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Christine Gaiggs "polymono" als Performance zum Berühren

Nackte Haut, intensive Blicke, Stöhnen: In der Künstlerhaus Factory in Wien ging es am Donnerstag heiß her. Nicht weniger als monogame Liebe, Heteronormativität und persönliche Grenzen stehen bei Christine Gaiggs Performance-Essay "polymono" im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals auf dem Prüfstand. Die österreichische Choreografin legt den Abend als interaktives Experiment an, das von Aufführung zu Aufführung anders ausfällt. Bei der Uraufführung war die (An-)Spannung greifbar.

Ein Menschenknäuel bestehend aus fünf Performerinnen und Performern - darunter Gaigg selbst - empfängt das Publikum beim Eintreten in den Aufführungsraum. Langsam bewegt es sich unter synchronen, rhythmischem Atemgeräuschen durch die Gegend. Arme, Beine, Köpfe, Hintern sind kaum den einzelnen Personen zuzuordnen.

Wem das bekannt vorkommt, ist wohl ein Fan von Gaiggs Arbeit, die sich wiederholt mit dem Status der Sexualität in der Gesellschaft befasst. Es handelt sich um das Ende ihrer bereits vor bald zehn Jahren bei ImPulsTanz aufgeführten Arbeit "Maybe the way you made love twenty years ago is the answer?", klärt die Choreografin nach rund zehn Minuten auf. Was in der restlichen Stunde folgt, ist eine Art Weiterentwicklung.

"Oh Schreck, oh Schreck", wird sich wohl so mancher gedacht haben, als Gaigg verkündet, dass nun jede und jeder in dieses Stück mit dem Überthema polyamouröse Liebe eingebunden werden könnte. Schließlich geht es darum, Barrikaden vielleicht nicht gleich niederzureißen, aber doch bestimmt abzuklopfen, sich aufeinander zubewegen, sich zu begegnen. Aber keine Sorge: Es gibt Regeln. Wer seine Grenzen erreicht sieht, kann jederzeit Stopp sagen.

Und dann schreiten die Fünf auch schon zur Tat, verteilen sich im von Philipp Harnoncourt gestalteten Raum, der mit mehreren roten Sitzflächen und genügend Raum zum Herumwandern aufwartet, und ziehen sich die Unterhose aus. Zu sphärischen, unaufdringlichen Klängen und zwei mit Visuals bespielten Wänden wandern sie langsam herum, räkeln sich, stöhnen, reiben sich an den anderen Performern - und bahnen Begegnungen mit dem Publikum an.

Beinahe jeder kommt im Rahmen der Aufführung mal dran. Manche blocken gleich ab, andere lassen sich auf Berührungen ein. Köpfe werden gestreichelt, Umarmungen ausgeteilt und auch schon mal dabei geholfen, Unterwäsche an- oder auszuziehen. Auf die Performerinnen geht aber kaum jemand aktiv zu - zu groß die Hemmschwelle, die bequeme Beobachterrolle zu verlassen und vielleicht auch den bohrenden Blick der Begleiterin oder des Begleiters auf sich zu spüren.

Polyamouröse Liebe ist nicht für jeden, gibt Gaigg unumwunden zu. Viele haben bisher aber nicht über den Tellerrand geblickt. "polymono" ist definitiv eine Gelegenheit, sich vorsichtig an das Thema anzunähern, sich selbst und gesellschaftliche Idealvorstellungen zu hinterfragen. Das Publikum und die Performerinnen und Performer dankten mit Applaus für die Erfahrung.

(Von Lukas Wodicka/APA)

(S E R V I C E - ImPulsTanz: "polymono" von Christine Gaigg. Konzept: Christine Gaigg. Performance: Manuela Deac, Christine Gaigg, Anna Prokopová, Florian Tröbinger, Frank Willens. Raum und Licht: Philipp Harnoncourt. Musik: Dominik Förtsch, Peter Plessas. Kostüme: Dorothea Nicolai. Video: Max Windisch-Spoerk. Künstlerhaus Factory, Karlsplatz 5, 1010 Wien. Weitere Termine am 26. (17 Uhr), 27. (19 Uhr) und 28. Juli (18.30 Uhr sowie 21 Uhr). https://www.impulstanz.com/performances/pid1694/)

ribbon Zusammenfassung
  • Christine Gaiggs Performance-Essay 'polymono' im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals untersucht monogame Liebe, Heteronormativität und persönliche Grenzen.
  • Ein Menschenknäuel aus fünf Performerinnen und Performern empfängt das Publikum, das aktiv in die Performance eingebunden wird.
  • Weitere Aufführungen finden am 26., 27. und 28. Juli in der Künstlerhaus Factory in Wien statt.