Erste Bregenzer Festspiel-Premiere: "Nero" war too much
Die "Bregenzer Dramaturgie" setzt seit langem auf Raritäten bei der "Hausoper" als Gegensatz zur populären Cashcow auf der Seebühne. Das ist würdig und recht und kann auch einmal ein wenig danebengehen. 2016 hatte man Franco Faccios Oper "Hamlet" wiederentdeckt, zu der Arrigo Boito (1842-1918) das Libretto verfasste - wie u.a. auch für Verdis "Otello" und "Falstaff". Diesmal hat man ein Werk angesetzt, das der viel begabte Italiener auch selbst komponierte. "Nero" wurde für ihn zur Lebensaufgabe und erst nach seinem Tod von Arturo Toscanini in eine spielbare Fassung gebracht und 1924 an der Mailänder Scala uraufgeführt. Die Oper sei "ein singuläres, eigentümlich anziehendes Dokument in der Geschichte des italienischen Musiktheaters geblieben", heißt es im Bregenzer Programmheft, und "konnte sich in den Spielplänen nie dauerhaft etablieren". Das dürfte auch so bleiben.
Boito setzt sich in der Musik quasi zwischen alle Stühle. Er versucht sich an den unterschiedlichsten Charakterisierungen für Römer, Heiden und Christen, wechselt die Harmonik, hat Ansätze zu schönen Arien, klingt manchmal nach Filmmusik - und schafft es dennoch nicht, sich in den Gehörgängen festzusetzen. Dabei legen sich die von Dirk Kaftan dirigierten Wiener Symphoniker ordentlich ins Zeug, tritt der (leider in unvorteilhafte Kostüme gesteckte) Prager Philharmonischer Chor in großer Besetzung an und kann man auch den Sängern nicht viel vorwerfen. Der mexikanische Tenor Rafael Rojas hat in der Titelpartie an dem Abend einige Höhen und Tiefen, Lucio Gallo als übler Intrigant Simon Mago, der zur Strafe beweisen muss, ob er mit seinen Flügeln tatsächlich zum Höhenflug ansetzen kann, Brett Polegato als Jesus-Doppelgänger Fanuèl und Svetlana Aksenova als wahnsinnig Liebende Asteria sind alle gut bei Stimme. Doch zum Mitleiden reicht es an diesem Abend nicht.
Frank Philipp Schlössmann hat eine modern wirkende, stark reduzierte Bühne mit wenigen Versatzstücken und einigen Lichtsäulen-Elementen bereitgestellt. Weg vom Klischee, lautet das Motto - weswegen etwa ein Billardtisch als Altar herhalten muss oder Nero am Schreibtisch neben einer Kaiserbüste Befehle unterzeichnet. Die Kostüme von Gesine Völlm gehen freilich in exakt die gegenläufige Richtung. Römer, Nonnen und Apostel, wohin das Auge schaut. Olivier Tambosis Inszenierung arrangiert lebende Bilder und betreibt dabei einen Mummenschanz, der die blutigernste Auseinandersetzung um Politik und Religion szenisch oft konterkariert. So rätselt man mitunter beim Schwingen blutiger Hämmer, bei Chorszenen wie aus einem eurythmischen 20er-Jahr-Musical oder der x-ten Dornenkrone, wie ernst das alles zu nehmen ist. Und verpasst dafür beinahe die Neuigkeit, dass nicht Nero, sondern die Gnostiker die Stadt in Brand stecken.
Der Applaus am Ende fiel freundlich, wenngleich nicht eben enthusiastisch aus. Das Leading-Team musste einige wenige Buhs einstecken. Die klangen dafür gar nicht maskengedämpft. Denn wie schon bei der ersten Premiere der Salzburger Festspiele verzichteten die meisten Besucher - darunter Politiker aller Couleurs vom Bundespräsidenten abwärts - auf das Tragen einer Maske. Gemäß der geltenden Bundes-Verordnung steht das den Besuchern nämlich frei. In Salzburg hatte man prompt einen Coronafall im Publikum - und führte daraufhin eine FFP2-Maskenpflicht ein.
Nachdem die Bregenzer Festspiele im Vorjahr coronabedingt pausierten, stehen heuer bis 22. August 80 Veranstaltungen auf dem Programm, darunter 28 Aufführungen von Giuseppe Verdis "Rigoletto" auf der Seebühne, der heute seine Wiederaufnahme-Premiere feiert. "Nero" wird noch zweimal gespielt.
(S E R V I C E - "Nero" von Arrigo Boito, Musikalische Leitung: Dirk Kaftan, Inszenierung: Olivier Tambosi, Bühne: Frank Philipp Schlössmann, Kostüme: Gesine Völlm, Wiener Symphoniker, Prager Philharmonischer Chor, Mit u.a.: Rafael Rojas - Nerone, Lucio Gallo - Simon Mago, Brett Polegato - Fanuèl, Svetlana Aksenova - Asteria, Alessandra Volpe - Rubria, Miklós Sebestyén - Tigellino, Taylan Reinhard - Gobrias. Bregenzer Festspielhaus, Weitere Vorstellungen: 25.7., 11 Uhr, 2.8., 19.30 Uhr, www.bregenzerfestspiele.com)
Zusammenfassung
- Das musste man am Mittwochabend am Ende der ersten Premiere der diesjährigen Bregenzer Festspiele konstatieren.
- Die "Bregenzer Dramaturgie" setzt seit langem auf Raritäten bei der "Hausoper" als Gegensatz zur populären Cashcow auf der Seebühne.
- 2016 hatte man Franco Faccios Oper "Hamlet" wiederentdeckt, zu der Arrigo Boito das Libretto verfasste - wie u.a. auch für Verdis "Otello" und "Falstaff".
- Die klangen dafür gar nicht maskengedämpft.