gollwitz' zu früh von der Sommerfrische zurückgekehrte Ehefrau Friederike auftritt, wodurch das Spiel um Schein und Sein noch eine weitere Wendung nimmt. Schließlich soll sie um keinen Preis erfahren, von wem das Stück stammt, das hier zur Uraufführung kommt.
Auch Rainer Galke brilliert in seinen kurzen Auftritten als laszive Weinhändlerin Groß mit starkem Berliner Akzent. Gleich beide Töchter des Ehepaars Gollwitz verkörpert Stefanie Dvorak in zwei Extremen: einmal als schüchterne, in einem Katzen-Pulli steckende Paula (Kostüme: Janina Brinkmann), die unbedingt einen Improvisationskurs belegen will. Denn: "Freie Improvisation ist die Kunst im Moment kreativ auf eine Situation zu reagieren." Und nichts mehr als das braucht man in diesem rasanten Chaos dringender. Gänzlich anders interpretiert Dvorak Paulas Schwester Marianne, die nervig exaltierte Ehefrau des Arztes Neumeister, dem Lukas Vogelsang manisch-komische Züge verleiht. Unterstützt wird das Ensemble von der ins Spiel einbezogenen Souffleuse Annemarie Fischer, die als Papagei verkleidet mitunter mit dem Oberkörper in einem Vogelkäfig steckt.
Und so gehen die Kulissen und Vorhänge fröhlich rauf und runter, Türen schwingen auf und zu, die Aufregung vor der Premiere steigert das Geschehen in den Wahnsinn. Die über die Spitze hinaus getriebenen Karikaturen der handelnden Personen sind mit einer Präzision gezeichnet, die dieser Huldigung an das Theater alle Ehre machen. Ein rasanter, witziger Abend voller schauspielerischer Glanzleistungen, der dem Publikum in düsteren Zeiten Grund zum herzhaften Lachen gibt. Langer, von Jubel begleiteter Applaus beendete den 100-minütigen, pausenlosen Abend.
(S E R V I C E - "Der Raub der Sabinerinnen" von Franz und Paul Schönthan in einer Fassung von Svenja Viola Bungarten und Anita Vulesica. Regie: Anita Vulesica, Bühne: Henrike Engel, Kostüme: Janina Brinkmann, Musik: Camill Jammal, Sounddesign: Rupert Derschmidt, Souffleuse: Annemarie Fischer. Mit u.a. Birgit Minichmayr, Sabine Haupt, Dietmar König, Stefanie Dvorak und Dorothee Hartinger. Weitere Termine: 20. und 22. April, 1., 21. und 28. Mai. www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Im Zentrum des fulminanten Ensembles: Birgit Minichmayr als Theaterdirektor Emanuel Striese.