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Campino: Anstrengung zur Erhaltung der Demokratie sinnvoll

Ein breites Themenspektrum hat Campino, Sänger von Die Toten Hosen, bei seiner Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf abgedeckt. Die Lesungen erschienen nun als Buch mit dem Titel "Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik". Im Interview mit der APA sagte der 62-Jährige: "Die Kunst, gewisse Dinge in wenigen Zeilen auszudrücken, sodass sie Menschen berühren, ist etwas ganz Besonderes."

APA: Campino, ziehen Sie Gedichte der Prosa vor?

Campino: Ich bin genauso fasziniert von Belletristik, von tollen Romanen. Aber es gibt hervorragende kurze Texte und Gedichte, die Dinge sehr genau auf den Punkt bringen. Die sind für mich insofern interessant, weil ich als Liedtexter ungefähr mit derselben Zeilenlänge auskommen muss.

APA: Kann man in einem Zeitalter, in dem mit Vorliebe durch Soziale Medien gescrollt wird, Menschen mit Büchern noch erreichen?

Campino: Da bin ich ganz zuversichtlich. Das geht aber nicht über einen Befehl. Das Buch als etwas Haptisches hat bessere Überlebenschancen als zum Beispiel die CD. Das Buch hat immer noch eine eigene Ästhetik. Wir müssen es natürlich schaffen, Leser über die angebotene Qualität zu finden. Solange es gelingt, faszinierende Geschichten zu schreiben, wird das Buch überleben. Laut Statistiken gibt es vor allem bei jungen Lesern Zuwachsraten. Diese Entwicklung bewirken meist leichtere Romane, aber das ist ein toller Beginn.

APA: Erich Kästner war einer der Mahner vor dem, was schließlich zur Welttragödie wurde. Derzeit schlägt das politische Klima wieder stark in rechtsextreme Richtung aus. Kann Kunst überhaupt etwas ändern?

Campino: Jede Anstrengung, unsere Demokratie zu erhalten, ist legitim und sinnvoll. Wir sollten da mit Zuversicht herangehen und uns nicht schon im Vorfeld fragen, ob es was bringt. Auch wenn wir diesen Kampf und die Wahlen verlieren, können wir uns wenigstens sagen, dass wir alles probiert haben. Wir sind gut beraten, keine Angst vor dem Extremen zu haben, sondern bei uns zu bleiben mit unseren Inhalten, der Leidenschaft und unserer Authentizität, die wir haben.

APA: An einer Stelle schreiben Sie: "Wer Musik nicht nur als Untermalung und leichte Unterhaltung versteht, sondern auch als Herausforderung, muss bereit sein, die Hörer aus der Komfortzone zu holen." Zugleich gestehen Sie Kunstschaffenden das Recht zu, sich nicht politisch äußern zu wollen.

Campino: Es ist beides absolut legitim. Das muss jeder für sich entscheiden. Und nicht einmal in aller Konsequenz, denn es gibt Situationen, in denen man denkt: Ich muss mich einbringen. Und andere Situationen, in denen man sich lieber zurückhalten will, weil man sich da nicht befugt fühlt, nicht alle Informationen hat. Das muss erlaubt sein.

APA: Sie verdeutlichen in der zweiten Lesung, was passiert, wenn Sätze ohne ihren Kontext ins Netz gestellt werden, wenn Medien einzelne Kommentare frustrierter User, die nicht für die Mehrheit sprechen, herausnehmen und ihnen eine Wichtigkeit verpassen.

Campino: Das ist wirklich eine Bedrohung, dass Medien der Versuchung unterliegen, wegen höherer Klickzahlen immer in das Skandalträchtige zu gehen. Eine der ganz spannenden Fragen: Wie können wir es schaffen, sachlich und ruhig zu bleiben, und uns trotzdem nicht überfahren zu lassen von dem lauten Geschrei des Extremen?

APA: Die Bedingungen für gut recherchierten Journalismus werden zunehmend schwieriger.

Campino: Mir ist die Problematik bewusst. Ich gebe zu, dass ich früher nicht darüber nachgedacht habe, weil es nicht vorstellbar war, dass in einem überschaubaren Zeitraum die Existenz der gedruckten Zeitungen in Frage gestellt wird. Insofern war ich damals vielleicht auch in meinem Urteil über die eine oder andere Zeitung zu hart. Aber heute sehe ich, dass die seriöse Presse und vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien schützenswert sind. Wir müssen alles tun, um sie zu erhalten, damit wir noch qualitativ wertvollen Journalismus erfahren dürfen und weiterhin Zugänge haben zu relativ ungefärbten, objektiven Meinungen. Das ist existenziell für uns alle.

APA: Apropos "früher" - Sie schreiben durchaus kritisch, gestehen sich Meinungsänderungen zu.

Campino: Es gibt nichts Schlimmeres, als sich nicht weiterzuentwickeln. Das hat auch nichts mit Konsequenz zu tun. Wenn die Dinge sich verändern im Leben, muss man darauf eingehen - oder man ist tot. Heutzutage wird viel zu oft die Aussage glorifiziert "Du hast dich nie verändert, du bist immer der alte geblieben". Das muss nicht unbedingt gut sein, denn wir sollten unseren Weg immer neu justieren und sehen, aus welcher Ecke unsere Herausforderungen kommen.

(Das Gespräch führte Wolfgang Hauptmann/APA)

(S E R V I C E - Campino: "Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik", Piper Verlag, 160 Seiten, 17 Euro)

ribbon Zusammenfassung
  • Campino, der Sänger von Die Toten Hosen, hat seine Lesungen an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf in einem Buch mit dem Titel 'Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik' veröffentlicht.
  • Er betont die Wichtigkeit der Kunst, Dinge in wenigen Zeilen auszudrücken und sieht das Buch als haptisches Medium mit besseren Überlebenschancen als die CD.
  • Campino äußert Zuversicht, dass Bücher durch faszinierende Geschichten überleben werden, und verweist auf steigende Leserzahlen bei jungen Menschen.
  • Im Interview betont Campino die Sinnhaftigkeit jeder Anstrengung zur Erhaltung der Demokratie und die Notwendigkeit, seriösen Journalismus zu schützen.
  • Er gesteht sich persönliche Meinungsänderungen zu und sieht die Weiterentwicklung als essenziell an.