"Einige Gedichte" von Wolf Wondratschek vor seinem 80er
"Einige Gedichte" heißt das weiße, gerade mal 78 Seiten umfassende Bändchen, das der Ullstein Verlag soeben ausgeliefert hat. Understatement pur. Sein Gedichtband "Chuck's Zimmer" verkaufte sich 1974 unglaubliche 300.000 Mal, das epische Gedicht "Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre" (1986) wurde Kult. 13 Bände umfassen seine "Gesammelten Gedichte", die Ullstein einzeln oder als Box vertreibt. Die Zusicherung, nach und nach sein gesamtes Lebenswerk neu aufzulegen, habe ihn überzeugt, als seine Rechte allesamt frei geworden waren und ihm drohte, am Buchmarkt gar nicht mehr vertreten zu sein, gab Wondratschek vor fünf Jahren in einem Gespräch mit dem "Deutschlandradio Kultur" zu.
Die Kassette mit Einzelbänden wie "Die Einsamkeit der Männer" (Band 5), "Das Mädchen und der Messerwerfer" (Band 7) oder "For a Life without a dentist" (Band 12) hat bei ihrem Erscheinen vor fünf Jahren auch den Autor selbst begeistert, wie er damals gegenüber dem Radiosender Ö1 bekundete: "Ich lese gerade diese schmalen Bände und sage Ihnen: Es ist ein Vergnügen! Es ist ein Vergnügen, wenn etwas so über 40 Jahre lang hält. Grandios. Ich bin einfach ein toller Dichter."
Das finden nicht alle. Aber auch seine Kritiker kommen nicht umhin, ihm Anerkennung zu zollen. "Literaturgeschichtlich ist Wondratscheks westdeutsche Lyrik eine Probe auf das Exempel der Amerikanisierung", schrieb Franz Schuh 1998 anlässlich des Erscheinens einer 480-seitigen Taschenbuchausgabe von Wondratscheks Gedichten und endete mit einer Betrachtung des Dichter-Selbstdarstellers: "Der leibsinnliche Wondratschek mit seinen Liebesgedichten, mit seinem schlampig genialischen Gerede, mit seinen Auftritten und seinem Image ist ein Ganzes, ein sehr vitales Kunstprodukt, das ich für einen Dichter halte. Die Frage, die eine zeitgemäße Dichtung an die Sprache stellt, nämlich: Wer spricht?, wenn einem die Worte von den Lippen fließen, beantwortet dieser Dichter eindeutig: Es spricht Wolf Wondratschek, und ich glaube, oft findet auch 'die Avantgarde' keine besseren Antworten."
Es spricht Wolf Wondratschek. Ob das auch für das lyrische Ich in Gedichten wie "Die Frau des Briefträgers" gilt ("Ich sehe die Sterne nicht, nicht ohne Brille, / die Träume nicht in meinem blinden Schlaf."), oder für "Das Auge des Hasen" ("Mein Nachbar, ein Dichter, trinkt nur noch.")? Sicher gilt es für die seinem Sohn Raoulito gewidmeten Gedichte ("Hab' ich dir nie die Geschichte erzählt / von der Frau, die drei Mal klingelt? / Aber es klingelte nie drei Mal.") - und wohl auch für seinen Überlegungen über das, was sich zwischen Himmel und Erde so tut: "Der Himmel war eine Erfindung der Götter. / Die Götter waren eine Erfindung der Dichter. / Die Dichter waren Götter."
Auch Götter werden müde. Das spürt man in diesen ohne Wut und Wehmut versuchten Standortbestimmungen immer wieder. Aber sie verlieren nie das Gespür. Mitten im Hype um Christopher Nolans "Oppenheimer"-Film stößt man in Wondratscheks neuem Band auf das Gedicht "Oppenheimer". Es zeigt den Physiker in der Wüste von New Mexico in den Stunden vor der Explosion der ersten Atombombe: "Er zieht einen Band von Baudelaire aus der Tasche / und liest, bis es hell wird, Gedichte. Dann, Sekunden / vor der Detonation der ersten Atombombe, legt er / seine Finger zwischen die Seiten. // Wie sich schützen vor dem tödlichen Licht? / Mit der Lüge, wie Kinder sich schützen, / wenn sie sagen: Ich war's nicht?"
(S E R V I C E - Wolf Wondratschek: "Einige Gedichte", Ullstein, Broschur, 78 Seiten, 18,50 Euro)
Zusammenfassung
- "Ich bin, was ich nie werden wollte, glücklich", heißt es in einem der Gedichte Wolf Wondratscheks, die kurz vor seinem 80. Geburtstag erschienen sind.
- Das ist doch mal nicht schlecht, denkt man sich und blättert weiter.
- 13 Bände umfassen seine "Gesammelten Gedichte", die Ullstein einzeln oder als Box vertreibt.
- Mitten im Hype um Christopher Nolans "Oppenheimer"-Film stößt man in Wondratscheks neuem Band auf das Gedicht "Oppenheimer".