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"Das echte Leben": Koležnik inszeniert "Der Revisor"

Am 14. Dezember feiert Gogols "Der Revisor" in der Regie von Mateja Koležnik (62) am Akademietheater Premiere. Im APA-Interview sprach die slowenische Regisseurin über Korruption von Staatsbeamten, ihr Unvermögen, "eine ordentliche Komödie" zu inszenieren und übte scharfe Kritik an der slowenischen Kulturpolitik. Was die Zukunft betrifft, sieht sie "eine dunkle Welle" auf unsere Gesellschaft zurollen.

APA: Sie haben in den vergangenen Jahren mit Stücken wie der "Wildente", "Kasimir und Karoline" und zuletzt "Der einsame Westen" höchst unterschiedliche Werke in Wien inszeniert. Nun kommt Gogols "Revisor". Gibt es bei all diesen Texten dennoch einen kleinsten gemeinsamen Nenner, der Sie besonders interessiert?

Mateja Koležnik: Nein. Zum Glück sind sie alle so unterschiedlich. Ich bin eine Regisseurin, die es nicht wagt, bestimmte Texte vorzuschlagen. Da bin ich viel zu abergläubisch, immer wenn ich ein Stück vorgeschlagen habe, habe ich es vermasselt. Also lasse ich mir die Texte von den Theatern vorschlagen und schaue dann, ob ich darin etwas finde. Falls nicht, gehen wir in eine weitere Runde.

APA: Was war dieses Etwas bei Gogols "Revisor"?

Koležnik: Ich komme aus einem Teil Europas - ich kann fast nicht Europa sagen - also aus einem Teil der Welt, wo jeder Politiker und jeder Staatsbeamte korrupt ist. Dieser Umstand bestimmt das tägliche Leben. Und da ich die lange Tradition der Bürokratie in Österreich kenne, habe ich das Gefühl, dass das hierzulande auch kein fremdes Thema ist. Das hat mich an dem Stück fasziniert und mich zum Nachdenken gebracht: Leben wir noch in einer Welt, wo der Revisor kommen kann? Ich glaube nicht, aber wenn er kommt, ist er genauso korrupt wie jeder andere auch. Für mich ist dieses Stück keine Farce, für mich es das echte Leben.

APA: Inszenieren Sie das Stück dann noch als Komödie?

Koležnik: Ich weiß nicht, wie man eine ordentliche Komödie macht. Ich inszeniere ja immer sehr, sehr realistisch. Auch dieses Mal. Also war es für das gesamte Team und mich die größte Herausforderung, wie wir die Figuren in "Der Revisor" glaubwürdig machen und aus dieser Komödie trotzdem keine Tragödie machen.

APA: Wenn Sie auf die Geschichte Sloweniens blicken: Gab es eine Zeit, in der Sie nicht das Gefühl hatten, dass alle Politiker korrupt sind?

Koležnik: Nein. Denn als wir noch in Jugoslawien lebten, waren sie politisch korrupt. Will heißen: Sie haben so getan, als ob sie an eine Idee glauben würden, taten es aber nicht. Und kaum war Jugoslawien auseinandergefallen, ging es ihnen nur mehr um das Geld. Dieser Wandel passierte so schnell, so übergangslos. Plötzlich waren überall nur mehr "materials girls" und keine Menschen mehr, die an einer großen Idee oder an der Gesellschaft arbeiten wollten. Und der starke öffentliche Sektor, den wir zuvor hatten, wurde innerhalb kürzester Zeit auseinandergerissen und privatisiert. Und jeder weiß, welche Menschen dafür verantwortlich waren. Aber alle tun so, als wüssten sie es nicht.

APA: Bei der diesjährigen Nestroy-Gala gab es viel Solidarität mit dem Slowakischen Nationaltheater und auch der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó hat erneut die Zensur in seinem Land beklagt. Wie ist diesbezüglich die Lage in Slowenien?

Koležnik: Beschissen, was das Geld betrifft. Künstlerisch können wir machen, was wir wollen, aber es wird nicht mehr öffentlich wahrgenommen. Früher gab es vor jeder Premiere Interviews, es gab Fernsehberichte. Das gibt es nicht mehr. Nicht einmal mehr die Kritiker kommen und berichten.

APA: Warum?

Koležnik: Alle Zeitungen wurden privatisiert, und als wir vor ein paar Jahren nachgefragt haben, hieß es: Niemand liest Kritiken, wir können die Zeitung damit nicht verkaufen. Ich sage Ihnen: Ich habe das Wort Kunst in der slowenischen Öffentlichkeit seit Jahren nicht mehr gehört. Und das letzte Mal, als man in der Zeitung etwas über Künstler gelesen hat, ging es darum, dass wir alle Parasiten seien. Weil wir unsere Arbeit aus reiner Freude und Notwendigkeit tun, auf Kosten des Staates, fürs Überleben sollten wir aber noch etwas anderes tun.

Gäbe es Zensur, würde es bedeuten, dass wir relevant sind. Aber Politiker lassen sich im Kulturbereich weder sehen, noch mischen sie sich ein. Sie unterstützen lieber die Sport-Events mit ihrer Anwesenheit. Wir sind komplett irrelevant geworden. Wir können machen, was wir wollen, und es kümmert niemanden. Das ist schrecklich.

APA: Sie arbeiten seit mehr als zehn Jahren hauptsächlich im deutschsprachigen Raum. Planen Sie, auch wieder in Slowenien zu inszenieren?

Koležnik: Ja, ich gehe wieder zurück und bin ganz bestürzt, wie schrecklich die finanzielle Situation ist. Wir haben nicht halb so viel Geld wie früher, sondern zehn Mal weniger. Also durchforsten wir ununterbrochen den Fundus und versuchen, das Alte neu zusammenzustellen. Immerhin haben wir noch Publikum, die Häuser sind jeden Abend voll.

APA: Was werden Sie inszenieren?

Koležnik: Die "Dreigroschenoper" für das SNG Drama Ljubljana.

APA: Sie sagen, Kultur spielt in Slowenien keine Rolle. Aber Maribor war doch 2012 Europäische Kulturhauptstadt und 2025 ist es Nova Gorica gemeinsam mit dem italienischen Gorizia?

Koležnik: Nichts, was in Maribor stattgefunden hat, ist übrig geblieben. Es gab eine kulturelle Clique, die das ganze Geld gestohlen hat. Es wurde mit all dem Geld nichts gebaut, wie es in anderen Städten üblich ist. Okay, vielleicht ein Brunnen oder sowas. Wie es jetzt in Nova Gorica sein wird, weiß ich nicht. Ich bin so enttäuscht von der slowenischen Kulturpolitik. Sie lassen Kulturinstitutionen einfach austrocknen, ohne darüber überhaupt eine Debatte zu führen. Schon mehr als 20 Jahre lang lassen sie uns einen langsamen Tod sterben, indem sie die Stelle einfach streichen, wenn ein Beschäftigter des öffentlichen Sektors im Bereich der darstellenden Künste in den Ruhestand geht, anstatt sie mit einer neue Person zu besetzen.

APA: Nicht-Nachbesetzungen stehen auch in zahlreichen anderen Bereichen auf der Tagesordnung, nicht zuletzt wegen der Digitalisierung ...

Koležnik: Ich ärgere mich über mich selbst. Da ich Philosophie studiert habe, hätte ich voraussagen können, dass die vierte industrielle Revolution große Veränderungen in der Gesellschaft bewirken wird. Aber ich habe nicht einmal daran gedacht und jetzt plötzlich sind wir alle in einer Situation, in der der öffentliche Sektor zerbröckelt. Warum hat Europa Amerika alles nachgemacht? Warum muss man seine Niere hergeben, um sein Kind in einer Schule unterzubringen? Warum muss man sein Haus verkaufen, wenn man ins Spital gehen will? Wir waren so unwissend und haben alles geschehen lassen.

Und die Kinder heutzutage wollen ganz andere Dinge, um die Welt zu erkunden. Für mich, die aus der Provinz kommt, war das Lesen mein Zugang zur Welt. Oder Filme. Kultur war meine Kirche. Heutzutage betreten junge Menschen ihr Erwachsenenleben in einer anderen, digitalen und meiner Meinung nach sehr viel begrenzteren Welt.

APA: Aber die Menschen in Slowenien gehen ja viel ins Theater, haben Sie gesagt.

Koležnik: Das schon, aber medial wird Kunst und Kultur als etwas Luxuriöses oder Snobistisches verkauft. Und ins Theater und in die Oper gehen alte Menschen und junge Menschen, die zu Hause so erzogen wurden, während der Staat nichts mehr tut, um das zivilisatorische Bedürfnis nach Kunst zu stimulieren. Ich will mein Land ja nicht verraten, aber ich bin wirklich, wirklich enttäuscht. Auch über Europa. Ganz plötzlich bedeutet die Tradition der Aufklärung nichts mehr. Ich sitze heute nur hier, weil meine Eltern nichts für meine Ausbildung zahlen mussten. Warum muss man das jetzt wieder tun? Warum lassen wir das zu?

APA: Was denken Sie als Philosophin, wohin dieser Weg führen wird?

Koležnik: Es geht immer alles in Wellen, was die Zivilisation anbelangt. So gab es glänzende Zeiten, wie die Renaissance oder die Aufklärung. Und jetzt kommt eine dunkle Welle. Ob danach irgendwas geblieben sein wird, kann ich nicht sagen.

APA: Trotz unseres Wissens über den Klimawandel gewinnen rechtspopulistische Parteien, die den Klimaschutz nicht ernst nehmen, eine Wahl nach der anderen. Wie kommt das?

Koležnik: Ich werde immer sehr nervös, wenn jemand beginnt, über Traditionen und Werte zu sprechen. Das ist immer der Beginn eines -Ismus: Nationalismus, Faschismus - all das beginnt immer, wenn man in der Öffentlichkeit zu viel über die Rückkehr zu Werten und Traditionen hört. Und dieser Diskurs taucht immer in Krisenzeiten auf. Wenn die Menschen spüren, dass ein Wandel bevorsteht und Angst haben, dass sich die Dinge für uns zum Schlechten verändern werden. Dann wünscht man sich, man könnte die Entwicklung aufhalten und an dem festhalten, was man hat und was man kennt. Und der Schutz der Tradition war schon immer der Diskurs der rechten Parteien.

Das große Drama ist, dass die Linksparteien die Probleme nicht ansprechen und keine Lösungen für die Ängste der Mittelschicht anbieten. Sie bieten keine neuen Lösungen für den grausamen Kapitalismus, in dem große Internetkonzerne keine Steuern auf ihre Gewinne zahlen, sie schlagen keine Änderungen vor, um die Investmentbanken für die Krisen der letzten Jahrzehnte verantwortlich zu machen, sie gehen nicht auf die Intoleranz gegenüber Flüchtlingen ein ... Sie überlassen diese Themen den Rechtspopulisten. Und um auf Ihre Frage zurückzukommen: Einem Menschen, der ein ungewisses Morgen fürchtet, ist es egal, dass der Meeresspiegel in zehn Jahren um ein paar Zentimeter steigen wird. Vor allem, wenn er noch mehr für Gas und Strom bezahlen muss, um die Klimaprobleme zu lösen. Und das wissen die Rechtspopulisten sehr gut und nutzen es aus. Dann bekomme ich wirklich das Gefühl, dass ich einfach nur alt bin und die Welt sich halt verändert, und ich bin eine alte Oma, die auf die Welt schimpft, während die Jungen die Welt so nehmen, wie sie ist.

(Das Gespräch führte Sonja Harter/APA)

ZUR PERSON: Mateja Koležnik wurde 1962 in Metlika (Slowenien) geboren. Sie studierte in Ljubljana Theaterregie und inszenierte an großen Theatern im ehemaligen Jugoslawien, seit 2012 arbeitet sie vor allem im deutschsprachigen Raum. In Wien führte sie Regie u.a. bei Ibsens "Wildente" im Theater in der Josefstadt (2017), "Fräulein Julie" (2021) im Akademietheater, "Kasimir und Karoline" im Burgtheater (2023) und zuletzt im März 2024 bei "Der einsame Westen" im Akademietheater.

(S E R V I C E - "Der Revisor" von Nikolai Gogol, Premiere am 14. Dezember im Akademietheater. Regie: Mateja Koležnik, Bühne und Licht: Klaus Grünberg, Kostüme: Ana Savić-Gecan, Komposition: Bert Wrede. Mit u.a. Roland Koch, Andrea Wenzl, Paul Basogna, Tim Werths und Martin Schwab. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Am 14. Dezember feiert Gogols 'Der Revisor' unter der Regie von Mateja Koležnik im Akademietheater Premiere.
  • Die slowenische Regisseurin kritisiert die Korruption in Slowenien und zieht Parallelen zu Österreich.
  • Koležnik sieht 'Der Revisor' nicht als Farce, sondern als Abbild der Realität.
  • Sie äußert Enttäuschung über die slowenische Kulturpolitik und die fehlende öffentliche Unterstützung.
  • Trotz finanzieller Herausforderungen plant sie, die 'Dreigroschenoper' in Slowenien zu inszenieren.